Ben's Kommentar

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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Montag, Juni 28, 2010

Der Tag der Glorie ist gekommen…

Was ist der Unterschied zwischen dem Brandenburger Tor und dem Wembley-Tor? – Bei Letzterem hat es vier Jahre länger gedauert, bis wir es zurück bekamen.

Das gestrige Spiel wurde ja schon im Vorfeld, ob der beiden aufeinander treffenden Mannschaften ein erwartungsschwangeres Highlight, doch dass es so ein tolles Spiel würde, hätte wohl kaum einer gedacht – zumal nicht nach den doch eher mittelmäßigen Leistungen unserer Nationalelf in den Vorrundenspielen. Nach dem dritten Gruppenspiel hatte ich bereits angeregt, die ehemalige DDR-Hymne wieder einzuführen, da „Auferstanden aus Ruinen“ mir in diesem Moment passender schien – nicht dass diese nicht sowieso die melodisch und textlich schönere sei. Wobei wir schon mitten im Thema des heutigen Beitrags sind: Nationalhymnen.

Gestern, als die Unsrige erklang und alles aufstand, wurde mir gesagt, dass ich wohl eine sehr staatstragende Körperhaltung einnehme, sobald die Hymne erklingt. Dabei finde ich selber, dass ich ihr nur mit dem ihr angemessenen Respekt entgegentrete, wobei ich natürlich nicht verhehlen möchte, dass es vielleicht auch ein bisschen daran liegt, dass mich in solchen Augenblicken auch die Melodie und die Situation ergreift. Dies ist zwar bei der deutschen Nationalhymne etwas ausgeprägter, jedoch generell so, wenn ich Hymnen höre. Diese oftmals Wagner‘sche Durchschlagkraft der Melodien und Instrumentationen verfehlt ihre Wirkung ganz und gar nicht.

Da man ja gemeinhin von den Hymnen anderer Nationen wenig weiß (mit Ausnahme einer weniger), habe ich mir letzte Woche einfach mal die Arbeit gemacht, mir die Hymnen der 16 noch im Turnier verbliebenen Mannschaften anzuschauen und kam dabei auf die Idee, dass man doch einmal den Versuch einer „internationalen Nationalhymne“ machen könne, in dem man aus jeder der 16 Hymnen, einen Teil extrahiert und diese Teile neu zusammensetzt.

Dies klingt im ersten Moment recht simpel, jedoch stellt man schnell fest, dass aufgrund der thematischen Unterschiedlichkeit hinsichtlich des Hymnencharakters, diese sich doch sehr unterscheiden. So bezieht sich die Hymne der Schweiz ganz friedlich fast ausschließlich auf Gott und die Schönheit der Schweiz, viele südamerikanische Hymnen erinnern an Befreiungskämpfe und die englische legt den Fokus ganz auf die Königin – und inmitten dieses Konglomerats von Themenfeldern zeichnet sich der „Titus Andronicus der Nationalhymnen“ – sprich die amerikanische – durch eine sehr ausgeprägte Blutrünstigkeit aus. Aufgrund dieser Tatsache, musste ich auch leichte Eingriffe in den Text vornehmen und die Textpassagen etwas anpassen, jedoch meist nur in Fällen, wo das Land oder ein Herrscher Erwähnung fand; einige Zeilen sind zudem Strophen entnommen, die zwar offizielle Strophen der jeweiligen Hymne sind, jedoch zum Teil nicht bei offiziellen Anlässen gesungen werden – oder wenn nur selten. Somit zeigt sich nun auch, dass der Titel dieses Beitrags auch insofern verfehlt ist, als dass Frankreich nicht mehr im Turnier ist – aber er passte halt sehr gut zum gestrigen Ereignis.

