Ben's Kommentar

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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Montag, Januar 30, 2006

Das viel zu kleine Stück des Himmels

Gestern bin ich auf eine CD in meinem Regal gestoßen, die ich lange nicht mehr gehört habe und die meine derzeitige Lage sehr gut beschreibt – der Soundtrack des Films „Yentl“ mit Barbra Streisand.

Egal wie man nun zu Barbra Streisand steht, denn mir ist natürlich bewußt, dass sie einer der beiden schwulen Ikonenpole ist, denn schließlich habe auch ich schon einmal eine S/M-Beziehung geführt, wie Armistead Maupin sie in den „Tales of the City“ beschreibt (für alle, die es nicht gelesen haben: eine S/M-Beziehung ist, wenn einer der Partner Streisand mag, der andere jedoch lieber Bette Midler mag und es somit immer wieder zu Ärger vor der Stereoanloage kommt), so denke ich doch, dass diesen Film jeder einmal gesehen haben sollte, der mehr aus seinem Leben machen möchte, als man ihm zutraut.

Es wird die Geschichte eines jüdischen Mädchens erzählt, das im Osteuropa des beginnenden letzten Jahrhunderts gerne studieren möchte, dem dieses jedoch aufgrund des Geschlechtes verwehrt ist. Sie ist getrieben von dem faustischen Verlangen wissen zu wollen, „was die Welt im innersten zusammen hält“. Sie stellt sich ganz zu Beginn Fragen, die sie laut der sie umgebenden Gesellschaft nicht stellen sollte. Warum haben Vögel flügel, wenn nicht zum Fliegen? Warum haben wir den Geschmackssinn, wenn nicht zum Genuss von Wein? Und warum haben wir warum wir einen Geist haben, wenn nicht zum nachdenken und hinterfragen? „And tell me please, why have a mind if not to question why?“

Also macht sie sich auf, denn sie will ihren “share of ev’ry sweet imagined possibility”, weshalb sie sich als Junge verkleidet und sich aufmacht um in einer Yeshiva in Bechev zu studieren, wo sie auf Avigdor trifft, in den sie sich verliebt, der jedoch Hadass liebt und heiraten möchte. Wiederum durch verstockte Normen einer rückständigen Gesellschaft kommt es nicht zu der Ehe, die daraufhin zwischen Yentl und Haddas geschlossen wird und so lange hält, bis Yentl ihr Geheimnis preisgibt und diesem Leben der Verwirrungen entflieht und ihre Reise fortsetzt „to a plave where she hears things are different.“

Dieser Film zeigt genau und dies auch jenseits des symbolischen Cross-Dressings, wie man sich fühlt, wenn man ein Verlangen hat, etwas zu ändern. Wenn einem die Welt, so wie sie einem präsentiert wird nicht mehr ausreicht und man nicht einsieht, warum man nun gerade dies tun und jenes lassen soll, nur weil alle es so tun und es schon immer so getan haben. Denn genau dies ist es, was uns doch immer wieder davon abhält, etwas zu verändern. Gepolt von den Konventionen unserer Gesellschaft trauen wir uns nicht, neue Wege zu beschreiten, Mut zu zeigen und ungewöhnliche Dinge zu tun. Man sagt uns, es sei gefährlich, falsch, verrückt oder nicht richtig und schon geben wir auf und lassen unsere Möglichkeiten, die wir uns so süß vorgestellt haben brach liegen und verharren im gewohnten Trott.

Laut allen physikalischen Gesetzen der Aerodynamik ist eine Hummel nicht in der Lage zu fliegen. Wäre sie ein Mensch und wüßte dies, so würde sie es wahrscheinlich gar nicht erst versuchen, da sie ja ganz sicher wüßte, dass sie dazu nicht in der Lage ist, doch eben weil sie nicht darüber nachdenkt, fliegt sie. Ohne wenn und aber – einfach so.

Im Film wird jedoch auch die andere Möglichkeit gezeigt, in Form von Haddas, die ganz brav in dem ihr vorgeschriebenen Leben lebt, immer artig am Herd steht und einfach ihre Pflicht erfüllt, getreu dem Motto: „Üb immer Treu und Redlichkeit bis an dein kühles Grab.“ Dafür wird sie in gewisser Hinsicht auch von Yentl beneidet, denn sie hat dadurch auch keine Sorgen, kann sich sicher und geborgen fühlen und empfindet nicht diese Angst und die zermarternden Schmerzen des Selbstzweifels, wenn man auf dem unbetretenen Weg stehen bleibt und sich weder sicher ist, wo man sich gerade befindet oder wo und wie es weitergehen soll, keiner einem sagen kann, wie man sich nun verhalten soll.

Wer sein Leben verändert und neue Wege einschlägt ist meist allein – niemand um ihn herum, der diesen Weg mitgegangen ist. Verwirrung, das Gefühl verloren zu sein – zwischen Zeit und Raum treibend, ohne Halt, ohne Orientierung, ohne Sicherheit und zudem das Gefühl, immer weiter vom eigentlichen Ziel wegzukommen, je weiter man geht. Jeder, der sich einmal in einer größeren Stadt verlaufen hat, kennt dieses Gefühl. Wenn man an jeder Ecke denkt, man sei hier schon mal gewesen und irgendwann alle Ecken gleich aussehen, die Anhaltspunkt nicht mehr auffindbar sind und man immer mehr den Eindruck bekommt, hinter der nächsten Biegung komme eher der Nordpol als ein Punkt an dem man sich orientiern könne.

