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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Dienstag, Mai 03, 2011

„Freude, schöne Götterkugel,…

… Kopfschuss tief in Pakistan. Wir hier beten feuertrunken dich und deinen Schützen an.“ So könnte sie lauten, die neue Hymne der westlichen Welt, nachdem gestern der weltweit meistgesuchte Terrorist im Kugelhagel starb. Ich dachte gestern, ich höre nicht recht, als den Mündern sämtlicher führender Politiker die Worte „Freude“ und „Gerechtigkeit“ entsprangen. Selbst unsere Bundeskanzlerin und unser Bundespräsident „stimmen in den Jubel ein“, wie es bei Beethoven in einer späteren Strophe heißt. Doch das gestern Geschehene, ist weder ein Grund zur Freude, noch ein Akt der Gerechtigkeit.

Bevor ich jedoch näher auf dieses Thema eingehe, sehe ich mich gezwungen, mich vorab von jedweder Art des Terrorismuses zu distanzieren, denn allzu schnell kommt dieser Tage der Vorwurf auf, man wolle die Taten von al-Qaida oder ähnlichen Organisationen rechtfertigen oder gar verteidigen. Doch darum geht es nicht, wie ich im weiteren darlegen werde. Bedauerlich ist nur, dass man einen Absatz wie diesen hier, überhaupt niederschreiben muss, wenn man darauf aufmerksam machen möchte, dass gestern mehr falsch gelaufen ist, als es der sogenannten „westlichen, zivilisierten Welt“ eigentlich recht sein kann – doch scheint dies niemanden zu stören.

Heute entnahm man der Berichterstattung ein Szenario, mit welchem ich keinerlei Probleme hätte: Bin Laden wurde im Zuge seiner anvisierten Festnahme deshalb getötet, weil er sich mit Waffengewalt gewehrt hat. Er ist quasi im Kugelhagel gestorben, wie es oft bei der Überführung von Gewalttätern geschieht. Kein Problem damit. Doch gestern – und die meisten Jubelsbekundungen, auf die ich mich beziehe stammen von gestern – wurde selbst von Obama in seiner Ansprache ein anderer Eindruck erweckt. Es hatte vielmehr den Anschein, als sei bin Laden gezielt durch einen Kopfschuss hingerichtet worden.

Wäre ich Berater von Obama, so hätte ich ihm gestern schon zu einer Darstellung wie der von heute geraten und hätte ihm gesagt, er solle den Menschen bewusst machen, dass man ihn eigentlich hätte lebend fassen und vor ein internationales Gericht stellen wollen. Denn dies wäre einem Land mit einer rechtsstaatlichen Verfassung der einzig legitime Weg gewesen. Auch wenn der Vergleich hinkt, so sei hier nur daran erinnert, dass selbst Eichmann seinerzeit ein fairer Prozess gebilligt wurde – vor einem israelischen Gericht. Das hatte die nötige Größe, die allzuoft gegen jene ins Feld geführt wird, über die man gestern einen Sieg errungen hat. Doch der Jubel, etwa vor dem Weißen Haus, unterscheidet sich in nichts von dem ebenso widerwärtigen Jubel in der arabischen Welt seinerzeit nach den Anschlägen des 11. Septembers. Geiches mit Gleichem – Auge um Auge – Zahn um Zahn.

Eigentlich sollten wir jedoch nicht mehr in ein so mittelalterlich anmutendes Verständnis von Strafe zurückfallen und dennoch hat man den Eindruck als stünde die Weltöffentlichkeit gerade jubelnd vor dem Schaffott und würde mit Begeisterung darauf warten, dass der Kopf endlich aufgespießt an der Tower Bridge präsentiert würde. Wie anders erklärt man sich die mediale Gier nach der Veröffentlichung der Fotos der Leiche. Doch befinden wir uns nicht mehr im 18. Jahrhundert sondern vielmehr in einer Welt die es geschafft hatte, selbst nach der unmenschlichsten Katastrophe, dem Holocaust, Grundsätze des verantwortungsbewussten Umgangs mit dem staatlichen Gewaltmonopol einzuhalten.

Ungeachtet der Tatsache, dass ich selbst die Todesstrafe für eine zurecht überwundene Strafform halte, und gesetzt den Fall ich würde ihr zustimmen, so doch nicht durch ein wie auch immer geartetes Exekutivkommando, sondern lediglich als potentieller Ausgang eines richterlichen Urteils im Anschluss an einen Prozess. (Hierbei sei noch einmal darauf hingewiesen, dass ein Kugelhagelszenario, wie oben beschrieben, etwas anderes ist.) Dies hätten sollen die Jubelnden mit in ihre Reden aufnehmen müssen, wenn sie glaubhaft als moralisch überlegene Akteure, als die sie sich in anderen Fällen wie etwa Steinigungen oder Ehrenmorden darstellen, hätten auftreten wollen. Auch hätte man, wie beispielsweise Helmut Schmidt gestern Abend darauf hinweisen können, dass sich der ganze Einsatz in einem Kontext abgespielt hat, dem ein Beigeschmack der Zweischneidigkeit anhaftet. Denn ob es rechtens ist, dass die Amerikaner in Pakistan zugeschlagen haben, hängt auch von anderen komplexen juristischen Fragen ab: Lässt sich das Kriegsrecht oder gar das Völkerrecht auf einen Gegner anwenden, der nicht über eigenes Territorium verfügt wie der international agierende Terrorismus? Darf ein Staat in den Souveränitätsbereich eines anderen Staates eingreifen, um den eigenen Gegner zu fassen? Wie müssen international anerkannte Regeln in einer Zeit des globalen Terrorismus umgedeutet werden? All dies sind Problemfelder, die jedweden Jubel hätten im Keime ersticken müssen.