Hier nun das Ergebnis – die „internationale Nationalhymne“ (* kennzeichnet den Wechsel zwischen zwei Nationalhymnen):

Über dem Lande blitzt es,
dröhnt des Donners Krachen,
doch der Stürme Wehen
wird gar bald vergehen.
Brüder, wir erwachen!*

Es bekränzt, Oh Vaterland, deine Stirn
mit den Olivenzweigen des Friedens
der göttliche Erzengel.*
Von Natur aus ein Gigant,
bist Du schön und stark,
unerschrockener Koloss;
und in Deiner Zukunft
spiegelt sich diese Größe*
über dem Land der Freien
und der Heimat der Tapferen.*

Deine Herrschaft soll dauern
tausend Generationen,
achttausend Generationen,
bis Stein zum Felsen wird
und Moos die Seiten bedeckt.*
Entweder wirst du den Freien zum Grab
oder Zuflucht gegen die Unterdrückung.*

Ob bei Tag oder bei Nacht oder mitten im Sturm,
in jeder Not, was immer der Ruf sein mag,
dir zu dienen jetzt und immerfort.*
Das ist, dass ich mag sterben
mit Ehren auf dem Feld,
ein ewig Reich erwerben
als ein getreuer Held.*
Mögen wir von Ruhm gekrönt leben
oder wir schwören ruhmreich zu sterben!*
Das ist die Wahl von der Seele vorgegeben
und wir sind Helden, wissen zu erfüllen! *

Einigkeit und Recht und Freiheit
sind des Glückes Unterpfand.*
Die Strahlen dieser kraftvollen Dämmerung
sind wie die Küsse der Mutter,
die uns schützen und uns stützen
gegen die Ungerechtigkeiten des Schicksals.*
[Instrumentale Zeile]*
Wollen wir unser Land lieben
in der Not so wie in Zeiten des Glücks.*

Auf dass die Völker erkennen,
dass die Menschen Brüder sein sollen
und eine Familie sind auf der ganzen Welt,*
wo Einheit und Gleichheit regieren,
weder Unterdrücker noch Sklaven bestehen.*

P.S.: Wer Langeweile hat, kann gerne jetzt rätseln, welche Zeile welcher Hymne entnommen ist.

P.P.S.: Hier meine Antwort auf die Frage, ob Deutschland Weltmeister wird: Natürlich, denn da gestern „Siebenschläfertag“ war, wird unsere Mannschaft nun sieben Wochen lang ebenso erfolgreich spielen und somit die WM gewinnen. (Für unseren nächsten Gegner Argentinien, der ebenfalls gestern gewonnen hat, gilt dies nicht, da der Siebenschläfer in ihren Gefilden nicht beheimatet ist.)

Donnerstag, Juni 17, 2010

Semper talis

„Stets gleich“ – so lautet der Wahlspruch des Wachbataillons, das vor wenigen Tagen unseren Bundespräsidenten mit dem Großen Zapfenstreich aus dem Amt verabschiedet hat. Es könnte aber ebenso gut das Leitprinzip des Grundgesetzes sein – oder besser sollte es dies. Der heute erschienene Artikel von Kurt Biedenkopf, in dem er vor einer Verknüpfung der Bundespräsidentenwahl mit tagespolitischen Fragen warnt und eine damit einhergehende Aufweichung der Verfassungsprinzipien attestiert, führt mich zu der Frage, ob nicht generell seit Bestehen des Grundgesetzes, dieses zunehmend ausgeweitet und zum Teil pervertiert wurde und weiterhin wird. Auch wenn jeder dieser Kunstgriffe im Einzelnen zum Teil einer Kritik unterzogen wurde, so machen wir uns jedoch meines Erachtens zu wenig Gedanken darüber, was diese „Tricks“ in ihrer Gesamtheit aus unserer Verfassung machen. Hier hilft eine einfache Hausfrauenweisheit: "Wer beim Topflappen zuviel im Hintergrund knüpft, hat irgendwann ein Knäuel."

Neben der aktuellen Frage der Politisierung der Bundesversammlung, die, wie Biedenkopf sehr präzise ausführt, der eigentlichen Idee dieses Verfassungselements entgegensteht, gab es in der Vergangenheit immer wieder Verfassungselemente, die zwar formaljuristisch korrekt eingesetzt wurden, jedoch im falschen Kontext. Hier nur zwei Beispiele – es gäbe sicherlich mehr, die man in diesem Sinne anführen könnte:

Als Kohl 1982 die Vertrauensfrage scheitern ließ, um Neuwahlen zu erzwingen, war dies insofern im Sinne der Verfassung, da er das Votum nach einer elementaren Veränderung der Situation im Parlament an das Volk zurückgegeben hat. Die Vertrauensfrage Schröders hingegen, als ein Mittel zum Zweck einer Sachentscheidung steht diesbezüglich schon auf wackligeren Beinen und wenn heute die SPD schon von durch Merkel hervorzurufende Neuwahlen spricht, läuft dies dem Grundgesetz vollends zuwider. Es gibt in unserer Verfassung streng genommen keine Neuwahlen – zumindest nicht im Sinne einer Selbstauflösung des Parlaments. Neuwahlen sind im Grundgesetz quasi nur vorgesehen, um einen Ausweg aus einer akuten Notsituation, nämlich dem Vertrauensverlust des Parlaments in die Regierung, zu bereiten. Es ist jedoch kein Mittel, um die eigenen Parteileute wieder auf eine Linie zu bringen.