Und das alles nur, weil man nicht genug bekommen konnte. Man fühlt sich gestraft für die Unvernunft und denkt sich: „Hättest du doch besser auf die Anderen gehört und wärst zuhause geblieben.“ Aber man wollte ja „Hänschen Klein“ spielen und dachte man könne mit Stock und Hut bewaffnet, die Welt erkunden und jetzt sitzt man da, wie Yentl im Wald in der Finsternis und betet im Schein einer Kerze gen Himmel etwas Höheres an und bittet darum, dass man ein Zeichen bekommen solle.

Doch gerade das letzte Lied im Film macht Mut, denn es beschreibt einen solchen Weg vom Beginn an:

“It all began the day I found that from my window I could only see a piece of sky.”

Ja, so fängt’s meistens an. Man merkt, dass das, was man hat, nicht alles sein kann, dass es doch noch mehr geben muss.

“I stepped outside and looked around, I never dreamed it was so wide or even half as high.”

Ein Faszinosum, dass wohl jeden schon einmal erfasst hat – die Weite. Egal ob nun im Wildwestfilm oder beim Mitfiebern bei Star Trek es sind immer die „unendlichen Weiten“, die uns begeistern und nach Abenteuern rufen.

“The time had come to try my wings and even though it seemed at any moment I could fall, I felt the most amazing things, the things you can’t imagine if you’ve never flown at all.”

Fliegen, wer hat nicht als Kind davon geträumt. Einfach die Flügel ausbreiten und diese Welt verlassen. Doch eines Tages akzeptierte man dann, dass es dafür Maschinen gibt und begeisterte sich höchstens noch für die technische Seite und die Träume schwanden wie Sand in der Eieruhr. Doch spätestens, wenn man in einen Stau gerät, dann wünscht man es sich wieder: Einfach beschleunigen und abheben.

“Though it’s safer to stay on the ground, sometimes where danger lies there the sweetest of pleasures are found.”

Die Ängste, die uns hindern kämpft den ewigen Kampf mit dem Reiz des Verbotenen, denn dort wo Dornen sind, wird man auch Rosen finden und schon früher lagen die Süßigkeiten im Regal immer oben und man musste die Gefahr auf sich nehmen, sich bei einem Sturz zu verletzen, wenn man in ihren Genuss kommen wollte.

“[…] The more I live – the more I learn. The more I learn – the more I realize the less I know. Each step I take – each page I turn – each mile I travel only means the more I have to go.”

Die klassische Feststellung Sokrates: “Ich weiß, dass ich nichts weiß”. Und dies festzustellen ist nicht angenehm und auch Descartes zweifelte so lange bis er nur noch das Zweifeln als solches als gesichert ansah und sich aufgrund dessen seiner selbst sicher sein konnte. Es ist die grausame Tatsache, dass sich bei jeder Antwort, die wir erlangen, mindestens zwei neue Fragen stellen. Es verhält sich hier wohl wie bei der Relation der natürlichen Zahlen zu den irrealen Zahlen zwischen null und eins: Obwohl beide Mengen unendlich sind, so gibt es doch von Letzteren mehr, da sie nicht mehr abzählbar sind. Die Antworten des Lebens sind begrenzt unendlich, die Fragen jedoch unbegrenzt unendlich.

“What’s wrong with wanting more? If you can fly – then soar! With all there is – why settle for just a piece of sky?”

Die alles entscheidende Frage: Warum sich zufrieden geben? Warum nur das kleine Stück vom großen Glück nehmen und sich tatenlos in die Ecke setzen? Gibt es dafür einen Grund? Sollten wir nicht unsere Höhenangst überwinden und den Regenbogen überschreiten, damit auch wir den Topf voll Gold am anderen Ende unser Eigen nennen können? Gibt es irgendeinen Grund etwas nicht zu tun? Widersprechen sich hier nicht die Ratschläge, die wir in der Kindheit bekommen haben? Denn wie sagte meine Oma immer in Bezug auf’s Essen: „Man kann immer sagen, dass einem etwas nicht schmeckt, jedoch probieren muss man!“ Doch warum versteht es keiner, wenn man probiert, experimentiert und auf Dinge stößt, die nicht ins gewohnte Bild passen? Warum wird man für verrückt erklärt, als Ketzer verbrannt oder als Dummschwätzer in eine Schublade gesteckt? Oder warum tut man es sich zum Teil selber an und geht ganz wie die Wissenschaftler in Dürrenmatts „Die Physiker“ freiwillig in die Psychatrie um die Welt vor der gefundenen Erkenntnis zu schützen, wissend, dass man zuviel böses damit anrichten könne oder es zu große Konsequenzen hätte, würde man versuchen am guten, alten Weltbild zu rütteln?

