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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Dienstag, Juni 01, 2010

Mein Horst, mein Horst, warum hast du mich verlassen?

Spannender hätte die politische Woche nicht beginnen können und nachdem ich in der letzten Zeit des Öfteren den Impuls hatte, diesen Blog zu reanimieren, denke ich, dass ein solch brisantes Ereignis eine gute Gelegenheit ist, dies zu tun.

Bundespräsident Horst Köhler ist zurückgetreten – ein Ereignis, dass es (entgegen mancher Medienaussage) erst einmal in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Allerdings ist dieser Rücktritt insofern etwas Neues, als dass er mit sofortiger Wirkung vollzogen wurde und uns zum zweiten Mal in die Situation versetzt, dass der Bundesratspräsident kommissarisch das Amt übernimmt (das erste Mal war vor der Wahl Theodor Heuss). Neben den ersten aufkeimenden Spekulationen, wer denn nun in 30 Tagen Köhler in seinem Amt beerben könne, fragt man sich auch, was denn nun wirklich der Grund seines Rücktritts gewesen sein mag.

Werfen wir doch erst einmal einen Blick auf den offiziellen Grund, die Kritik an den Äußerungen des Bundespräsidenten zu militärischen Einsätzen Deutschlands in der Welt. Man mag ihn vielleicht dahingehend kritisieren dürfen, dass seine Aussagen nicht eindeutig genug formuliert waren und es, da das Interview in einem direkten Zusammenhang mit seiner Afghanistanreise stand, leicht zu Missverständnissen kommen konnte, jedoch inhaltliche Kritik ist meines Erachtens nicht angebracht gewesen. Denn was hat Köhler denn gesagt, was der aufgeklärte Bürger nicht selbst schon wusste? Zumal er nur etwas paraphrasiert hat, was im Weißbuch der Bundeswehr in der Version von 2006 festgehalten ist: dass es auch zu den Aufgaben der deutschen Streitmacht gehört, Handelswege zu sichern und zur Stabilisierung von Krisenregionen beizutragen.

Wir alle leben gut und gerne im Kapitalismus. Dass dieser jedoch – unter gewissen Umständen – auch mittels Waffengewalt verteidigt und geschützt werden muss, will keiner wahr haben. Aber so und nicht anders funktioniert das kapitalistische System nun mal. Auch wenn heutzutage schreckliche Ausuferungen dieses Prinzips überwunden sind und der Kapitalismus losgelöst von Nationalstaatlichkeit und imperialistischen Bestrebungen ein eher gewaltfreies System ist, so gab es, gibt es und wird es immer wieder Situationen geben, in denen zum letzten Mittel gegriffen wird. Man mag dies dann im Einzelfall kritisieren und es bedarf auch immer einer genauen Überprüfung solcher Einsätze, jedoch wird es sich nicht immer verhindern lassen.

Der Vorwurf, Köhlers Aussagen seien sogar so weit gegangen, dass sie gegen die Verfassung verstoßen, entbehrt meiner Meinung nach jeder Grundlage – mal ganz im Ernst: er hat weder zu einem Angriffskrieg aufgerufen, noch wollte er in andere Nationen einfallen, um diese auszuplündern. Seine Aussagen fokussierten eine Schutzfunktion, die eine der führenden Nationen dieser Welt nun einmal zu ihren Pflichten zählen muss. Ein souveräner Staat hat nicht nur eine Verpflichtung im Inneren für Frieden zu sorgen, sondern hat ebenso – gerade in einer globalisierten Welt – im Äußeren für Sicherheit und Frieden zu sorgen.

Bezüglich der angeblichen Verfassungswidrigkeit sei angemerkt, dass man auch hier die Sache etwas differenzierter sehen muss. Eine ertragreiche Herangehensweise an das Grundgesetz ist immer die Frage, warum etwas dort niedergeschrieben ist. Der Grundgedanke der Bestimmungen zu militärischen Fragen ist doch jener, dass man nach der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts eine zweite Wiederholung verhindern wollte. Daher schloss man jedwede militärische Betätigung jenseits der Verteidigung im Falle eines Angriffs aus. Dies geschah auch unter der strengen Obhut der Besatzungsmächte, denen selbst 1989 noch etwas mulmig war, wenn sie sich ein geeintes Deutschland vorstellten. Doch Deutschland hat in den letzten 60 Jahren sehr gut bewiesen, dass es eine friedliche Nation sein kann und der europäische Friede, der genuin ist und den man seit Jahrhunderten zu erringen nicht in der Lage war, ist maßgeblich von deutschen Politikern mitgestaltet worden und dies nicht nur nach Westen, sondern auch nach Osten.