Ein ebenso pervertiertes Verfassungselement ist die Prüfung von Gesetzen durch das Bundesverfassungsgericht, welches leider in der Vergangenheit auch zu oft ausgereizt wurde. Denn es ist nicht Aufgabe des Parlaments wahllos Gesetze zu erlassen im Wissen, dass diese einer Prüfung nicht standhalten werden, es jedoch darauf ankommen zu lassen, dass sie wieder aufgehoben werden. Soll Karlsruhe doch die Arbeit machen. Das ist dann in etwa so, als würde ein Restaurantbesitzer die Reinigung der Küche nur noch schlampig erledigen, denn wenn es zu schlimm wird, kommt ja Herr Rach.

Was kommt, ist jedoch nicht Herr Rach, sondern die Rache – die Rache der Geschichte, aus der wir – so scheint es – weniger gelernt haben, als uns lieb ist. Denn was aus einer guten Verfassung werden kann, wenn man einzelne Elemente entgegen ihrem Grundgedanken einsetzt, haben wir in Deutschland schon einmal erfahren. Der ein oder andere mag sich jetzt an der Bezeichnung „gute Verfassung“ im Hinblick auf die Weimarer Reichsverfassung stören. Hierzu sei gesagt, dass es sehr wohl eine gute Verfassung war oder zumindest eine bessere als es in den meisten Geschichtsbüchern steht. Bei genauem Hinsehen zeigt sich nämlich, dass sie über einiges verfügte, was sehr wohl gut war und auch ihr Scheitern ist nicht aus ihr selbst zu begründen – zumal monokausale Erklärungen in diesem Zusammenhang sowieso fehl am Platze sind. Sie mag einige Schwachstellen gehabt zu haben, aber diese hat jede Verfassung – auch das Grundgesetzt, wie man an der aktuellen Debatte sieht.

Denn man male sich einmal aus, was passierte, wenn wieder einmal eine politische Kraft am Werke wäre, die sich zum Ziel gesetzt hätte, die Verfassung mit ihren eigenen Mitteln außer Kraft zu setzen – formaljuristisch ist seinerzeit auch nichts schiefgelaufen. Mit einer solchen Kraft, die wohl nur in Form einer Partei auftreten könnte, wären wir bei der heutzutage geduldeten Verfassungspraxis nicht mehr allzu weit entfernt von einem abermaligen Kollaps. Wenn das Staatsoberhaupt politisch mit der stärksten Partei verknüpft ist und sich das Parlament nach Belieben auflösen kann und verfassungswidrige Gesetze erlässt, die dann bis zu ihrer Prüfung erst einmal wirken und durch ein Gericht erst korrigiert werden können – ein Gericht übrigens, dessen Mitglieder ebenfalls gewählt sind und wo eine ähnliche Einflussnahme einer Partei möglich wäre – dann sind wir soweit von „Weimarer Zuständen“ nicht mehr entfernt.

Der einzige Unterschied und wohl unser großes Glück heute ist, dass es aktuell keine solche Kraft gibt – oder besser: keine ausreichend große. Ob dies jedoch auf immer so bleiben wird, ist fraglich und daher wehret den Anfängen. Will heißen: Wir sollten mehr darauf Acht geben, wie die einzelnen Zahnräder unserer Verfassung genutzt werden, wenn wir möchten, dass die Uhr auch noch in Zukunft funktioniert. Überspitzt dargestellt könnte man auch fordern, dass auch das Handeln des Kanzleramts sowie des Parlaments vom Verfassungsschutz beobachtet werden müsste. Vor allem sollten wir wieder versuchen im Grundgesetz auch zwischen den Zeilen zu lesen – nur so wird es zur Verfassung. Wir müssen das System als solches verstehen, nicht als eine Ansammlung von Artikeln. Dieses System verfügt über eine wohl austarierte Balance, die es zu halten gilt und hier gilt nicht der Kohl’sche Spruch, dass nur wichtig sei, was hinten raus kommt.