Wäre Christopher Kolumbus nicht losgesegelt, wir würden heute noch Angst haben vom Rand zu purzeln. Doch er hat es getan und so sollte jeder, wenn er eine Chance sieht, so schwer zu erreichen sie auch aussieht, sie ergreifen und etwas daraus machen, auch wenn es sich vielleicht nur um etwas Kleines handelt, ein Denkmuster, eine Gewohnheit, einen Job, ein Partner, ein Wohnort oder was auch immer. Wenn man das Gefühl hat, dass es nicht mehr stimmt, nicht mehr reicht oder einfach nur dessen überdrüssig ist, dann sollte man die Arche des Neubeginns besteigen bevor die Sinnflut des Alltags über einen hereinbricht. Und dass nur aus einem einzigen Grund:

Denn sie dreht sich doch!

Dienstag, Januar 24, 2006

Chaos und wie man es beseitigt

So, nachdem nun hier eine relativ große Lücke entstanden ist, in der ich diese, meine geliebte Kolumne, etwas vernachlässigen musste, melde ich mich total orientierungslos zurück. Tausend Themen stehen an, die ich nun schildern könnte, denn gerade die letzten, ersten Wochen des Jahres, waren so voll gestopft mit Ereignissen, dass es fast schon nicht mehr feierlich ist. Könnte fast jetzt schon wieder einen Jahresrückblick machen, weil so viel passiert ist: Neues Jahr, neuer Job, Zwischenprüfung in allen drei Fächern, Krankenhausbesuche und Nachtwachen, eine Hochzeit, ein Wochenende in Paris, Vorbereitungen auf den Geburtstag, neue Bekanntschaften, Geburtstagsfeiern von Freunden, neue wissenschaftliche Projekte, die Aufzählung nimmt kein Ende. Und das alles in den ersten vier Wochen des Jahres.

Das Problem bei solchen Phasen im Leben ist, dass man gar nicht dazu kommt, Alles zu verarbeiten, zu reflektieren und in den Lebensverlauf einzuordnen. Und so stehe ich nun hier, nachdem ich gestern meine letzte Prüfung abgegeben habe und frage mich, wo ich denn gerade überhaupt stehe? Der gestrige Tag war eine Art Stichtag. Alles was anstand und nicht dringlich war, wurde auf danach verschoben: „Ja, aber erst nach den Prüfungen.“ Doch weiß ich jetzt heute gerade gar nicht, was ich denn alles „nach den Prüfungen“ machen wollte und stehe jetzt hier und frage mich: Was macht der befehlshabende General nach dem Ausrufen des Waffenstillstandes?

Stehe gerade vor einem Loch…. Jedoch ist dies nicht leer, sondern es ist das Loch, in das ich vorher alles geschmissen habe und jetzt obliegt mir die Aufgabe, den ganzen Krempel aufzuräumen – und das habe ich schon als Kind gehasst. Also schaue ich mir mal an, was da so alles liegt: Dinge, die einfach weitergehen, Dinge, die den Anfangsschub brauchen, Dinge, die eigentlich vorbei sind, die man jedoch noch ins Regal der verarbeiteten Erfahrungen räumen muss, Dinge, die fertig sind und aus Weggeschmissenwerden warten. Das sind Momente im Leben, wo man sich eine Sortiermaschine wünscht. Ganz wie auf dem Bauernhof meines Onkels, wo man die Hühnereier einfach auf ein Band legt, sie werden von unten durchleuchtet, damit man sehen kann, ob sie in Ordnung sind und dann laufen sie ganz automatisch auf verschiedene waagenähnliche Arme, die sie verschiedenen Gewichtsklassen zuordnen.

Na ja, was soll’s. Basteln wir uns also ein mentales Ablagesystem und sortieren erst einmal die ganzen Dinge in Gruppen und markieren alles mit kleinen neonfarbigen Post-its die man dann in einem zweiten Schritt beschriftet und sich daraus dann eine To-do-Liste generiert, die man dann ganz gemütlich abarbeiten kann.

Obwohl ich ja die leichte Befürchtung habe, dass das gar nicht so gemütlich werden wird, da mir gerade in den Sinn kommt, dass da ja noch ganz viele Dinge waren, die man nicht in das Loch werfen konnte und die zum Teil wiederkommen werde, weil man sie vorher einfach mal weggeschickt hat und die, wissend, dass der Stichtag jetzt vorbei ist, wiederkommen werden und mich beim Sortieren stören werden.

Doch stellen wir uns das ganze mal bildlich vor: Klein Benny sitzt in seiner Spielecke im absoluten Chaos und hat von seiner Mama (nein, das ist jetzt keine Anspielung auf meine, sondern eher Sinnbild für die Konventionen, die die Gesellschaft einem auferlegt) gesagt bekommen, er müsse aufräumen, was Klein Benny auch einsieht, da er sich mittlerweile nicht mehr drehen und wenden kann in seiner Spielecke, geschweige denn, dass Platz wäre zum Spielen. Also: Die Förmchen nach links, die Bauklötzchen nach rechts…. Och nein, jetzt baut Klein Benny ein Türmchen aus den Klötzchen, mit einer Seelenruhe, als gäbe es sonst nix zu tun. „Jetzt räum’ endlich auf und hör auf zu spielen! Du kannst nachher weiterbauen. Erst wird aufgeräumt!“ Also wird das Türmchen halbfertig stehen gelassen und man wendet sich gerade den Autos zu, da kommt schon der Erste und bittet Klein Benny mal eben mitzukommen und die Tüten vom Einkauf hoch zu tragen. Ok, also war’s das mit dem Aufräumen erstmal.