Doch leben wir heute im 21. Jahrhundert – keiner wird ernstlich behaupten wollen, dass von Deutschland eine militärische Bedrohung ausgehe. Jedoch finden wir uns in einer Situation wieder, in der Nationalstaaten zunehmend dadurch an Bedeutung verlieren, dass sie in einem internationalen Geflecht miteinander verbunden sind und supranationale Interessen immer auch mitgedacht werden müssen. Innerhalb eines solchen Gefüges entstehen auch Verpflichtungen für Deutschland, die die Vorstellungskraft unserer Verfassungsväter übersteigen – keiner der damals Versammelten hätte sich gewagt zu versprechen, dass Deutschland binnen 60 Jahren eine so wichtige Rolle in der Welt zukommen könne. Somit kann man sagen, dass die damals sehr berechtigte Demilitarisierung heute doch leicht anachronistische Züge hat, was jetzt nicht heißen soll, dass man nun zu einer Militärmacht werden soll, jedoch sollte man überlegen, ob die selbst auferlegte Strenge noch zeitgemäß ist und den weltpolitischen Realitäten stand hält. Es ist nicht auszuschließen, dass es vielleicht auch einmal vonnöten sein könnte, aufgrund akuter Bedrohung und im Rahmen einer internationalen Zusammenarbeit, selbst angreifen zu müssen. Denn sogar ein Weltstaat, wie ihn Kant schon Ende des 18. Jahrhunderts in seiner Schrift „Zum ewigen Frieden“ angedacht hatte, würde qua Gewaltmonopol und der Verpflichtung innere Sicherheit zu gewährleisten im Extremfall zur Waffe greifen müssen. Es ist zu vermuten, dass Kant einer übermäßigen Beschränkung, wie sie in unserer Verfassung vorgesehen wird, insoweit widerspräche, als sie der Durchsetzung des Friedens in der Welt entgegensteht. Generell sollten einige Politiker diese Schrift (noch) einmal zur Hand nehmen – hier finden sich viele Antworten auf aktuelle Fragen.

Doch zurück zum Ausgangsthema: Ich habe die Befürchtung, dass die Kritik nicht der einzige Grund war, weshalb Köhler sich zu diesem Schritt entschlossen hat. Zumal es im Schatten des Rücktritts Roland Kochs und der Fehlinformation des Parlaments durch Angela Merkel im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise ein weiteres Indiz dafür sein könnte, dass aktuell einiges – fernab des öffentlichen Auges – hinter den Kulissen passiert. Es würde mich nicht wundern, wenn in den nächsten Wochen weitere Paukenschläge die deutsche Politik erschüttern würde – es ist mehr im Busch als nur die Weltmeisterschaft in diesem Sommer. Angesichts der anstehenden Klausurtagung des Kabinetts ist fraglich, ob unsere Regierung den aktuellen Herausforderungen gewachsen ist – es wäre nicht das erste Mal, dass eine liberale Ministerriege geschlossen ihren Rücktritt erklärt und da 2010 ein Jahr zu sein scheint, in dem viele Ereignisse entgegen aller Erwartungen zum zweiten Mal passieren, sollte mit Allem gerechnet werden.

Hinsichtlich der Frage bezüglich des Respekts vor dem Amt des Bundespräsidenten muss sich der Privatmann Köhler nun jedoch eine Frage gefallen lassen: Zeugt es von Respekt diesem Staatsamt gegenüber, wenn man es aufgrund einer wenn auch hart geführten, so doch im politischen Alltag normalen Debatte einfach hinwirft? Ich denke dahingehend hat dieses höchste Amt gestern etwas gelitten und es gilt nun dem Nachfolger, den dadurch verlorenen Respekt wieder auszugleichen. Wer für eine solche Aufgabe geeignet wäre, dazu kann ich aktuell noch keine Stellung beziehen, da mir noch niemand eingefallen wäre, der realistisch in Betracht zu ziehen wäre. Meine Favoriten Genscher und Schmidt fallen wohl aufgrund des Alters heraus, ebenso von Weizsäcker – zumal bei letzterem auch fraglich wäre, ob er das Amt noch einmal antreten könne, der Wortlaut des Grundgesetzes, der lediglich eine zweite Wiederwahl ausschließt, scheint dies zuzulassen. Daher bleibe ich aus Ermangelung an umsetzbaren Ideen vorerst bei meinen drei humoristischen Kandidatenvorschlägen: Horst Schlämmer, Uschi Blum und dem fiktiven Bundestagsabgeordneten Jakob Maria Mierscheid.

Abschließen möchte ich diesen ersten Beitrag jedoch mit einem ernsthaften Aspekt des eben Erörterten: Kants Schrift sollte zur Pflichtlektüre der Regierenden der Welt gehören und auch die deutsche Politik muss sich fragen, ob eine kantische Überprüfung des Grundgesetzes nicht sinnvoll sei.