Andernfalls müsste man den Deutschen attestieren, dass sie wieder einmal der Welt den Unterschied demonstrieren zwischen „gut gemacht“ und „gut gemeint“. Dann würde das gleiche Attribut, dass im Kontext der Verfassung als richtig gilt, negativ auf uns zurückfallen und wir wären leider auch „semper talis“.

Freitag, Juni 11, 2010

„Notti magiche“ oder besser „nou nagte“

Es ist wieder soweit – die Fußballweltmeisterschaft hat begonnen und uns erwartet hoffentlich wieder ein spannender Sommer, der die Binnenkonjunktur einmal mehr trotz aller Krisen ankurbeln wird. Wenn es auch vor vier Jahren nicht ganz geklappt hat, so war es doch ein tolles Erlebnis, zu sehen, wie ein ganzes Land plötzlich aus dem Schlummer erwacht und geschlossen hinter einer Sache steht – man würde sich dies auch in anderen Kontexten wünschen.

Ich persönlich habe mich, obwohl der Fußballfunke mich noch nicht zu hundert Prozent erfasst hat, schon einmal auf die anstehenden Wochen mit meinem ultimativen WM-Song eingestellt: „Un Estate Italiana“ von Gianna Nannini und Edoardo Bennato. Der offizielle Song zur Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien erzeugt bei mir bis heute regelmäßig Gänsehaut pur. Damals war ich acht Jahre und verstand noch nicht alles, was da vorging – zum Beispiel dass es der erste Sieg einer (offiziell zu dem Zeitpunkt noch nicht) wiedervereinigten Nation war. Dennoch sehe ich heute noch die Bilder aus dem Stadio Olimpico in Rom vor mir – ganz besonders gut erinnere ich mich an Highlights, die einem als Kind besonders skurril vorkamen, wie fliegende Schuhe oder in Lockenköpfe spuckende Fußballer. Wer mich kennt, weiß, dass ich von diesem Sport in der Regel keine Ahnung habe, aber dank meines damaligen Panini-Sammelalbums, ist es mir selbst heute nach 20 Jahren noch möglich, einen Großteil des damaligen Kaders namentlich aufzuzählen – sehr zur Verwunderung meines kleinen Bruders.

Auch bei der letzten WM hat es mich dann gepackt, was jedoch in Anbetracht dieser allübergreifenden Euphorie auch kein Wunder ist. Was war das ein toller, emotionsgeladener Sommer – die Welt zu Gast bei Freunden, wochenlange Dauerparty und Freude, wohin man sah. Sogar über das Ausscheiden Deutschlands hinaus – wenn dann auch ohne Pizza und Eis.

Wenn sich auch die Negativmeldungen in den letzten Wochen häuften, so hoffe ich doch, dass unsere Mannschaft gut abschneiden wird. Da ich ja, wie im letzten Beitrag schon angedeutet, vermute, dass dieses Jahr, das Jahr des „zweiten Mals“ ist, so lässt dies doch hoffen.

Jedenfalls wünsche ich allen einen spannungsgeladenen Sommer mit vielen Toren und einer hoffentlich sehr erfolgreichen deutschen Mannschaft.

Dienstag, Juni 01, 2010

Mein Horst, mein Horst, warum hast du mich verlassen?

Spannender hätte die politische Woche nicht beginnen können und nachdem ich in der letzten Zeit des Öfteren den Impuls hatte, diesen Blog zu reanimieren, denke ich, dass ein solch brisantes Ereignis eine gute Gelegenheit ist, dies zu tun.

Bundespräsident Horst Köhler ist zurückgetreten – ein Ereignis, dass es (entgegen mancher Medienaussage) erst einmal in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Allerdings ist dieser Rücktritt insofern etwas Neues, als dass er mit sofortiger Wirkung vollzogen wurde und uns zum zweiten Mal in die Situation versetzt, dass der Bundesratspräsident kommissarisch das Amt übernimmt (das erste Mal war vor der Wahl Theodor Heuss). Neben den ersten aufkeimenden Spekulationen, wer denn nun in 30 Tagen Köhler in seinem Amt beerben könne, fragt man sich auch, was denn nun wirklich der Grund seines Rücktritts gewesen sein mag.