Wieder zurück wird weiter geräumt, weil zwischenzeitlich Mami wieder mal geschimpft hat, das man ja immer noch keine Ordnung habe. Da sitzt nun Klein Benny, ganz verwirrt und weiß gar nicht, was er jetzt machen soll, da er doch gerade beim Aufräumen war als er gestört wurde und da hätte er ja auch nicht „Nein“ sagen können, wenn er doch gebeten wird. Nachdem Klein Benny mit dem Mund ein kurzes Weilchen ein Schüppchen gezogen hat und ihm ein klitzekleines Tränchen das Bäckchen runter gelaufen ist, weil die Mama geschimpft hat, fällt ihm auf, dass ihm das ja jetzt auch nicht weiterhilft, denn damit wird das Chaos auch nicht besser. Also begibt er sich wieder an die Arbeit und räumt weiter auf. Dia Autos in die eine Kiste, die Puppen in die andere, die Klötzchen – „Nein, Klein Benny, es wird jetzt nicht weitergebaut!“ – wieder in eine andere, die Spiele schön aufeinander gestapelt in die Ecke, der Ball in den Schrank, die Stofftierchen in die Kiste…. Moment, Klein Benny hat gar keine Kiste mehr frei. Na so was.

Auch wenn das Chaos immer kleiner wird, so ist es dennoch da. Aber jetzt muss Klein Benny sich zuerst mal wieder eine neue Kiste besorgen gehen. Als er zurück kommt, macht er dann mit seiner Arbeit weiter, bis ein Freund mit einer großen Tüte kommt und sagt: „Klein Benny, ich habe hier die Spielsachen, die du mir ausgeliehen hast. Die wollte ich gerade mal schnell zurückbringen, weil ich gerade aufräume.“ Und mit diesen Worten schüttet er die ganze Tüte in der Ecke aus und Klein Benny sitzt schon wieder im Chaos. Wieder ein großer Haufen aus Stofftieren, Puppen, Autos, Bauklötzchen und allem möglichen anderen Kram und dann kommt wieder die Mami: „Klein Benny, du hast ja immer noch nicht aufgeräumt, was hast du denn die ganze Zeit gemacht?“

„Die Großen sind soooo gemein“, denkt sich Klein Benny, „wenn ich mal groß bin…“. Na ja, dafür musst du aber jetzt erstmal fertig werden mit Aufräumen. Aber da naht ja dann auch schon die Rettung. Ein anderer Freund kommt und meint: „Ich habe gerade Langeweile, komm lass uns was spielen, Klein Benny.“ „Geht nicht, ich muss erst aufräumen, sonst schimpft die Mama und ich werde nie fertig.“ „Weißt du was, Klein Benny? Ich helfe dir einfach ein bisschen.“ Und zusammen beginnt man dann weiter aufzuräumen. Doch irgendwann muss der Freund nach Hause, da sonst seine Mama schimpft und Klein Benny muss alleine weitermachen. Allerdings ist er jetzt bald fertig und wenn er dann so weit ist, dann wird er sich zuerst einmal in sein Bettchen legen, sich mit seinem warmen Deckchen zudecken und einschlafen.

Und am nächsten Tag wird er dann aufwachen und wird sich freuen, dass er nun in einer aufgeräumten Ecke mit ganz viel Platz spielen kann, auch wenn er weiß, dass dadurch wieder Chaos entsteht. Aber jetzt nimmt er sich fest vor, beim nächsten Mal alles nach dem Spielen direkt wegzuräumen. Ob’s klappt? – Man wird es sehen…

Abschließend jetzt noch drei Zitate, die mir vielleicht bei meinem Aufräumen helfen werden:

„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ (Volksmund)

„Wenn Sie ständig etwas anderes tun als das was Sie tun sollten, werden Sie feststellen, dass Sie irgendwann doch alles erledigt haben. Scheiß auf die Reihenfolge!“ (Georgette Dee)

„Neues aus der Trickkiste der Psychologen: Tun Sie jeden Tag EINE für Sie total unangenehme Sache, die erledigt werden muss. Ich war verblüfft: das bringt’s!“ (Georgette Dee)

Sonntag, Januar 15, 2006

Es irrt der Mensch solang er strebt! oder: Will der Mensch denn glücklich sein?

In den letzten Tagen begegnet mir in meinem als auch in dem Leben mir nahe stehender Menschen immer wieder die Frage nach dem menschlichen Glück, der Selbstzufriedenheit und dem Erreichen von Zielen, was ja auch so kurz nach dem Jahreswechsel, einem klassischen Zeitpunkt für Selbstreflexion und Zielsetzung, nicht sonderlich verwundert.