Der Gipfel meiner Abscheu war jedoch heute erreicht, als ich zum ersten Mal das Bild aus dem Situation Room des Weißen Hauses sah. Für viele mag dies ein Beleg für die Betroffenheit der Verantwortlichen sein, die mit gespanntem Entsetzen den Ereignissen aus der Ferne und somit in gewisser Weise ohnmächtig folgen. Für mich ist die Veröffentlichung dieser Bilder eine widerwärtige Demonstration von Überlegenheit und eine unverhältnismäßige und anachronistische Inszenierung von Macht. Der Kaiser und seine Gefolgsleute schauen zu, wie der Verbrecher in der Arena vom Gladiatoren den Todesstoss versetzt bekommt. Einzig der gesenkte Daumen fehlt.

Eine andere Assoziation kam mir gleich darauf, die diesem Bild eine perfide Aura der Unschuldigkeit verleiht: Man hat fast den Eindruck, als schaue man auf eine Gruppe pubertierender Jungs bei einer Counterstrike-LAN-Party. Alle schauen gebannt und adrenalinüberflutet auf die Bildschirme und nur die Freundin des Gastgebers findet das, was sich im Flimmerkasten abspielt anstößig, zumal sie den Abend lieber mit ihrem Schatz zu zweit bei einem romantischen Film verbracht hätte und nun feststellen muss, dass ihr lieber, zärtlicher Freund auch über eine gewaltverherrlichende Schattenseite verfügt – selbst die gerade ins Zimmer gekommene kleine Schwester im Hintergrund fehlt in diesem modernen Alltagsidyll nicht.

Wer immer dieses Bild in die Öffentlichkeit gebracht hat und was immer er damit ausdrücken und bezwecken wollte, sollte sich fragen, ob er das nötige Feingefühl hat, auf das es in der Welt der medialen Politik ankommt. Solche Bilder, gerade in einem solchen Kontext, enthalten mehr Bedeutung als das, was sie zeigen. Sie generieren auf vielfältigste Weise zusätzliche Bedeutung – aus der Situation, aus der Rezeption und nicht zuletzt aus der Interpretation des Betrachters. Politische Semiotik ist nicht die Stärke gewesen von dem, der dieses Bild nach außen getragen hat – oder gerade doch, was wiederum darauf ankommt, wie man das Gesamtgefüge bewertet.

Meines Erachtens trägt dieses Bild nur zu einem bei: Die durch die gestern dargestellte Mär einer heroischen Hinrichtung im Namen der Gerechtigkeit gesäte und posthum bin Laden gewährte Märtyrer-PR noch weiter aufzublasen. Hier wird ein Ereignis mystifiziert und medial aufgebauscht, dass daraus nur eine die Zeiten überlebende Legene werden kann. Ich wäre nicht erstaunt, wenn es in Kürze schon die ersten bin Laden-Shirts gäbe – selbst bei uns und in Amerika. Hier wird der Nährboden für einen künftigen Kult gelegt, den man an sich hätte einfach verhindern können.

Aber um zurück zu kommen auf das eingangs Geschriebene und um klar zu machen, um was es mir mit diesem Beitrag geht: Mir persönlich bedeuten die Worte „Freude“ und „Gerechtigkeit“ zu viel, als dass ich sie für eine so niedere Rachsucht instrumentalisiert sehen möchte – ganz gleich wie erleichtert ich darüber bin, dass bin Laden nun keinen weiteren Schaden wird anrichten können. Wobei man nicht weiß, ob man durch diesen Märtyrertod nicht Geister gerufen hat, die man dann ihrerseits nicht los wird. „Freude“ empfindet man nicht wenn man der Realität von Krieg, Elend und Terror entgegensieht und „Gerechtigkeit“ war einst eine Tugend – höher noch als „Recht“, da selbst letzteres immer wieder daran scheitert, erstere zu verwirklichen.

Angesichts dessen kann ich Peter Scholl-Latour nur zustimmen, der gestern bei Beckmann sagte: „Ich hab‘ ihm keine Träne nachgeweint, ich hätte aber auch nicht in diesen Jubel eingestimmt, der da auf den Plätzen in Amerika stattgefunden hat. Das ist was vulgär.“ Bei all dem Schrecken und Leid, was Osama bin Laden der Welt beschert hat, so gilt immer noch: Wir sind hier nicht bei „Lynch dir was“.