Werfen wir doch erst einmal einen Blick auf den offiziellen Grund, die Kritik an den Äußerungen des Bundespräsidenten zu militärischen Einsätzen Deutschlands in der Welt. Man mag ihn vielleicht dahingehend kritisieren dürfen, dass seine Aussagen nicht eindeutig genug formuliert waren und es, da das Interview in einem direkten Zusammenhang mit seiner Afghanistanreise stand, leicht zu Missverständnissen kommen konnte, jedoch inhaltliche Kritik ist meines Erachtens nicht angebracht gewesen. Denn was hat Köhler denn gesagt, was der aufgeklärte Bürger nicht selbst schon wusste? Zumal er nur etwas paraphrasiert hat, was im Weißbuch der Bundeswehr in der Version von 2006 festgehalten ist: dass es auch zu den Aufgaben der deutschen Streitmacht gehört, Handelswege zu sichern und zur Stabilisierung von Krisenregionen beizutragen.

Wir alle leben gut und gerne im Kapitalismus. Dass dieser jedoch – unter gewissen Umständen – auch mittels Waffengewalt verteidigt und geschützt werden muss, will keiner wahr haben. Aber so und nicht anders funktioniert das kapitalistische System nun mal. Auch wenn heutzutage schreckliche Ausuferungen dieses Prinzips überwunden sind und der Kapitalismus losgelöst von Nationalstaatlichkeit und imperialistischen Bestrebungen ein eher gewaltfreies System ist, so gab es, gibt es und wird es immer wieder Situationen geben, in denen zum letzten Mittel gegriffen wird. Man mag dies dann im Einzelfall kritisieren und es bedarf auch immer einer genauen Überprüfung solcher Einsätze, jedoch wird es sich nicht immer verhindern lassen.

Der Vorwurf, Köhlers Aussagen seien sogar so weit gegangen, dass sie gegen die Verfassung verstoßen, entbehrt meiner Meinung nach jeder Grundlage – mal ganz im Ernst: er hat weder zu einem Angriffskrieg aufgerufen, noch wollte er in andere Nationen einfallen, um diese auszuplündern. Seine Aussagen fokussierten eine Schutzfunktion, die eine der führenden Nationen dieser Welt nun einmal zu ihren Pflichten zählen muss. Ein souveräner Staat hat nicht nur eine Verpflichtung im Inneren für Frieden zu sorgen, sondern hat ebenso – gerade in einer globalisierten Welt – im Äußeren für Sicherheit und Frieden zu sorgen.

Bezüglich der angeblichen Verfassungswidrigkeit sei angemerkt, dass man auch hier die Sache etwas differenzierter sehen muss. Eine ertragreiche Herangehensweise an das Grundgesetz ist immer die Frage, warum etwas dort niedergeschrieben ist. Der Grundgedanke der Bestimmungen zu militärischen Fragen ist doch jener, dass man nach der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts eine zweite Wiederholung verhindern wollte. Daher schloss man jedwede militärische Betätigung jenseits der Verteidigung im Falle eines Angriffs aus. Dies geschah auch unter der strengen Obhut der Besatzungsmächte, denen selbst 1989 noch etwas mulmig war, wenn sie sich ein geeintes Deutschland vorstellten. Doch Deutschland hat in den letzten 60 Jahren sehr gut bewiesen, dass es eine friedliche Nation sein kann und der europäische Friede, der genuin ist und den man seit Jahrhunderten zu erringen nicht in der Lage war, ist maßgeblich von deutschen Politikern mitgestaltet worden und dies nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten.