Doch was ist Glück? Wonach Sehnen wir uns? Sehnen wir uns auch wirklich danach oder ist dieses Verlangen nur Schein? Was würde an dem Tag passieren, an dem wir alles erreicht haben und vollkommen glücklich sind? Um diesen unlösbaren Fragen auf den Grund zu kommen und wenigstens der Lösung etwas näher zu kommen, werde ich einmal versuchen die verschiedensten Dinge zu durchdenken und einige der in den letzten Tagen in Gesprächen gefundenen Vergleichen darzustellen.

Bevor ich nun den Bereich der Philosophie betrete, der ja immer auch das Image des Hochtrabenden und Weltfremden hat, fange ich einmal ganz empirisch bei den Naturwissenschaften an, denn im Grunde genommen dreht sich die Frage nach Glück ja für die meisten um Gelingen oder Nicht-Gelingen der eigenen Vorhaben.

Aber gerade die Wissenschaften zeigen uns, dass oftmals das Versagen, die Fehler und das Fehlschlagen wichtige Erkenntnisse bringen und manchmal sogar weiter reichende Erfolge bringen als das Gelingen. Denn was wäre, wenn beispielsweise Alexander Flemmings Experiment gelungen wäre und nicht durch den Pilz „ruiniert“ worden wäre? Dann hätten wir heute ein paar statistische Auswertungen mehr über Bakterienkulturen, wüssten aber immer noch nicht, die von ihnen verursachten Krankheiten zu behandeln. Oder wie oft ist es in der Mathematikgeschichte passiert, dass jemand einen Satz beweisen wollte und an irgendeiner Stelle trotz akribischer Genauigkeit auf einen Widerspruch gestoßen ist und den Satz somit widerlegt hat? Und spätestens seit den Curies sollte selbst dem letzten klar geworden sein, dass selbst der Zerfall, also so gesehen der Tod auf molekularer Ebene, etwas Gutes hat und Energien freisetzt.

Somit haben wir erst einmal festgestellt, dass Schlechtes nicht zwangsläufig schlecht sein muss, wobei jedoch nun der Einwand kommen mag, dass man ja auch auf einfacherem Wege das Gute erreichen könne. Sehr wahr, jedoch ist der Mensch kein Strom, der immer dank Ohmscher Gesetze den Weg des geringsten Widerstandes wählt, obwohl er dies meines Erachtens dann doch viel zu oft tut und somit seine Potentiale auf den Feldern des Müßiggangs brach liegen lässt und sich wundert, dass nichts blüht.

Doch will das der Mensch überhaupt? Etwas einfach so erlangen? Ohne Anstrengung einfach in den Genuss kommen, der dann auch unverändert haltbar ist? Wenn ich mir die Extrem- und Fun-Sportarten anschaue, so komme ich da zu einem anderen Schluss. Egal ob nun Skifahren, Houserunning, Bungee-Jumping, Fallschirmspringen oder Achterbahn – alles zeichnet sich dadurch aus, dass man die Mühsal des Aufstieges auf sich nimmt, nur um das Fallen zu genießen. Warum dann haben wir in unseren Vitae ein Problem mit dem Fallen? Warum macht es uns Spaß trotz eines langen, steinigen Weges zum Gipfel auf Brettern hinunterzufahren und wenn es in unserem Leben, in der Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft bergab geht, fangen wir an zu Jammern? Das ist doch paradox!

Was wäre denn, wenn sich eine Utopie, wie immer sie sich auch gestalten mag, erfüllt? Ein Traum der sich erfüllt, verliert doch in genau diesem Moment seine Existenzberechtigung und löst sich gleich einer platzenden Seifenblase in Luft auf. Zumal, wenn man Wünsche und tugendhafte Absichten bis zum Ende durchdenkt, so stellt man immer wieder fest, dass dann, wenn man es konsequent durchzieht, daraus eine Welt entsteht, in der wohl keiner sein Dasein würde fristen wollen. Wer dies nicht glaubt, der soll sich diesbezüglich mal mit den bekanntesten Utopien der Literaturgeschichte auseinander setzen. Des Weiteren, um auf ein klassisches Glücksdiskussionsbeispiel zu nehmen, wäre Sisyphos denn glücklich, wenn der Stein auf dem Hügel liegen bliebe? Was wäre dann sein Lebenssinn? Dann könnte er nur noch gesenkten Hauptes den Berg hinunter gehen und aus der griechischen Mythologie verschwinden und mal im Märchenwald bei den 7 Zwergen anfragen, ob sie noch einen Job haben und wenn das nichts bringen würde, bliebe ihm dann auch nur noch Hartz IV.

Oder was passierte, wenn man in der Musik versuchen würde, Höhen und Tiefen zu eliminieren? Wäre eine Symphonie bestehend aus einem Ton noch hörenswert? Sicher nicht! Und gerade an diesem Beispiel zeigt sich auch sehr deutlich, dass auch die größe des Spektrums entscheidend ist. Denn oftmals fragt man sich ja selbst nach irgendwelchen Ereignissen: „Musste es denn wirklich so schlimm sein, hätte es weniger nicht auch getan?“ Natürlich will ich hier nicht bestreiten, dass bisweilen Weniger mehr sein kann, jedoch kann sind die großen musikalischen Opus die schönsten, die sich nicht nur in einer Oktave abspielen, sondern über diese hinaus nach oben als auch nach unten ihren Lauf entfalten, die Dissonanzen beinhalten, und Dur und Moll im Wechsel erklingen lassen, wo auch ein Septakkord nicht schräg klingt, sondern Anzeichen dafür ist, dass, wenn man sich nicht gerade im Trugschluss befindet, nun sich alles in der Tonika auflöst und man den lang ersehnten Wohlklang der Grundtonart hören wird.

Im Spiel fällt uns das auch oftmals leichter, denn Spiele basieren ja gerade zu auf dem Prinzip, dass meist nur einer gewinnt. Und ein Mensch-ärgere-dich-nicht, bei dem nicht gewippt wird und jedes Männchen nur einmal die Runde macht und ungehindert ans Ziel kommt, ist so langweilig, dass man es auch gleich bleiben lassen könnte. Auf die Spitze getrieben wird die Glorifizierung des Verlustes im Spiel Mankomania, in dem eben der gewinnt, der nachher nichts mehr hat und wo sich jeder Spieler ärgert, wenn er im Kasione den Jackpott knackt. Das muss man sich einmal genau durchdenken: Ein Spiel, welches so konzipiert ist, dass sich der Spieler über ein unwahrscheinliches Glück ärgert, welchem er im wahren Leben hinterher trauert.

Ganz wie der Volksmund sagt, dass ein guter Arzt, seine Patienten immer ein klein bischen krank hält und nie ganz kuriert, so denke auch ich, dass wir eben diese Spanne des Nichterfüllten brauchen um einen Antrieb zu haben. Genau diese Differenz ist es doch, ganz egal wie groß oder klein sie sein mag, die uns weitermachen lässt. Wenn diese nicht wäre und wir am Ende angelangt wären, so bliebe uns nur noch eines - Sterben. Denn alles andere würde unsere Situation verschlechtern. Es könnte dann konsequenter Weise nur noch eine Verschlechterung eintreten, sobald sich etwas verändert. Und dennoch bin ich ebenfalls der Überzeugung, dass, könnten wir diesen Zustand unverändert andauern lassen, so würden wir dieses Glückes überdrüssig und schon nach kurzer Zeit des Stillstandes wäre es nicht mehr aushaltbar. Denn wie sagte Goethe schon sinngemäß, dass es nichts schrecklicheres gäbe, als eine Reihe aufeinander folgender Sonnentage, denn wenn immer nur die Sonne scheint, so hat man eben kein „gutes Wetter“ sondern lediglich die Definition von „Wetter“ aufgelöst. Daher ist es nur allzu nachvollziehbar, dass der Wilde in der Dystopie „Brave, New World“ von Aldous Huxley sein Recht auf Leid, Schmerz und Misserfolg einfordert, da er es nicht aushält, wenn ständig alles sorglos ist.

Es gibt jedoch eine Erfahrung, die wohl jeder schon einmal gemacht hat, die diesen gesamten Komplex in gewisser Hinsicht auflöst – der Orgasmus. Es sind genau diese Bruchteile einer Sekunde, die alle Gefühle der Welt - wenn es denn ein guter Orgasmus ist, was nicht immer der Fall ist - in sich vereinigen. Auf dem höchsten Gipfel der Lust wird einem alles genommen. Man spürt den „kleinen Tod“, wie die Franzosen ihn nennen und „Himmel hochjauchzen“ und „zu Tode betrübt“ sind fast synchron. Das binäre Verhältnis von Allem und Nichts löst sich fast auf und man hat das Gefühl unserer Welt zu entsteigen und sich über sie zu erheben, in die Ewigkeit einzutauchen und gottesgleich über allen Widersprüchen erhaben dazu stehen. Und genau diese Vereinigung von Gut und Böse, diese Verschmelzung von Lust und Last ist so überwältigend, dass wir ihr immer wieder entgegenstreben und sie auch meist nur mit Menschen teilen wollen und können, die es uns Wert sind diesen metaphysischen Zustand mit uns zu erleben. Denn einmal ganz ehrlich: Wer würde sich zwei Stunden mit kindischem Gefummel abfinden und zum Teil unsinnigste Dinge tun, wenn nicht dieser Moment das Handeln bestimmen würde? (Was jetzt nicht heißen soll, dass Sex nur mit Orgasmus schön ist, aber es geht ja hier jetzt nicht ums Detail sondern um das übergreifende Prinzip).