Doch leben wir heute im 21. Jahrhundert – keiner wird ernstlich behaupten wollen, dass von Deutschland eine militärische Bedrohung ausgehe. Jedoch finden wir uns in einer Situation wieder, in der Nationalstaaten zunehmend dadurch an Bedeutung verlieren, dass sie in einem internationalen Geflecht miteinander verbunden sind und supranationale Interessen immer auch mitgedacht werden müssen. Innerhalb eines solchen Gefüges entstehen auch Verpflichtungen für Deutschland, die die Vorstellungskraft unserer Verfassungsväter übersteigen – keiner der damals Versammelten hätte sich gewagt zu versprechen, dass Deutschland binnen 60 Jahren eine so wichtige Rolle in der Welt zukommen könne. Somit kann man sagen, dass die damals sehr berechtigte Demilitarisierung heute doch leicht anachronistische Züge hat, was jetzt nicht heißen soll, dass man nun zu einer Militärmacht werden soll, jedoch sollte man überlegen, ob die selbst auferlegte Strenge noch zeitgemäß ist und den weltpolitischen Realitäten stand hält. Es ist nicht auszuschließen, dass es vielleicht auch einmal vonnöten sein könnte, aufgrund akuter Bedrohung und im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit, selbst angreifen zu müssen. Denn sogar ein Weltstaat, wie ihn Kant schon Ende des 18. Jahrhunderts in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ angedacht hatte, würde qua Gewaltmonopol und der Verpflichtung innere Sicherheit zu gewährleisten im Extremfall zur Waffe greifen müssen. Es ist zu vermuten, dass Kant einer übermäßigen Beschränkung, wie sie in unserer Verfassung vorgesehen wird, insoweit widerspräche, als sie der Durchsetzung des Friedens in der Welt entgegensteht. Generell sollten einige Politiker diese Schrift (noch) einmal zur Hand nehmen – hier finden sich viele Antworten auf aktuelle Fragen.

Doch zurück zum Ausgangsthema: Ich habe die Befürchtung, dass die Kritik nicht der einzige Grund war, weshalb Köhler sich zu diesem Schritt entschlossen hat. Zumal es im Schatten des Rücktritts Roland Kochs und der Fehlinformation des Parlaments durch Angela Merkel im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise ein weiteres Indiz dafür sein könnte, dass aktuell einiges – fernab des öffentlichen Auges – hinter den Kulissen passiert. Es würde mich nicht wundern, wenn in den nächsten Wochen weitere Paukenschläge die deutsche Politik erschüttern würde – es ist mehr im Busch als nur die Weltmeisterschaft in diesem Sommer. Angesichts der anstehenden Klausurtagung des Kabinetts ist fraglich, ob unsere Regierung den aktuellen Herausforderungen gewachsen ist – es wäre nicht das erste Mal, dass eine liberale Ministerriege geschlossen ihren Rücktritt erklärt und da 2010 ein Jahr zu sein scheint, in dem viele Ereignisse entgegen aller Erwartungen zum zweiten Mal passieren, sollte mit Allem gerechnet werden.

Hinsichtlich der Frage bezüglich des Respekts vor dem Amt des Bundespräsidenten muss sich der Privatmann Köhler nun jedoch eine Frage gefallen lassen: Zeugt es von Respekt diesem Staatsamt gegenüber, wenn man es aufgrund einer wenn auch hart geführten, so doch im politischen Alltag normalen Debatte einfach hinwirft? Ich denke dahingehend hat dieses höchste Amt gestern etwas gelitten und es gilt nun dem Nachfolger, den dadurch verlorenen Respekt wieder auszugleichen. Wer für eine solche Aufgabe geeignet wäre, dazu kann ich aktuell noch keine Stellung beziehen, da mir noch niemand eingefallen wäre, der realistisch in Betracht zu ziehen wäre. Meine Favoriten Genscher und Schmidt fallen wohl aufgrund des Alters heraus, ebenso von Weizsäcker – zumal bei letzterem auch fraglich wäre, ob er das Amt noch einmal antreten könne, der Wortlaut des Grundgesetzes, der lediglich eine zweite Wiederwahl ausschließt, scheint dies zuzulassen. Daher bleibe ich aus Ermangelung an umsetzbaren Ideen vorerst bei meinen drei humoristischen Kandidatenvorschlägen: Horst Schlämmer, Uschi Blum und dem fiktiven Bundestagsabgeordneten Jakob Maria Mierscheid.

Abschließen möchte ich diesen ersten Beitrag jedoch mit einem ernsthaften Aspekt des eben Erörterten: Kants Schrift sollte zur Pflichtlektüre der Regierenden der Welt gehören und auch die deutsche Politik muss sich fragen, ob eine kantische Überprüfung des Grundgesetzes nicht sinnvoll sei.