Somit kann ich allen nur wünschen, dass sie ihr Glück immer vor Augen haben und ihm folgen, es jedoch nicht erreichen sollen. Oder wie Goethe, der ja selbst nie glücklich sein wollte, da er sonst ja mal bei einer Frau geblieben und nicht immer wieder weggelaufen wäre, das Leben so schön in einen Satz gepackt hat:

„Es wechselt Pein und Lust. Genieße, wenn du kannst, und leide, wenn du mußt.“

Dienstag, Januar 10, 2006

Queer as folk – ein erster Eindruck

So, nun ist sie also gelaufen, die erste deutsche Ausstrahlung einer „Queer as folk“ Folge. Ich habe sie mir natürlich angeschaut, da man ja in den letzten Jahren immer wieder davon gehört hatte und ich sehr gespannt war, was mich da wohl erwarten würde. Ich war… überrascht, entsetz und entzückt zugleich.

Entsetzt war ich, allerdings nur anfänglich von der Tatsache, dass hier schwuler Sex fast schon in Schulmädchenreport-Manier ganz hemmungslos gezeigt wird. Es war schon ein ungewohntes Gefühl, beim schauen des normalen Fernsehprogramms geil zu werden. Ich denke, daran wird man sich erst nach einigen Folgen gewöhnen. Nicht, dass es mich stören würde, jedoch verlangt es dem braven deutschen Seriengucker doch schon einiges ab, ganz egal, wie es bei ihm zuhause abgeht.

Eine Frage, die sich natürlich immer bei einer schwulen Serie stellt ist die, in wie weit sie der Realität entspricht. Diesbezüglich kann ich nach der ersten Folge nur konstatieren, dass ich sie für durchaus realistisch halte. Sie zeigt ungeschminkt die verschiedenen Facetten des schwulen Lebens und auch, wenn in der heutigen Folge die Entjungferung Justins eine der Kernszenen war, so denke ich doch, dass man einiges wird erwarten können, da die Charaktere wohl recht mehrdimensional zu sein scheinen und mehr sind als bloßes Abziehbildchen aus dem Zauberkasten der Klischees.

Auch Plot und Dialoge fand ich recht authentisch, denn die Gags waren gut platziert und tauchten nur da auf, wo man sie auch im wahren Leben erwarten würde und das ganze auch in einem lebensnahen Maße – nicht zu viel und nicht zu wenig. Im Gegensatz zu „Will and Grace“ – nicht, dass ich etwas gegen diese Sitcom hätte, ich liebe sie – dessen Konzeption ja mit der Übertreibung gängiger Klischees spielt und sie somit in gewisser Weise ad absurdum führt, war ich bei „Queer as folk“ davon überrascht, dass heikle Aspekte auch problematisiert werden können, ohne sie zu dramatisieren.

Ein weiterer Punkt, den ich einfach klasse finde, ist die Vermischung von Gefühlen, wie ich sie bisher nur bei „Ally McBeal“ kannte. Mehrere Emotionen werden in ein und der selben Folge angesprochen – man wird sentimental, lacht und wahrscheinlich wird ab und an eine Träne fließen.

Ich werde die Serie jedenfalls weiterhin verfolgen und bin gespannt, ob sie meiner Erwartungshaltung, die ich nun nach der ersten Folge aufgebaut habe, gerecht wird – wenn nicht, dann werde ich mich bestimmt nicht zurückhalten können, sie hier zu „zerreißen“.

Ist nur die Frage, wie das deutsche Fernsehpublikum in der Masse sie aufnehmen wird und ob es zu ähnlichem Entsetzen kommt wie in den USA. Man wird sehen…

Donnerstag, Januar 05, 2006

Männergesellschaft

Ausgelöst durch einen Roman, den ich im Zuge meiner Zwischenprüfungsvorbereitung lesen musste und der, wie einige Romane der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, ziemlich sexualisiert ist, musste ich mich an etwas ebenso Seltsames wie auch Schönes in meinem bisherigen Leben erinnern. Dies kam dadurch, dass ich beim Lesen ab und an den Autor Charles Bukowski denken musste, den ich im Zuge des nun Geschilderten damals gelesen habe.

Man stelle sich eine kleine Gruppe bestehend aus vier Personen vor, alle männlich, jedoch recht verschieden zusammengewürfelt: ein Herr im 50er – Alter, kinderlos, ledig und Gastronom, ein weiterer, geschiedener Vater zweier Söhne, seines Zeichen Architekt in den 40ern, ein Dreißiger, geschieden in einer neuen Partnerschaft lebender, diplomierter Statiker mit einer Tochter und ein schwuler, allein stehender Abiturient um die 20. Was verbindet diese vier Personen jetzt wohl miteinander? Auf den ersten Blick wohl recht wenig Eins kann man sich jedoch schon denken: Der Abiturient war bzw. bin ich, der Architekt ist mein Vater und die anderen beiden sind Freunde von ihm. Doch eins haftete uns allen gemeinsam an – die Liebe zur Literatur.

Dadurch, dass wir meist zusammen an einer kleinen Dorftheke in der Eifel saßen und viel über Gott und die Welt plauderten und uns auch immer wieder über gerade Gelesenes erzählten, entstand dann eines Tages die Idee ein „literarisches Quartett“ zu gründen, was dann auch geschah. So geschah es, dass ein jeder Reihum eine Empfehlung aussprach und man sich das Buch in vierfacher Ausfertigung bestellte, die einzelnen Exemplare verteilte und zu lesen begann. Meist neben der eigenen Lektüre, die man ja auch hatte, alle zwei oder drei Wochen ein neuer Roman, so dass wir auch so ziemlich zeitgleich lasen.

Es war herrlich. Da saßen wir dann und lasen und beim nächsten Treffen wurde diskutiert, überlegt und sich ausgetauscht und man lernte von einander. Was mich auch heute noch, wenn ich daran zurück denke fasziniert, ist nicht nur die Verschiedenartigkeit der vorgeschlagenen Bücher, denn bis dato unterhielt man sich nur über Bücher, die man zufällig gemeinsam kannte, da jeder natürlich ein Buch auswählte, das in „seinen“ Lesekontext passte, er den anderen jedoch in gewisser Hinsicht vorstellen wollte, sondern auch die verschiedenen Eindrücke, die für jeden von uns aus diesen Büchern zu entnehmen waren.

Wer sich schon einmal mit jemand anderem über ein Buch etwas ausführlicher unterhalten hat, was wohl jeder, der liest, früher oder später schon einmal getan hat, so wird er festgestellt haben, dass wenn zwei Menschen das gleiche lesen, es längst noch nicht dasselbe ist. Ich möchte jetzt nicht so weit ausholen wie mancher Literaturwissenschaftler und behaupten, dass jedes Buch erst vom Leser „geschrieben“ wird, jedoch ist es erstaunlich, wie man doch auf das gleiche Objekt aus verschiedenen Lebenssituationen heraus unterschiedlich schaut.

Als ich im vorletzten Jahr die Gelegenheit nutzen konnte, mir einen Gastbeitrag von Elke Heidenreich an der Kölner Uni anzuhören, in dem das Thema Lesen zentraler Punkt war (was auch sonst, bei der guten Elke, die ja in ihrer Sendung ebenfalls nichts anderes tut, als ihre Leseerfahrungen mit der Anderer zu teilen), berichtete sie von einem Buch, dessen Titel mir leider entfallen ist, welches sie zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben gelesen hat. Sie hatte es etwa alle zehn Jahre verschlungen und jedes Mal geliebt. Allerdings hat sie jedes Mal eine andere Geschichte gelesen und immer wieder stand ein neuer Aspekt des Buchs im Mittelpunkt, was sie daran verdeutlichte, dass sie bei jedem Durchlauf einen anderen Charakter zum Protagonisten erhob. Fünf mal lesen, fünf verschiedene Hauptpersonen, fünf verschiedene Schicksale und fünf verschiedene Kernthematiken.

Genau dies zeichnete sich auch in unserer Runde ab. Teilweise hatte ein jeder einen anderen Aspekt, der für ihn bedeutsam war, die Wichtigkeit der Personen war zum Teil unterschiedlich und auch die Schlüsselfunktion der Szenen wurde anders bewertet, was dazu führte, dass jeder von uns somit nicht nur die eigene Sicht erkannte sondern darüber hinaus auch die Geschichten der anderen nachvollziehen konnte. Man las ein Buch alleine und besprach gemeinsam vier Geschichten.

Das Spektrum der besprochenen Bücher reichte weit, viel weiter als es wohl bei jedem Einzelnen von uns gereicht hätte. Denn in gewisser Weise setzt es sich ja doch meist durch, dass man sich immer in gewissen Teilsektoren der Literatur heimisch fühlt und meist ähnliche Bücher zu gewissen Zeiten liest. Doch wir hatten ein buntes Potpourri aus Sachbüchern, Belletristik der verschiedensten Bereiche, mal trivial mal weltliterarisch.

Auch heute noch versuche ich immer meinem eigenen Spektrum zu entfliehen und nehme, so ich denn die Zeit zum privaten Lesen habe, was je nach Studiensituation verschieden ist, immer wieder gerne Empfehlungen anderer an, bekomme Bücher geschenkt und tausche mich mit anderen aus und gebe auch selber gerne einmal anderen Tipps, wenn ich denke, dass der ein oder andere dieses oder jenes Buch einmal lesen sollte.

Obwohl lesen eine Beschäftigung ist, die man nur alleine vollzieht, so tut man sie jedoch nie in Einsamkeit. Man gehört immer zu einer ganz besonderen Gesellschaft. Zu dem Teil der Menschheit, der sich einlassen kann, einlassen auf andere Gedanken, andere Erlebnisse und andere Sichtweisen und der sich austauscht, sei es in einem „literarischen Quartett“, durch Werbung, Rezensionen oder gar Querverweise innerhalb der Romane, denn nicht zu selten findet man innerhalb der Bücher die am sinnvollsten „geschaltete“ Werbung.

Somit kann ich dem Credo von Elke Heidenreichs „Lesen!“ nur zustimmen, würde es jedoch dahingehend erweitern, dass ich euch nun entgegenrufe: „Lesen und reden!“

P.S.: Dieser Beitrag ist dem damaligen „literarischen Quartett von Bell“ gewidmet, dessen Zeit ich sehr genossen habe und von dessen Impressionen ich noch heute ab und an zehre. Vielen Dank euch dreien für die wunderbare Begleitung auf zum Teil verschlungenen Pfaden der Literatur.