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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Samstag, Februar 26, 2011

In Absentia

In Anlehnung an die Weltjugendtags-Troika von 2005 habe ich mich entschlossen auch diesmal eine Trilogie zur „Causa Guttenberg“ zu schreiben – auch wenn mir natürlich das Themenfeld Nordafrika seit Längerem unter den Fingern brennt. Was uns die vergangene Woche gezeigt hat, ist nicht nur, dass konservative, bürgerliche Politiker von ihnen immer als wichtig erachtete Werte über den Haufen geworfen wurden, sondern vielmehr hat sich gezeigt, dass keiner der aktuell an der Spitze stehenden Verantwortlichen Mumm genug hat, um die Dinge beim Namen zu nennen.

Allen voran hätte es zu Ihrer Pflicht gehört Frau Dr. Schavan, sich schützend vor die Ihrem Ressort zugeordnete Wissenschaft zu stellen. Alleine diese unterlassene Hilfeleistung im Bereich Ihrer Zuständigkeit würden Rücktittsforderungen gegen Sie rechtfertigen. Denn zum Wohle der Wissenschaft haben Sie durch die fehlende Kritik nicht beigetragen. Alleine schon, wenn man sich Ihre eigene Vita anschaut kann man nur entsetzt den Kopf schütteln. Natürlich sind 31 Jahre eine lange Zeit, jedoch sollten vielleicht auch Sie noch einmal einen Blick in Ihre 1980 verfasste Promotion zum Thema „Person und Gewissen - Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung“ zu Hand nehmen und Ihr Verhalten der letzten Woche in Hinblick auf Ihre damaligen Erkenntnisse überprüfen. Denn mit Gewissen hat Ihr (wahrscheinlich oktroyiertes Schweigen) nichts zu tun – jedenfalls nicht, wenn Sie eigentlich von Amts wegen ein personifiziertes Gewissen der Wissenschaft sein sollten.

Nun zu Ihnen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Wo waren Sie als es darum ging die Wirksamkeit von Gesetzen und Normen zu verteidigen? Wenn Sie schon Ihren Kabinettskollegen nicht persönlich hätten in die Kritik nehmen wollen, so hätten Sie dennoch darauf hinweisen können, dass ein absolutistisches Übers-Gesetz-Stellen des Adels seit 1789 nicht mehr gefragt ist und hätten darauf pochen müssen, dass auch Politiker geltende Regeln einzuhalten haben und es nicht damit getan ist, einen Ursprungszustand wieder herzustellen, sondern zudem jede Tat auch eine darüber hinausgehende zusätzliche Strafe verlangt. Wie schon im Bundestag gesagt, reicht es nicht, wenn der Dieb die gestohlene Ware zurückgibt. Im Falle von Raubkopien im Internet (und was waren denn die besagten Textstellen anderes) waren Sie und Ihr Ministerium doch bisher auch ganz vorne dabei, das geistige Eigentum zu verteidigen. Ist es nicht ungerecht, dass ein 14-jähriger Jugendlicher, der sich ein Lied herunterlädt, in etwa so hohe Strafsummen zahlen muss, als es dem Ministergehat entspricht, dass Herr zu Guttenberg, der nichts anderes getan hat, monatlich einstreicht? Zudem hätten Sie Ihrem Kollegen sagen können, dass ein Rücktritt nicht das Ende der politischen Laufbahn ist – wir haben Sie ja auch zurück bekommen.

Frau Dr. von der Leyen, Sie sind aktuell die Krone der Lächerlichkeit in unserem Bundeskabinett. Seit nun mehr fast einem Jahr tingeln Sie von Talkshow zu Talkshow, von Interview zu Interview mit Ihrer Forderung, dass Bildung ach so wichtig ist. Sieht denn Ihr nun auf den Weg gebrachtes Paket auch zusätzliche Ausgaben vor, die es, damit man wirklich von einem Gleichheitsgrundsatz im Bildungssystem sprechen kann, auch Hartz-IV-Empfängern erlaubt, sich einen Ghostwriter zu bezahlen? Werden Sie sich denn beim nächsten Promovenden aus dem Prekariat ebenfalls dafür einsetzen, dass man ihm nicht die existenzielle Grundlage erzieht und ihm weiterhin alle beruflichen Türen offen stehen selbst wenn er gepfuscht hat? Oder ist dies ein besonderes Privileg der Barone und Otto-Normal-Pfuscher wird weiterhin seinen Job verlieren? Reden Sie bitte nicht mehr von drohendem Fachkräftemangel, denn mit dem nun statuierten Exempel fördern Sie eine Entwicklung, in der es uns in Zukunft sicherlich nicht an Diplomierten, Promovierten und Habilitierten mangeln wird – allerding immer noch an der Fachkompetenz, da jeder seinen Titel auch ohne diese bekommt. Wir alle wissen natürlich, dass Ihre medizinische Promotion vergleichsweise einfach ist, wenn man Sie mit Promotionen anderer Fächer vergleicht, aber dennoch sollte auch Ihnen bewusst sein, was dies für einen Aufwand bedeutet. Zudem, was wollen Sie Ihrer Heerschar von Kindern mit auf den Weg geben? Dass es nicht so tragisch ist, wenn man hunderte von Seiten bei anderen abschreibt? Wobei, wahrscheinlich führen solche Aufklärungsgespräche in Ihrem privaten Hause sowieso die Kindermädchen.

Beim Fachkräftemangel muss ich natürlich auch sofort an Sie denken, Herr Brüderle, denn dies ist ja auch eine Ihrer Lieblingsfloskeln. Zudem malen Sie uns immer wieder das Schreckgespenst des illegitim kopierenden und plagiierenden, kommunistischen Chinesen an die Wand. Umso bedauerlicher ist es, dass Sie dabei den ebenso dreist fälschenden, aristrokratischen Baiuwaren aus dem Blick verlieren. Wie wollen Sie denn künftig mit den Konzerngrößen der Republik noch glaubhaft über die Verteidigung des Urheberrechts und den Schutz von Patenten diskutieren, wo Ihnen doch ein solch gravierender Eingriff ins geistige Eigentum anderer egal zu sein scheint?

Auch wenn es nicht primär in Ihren Bereich fällt, lieber Herr Dr. Rösler, so ist gerade Ihr Ressort wohl für einen Bereich unserer Gesellschaft verantwortlich, in dem die meisten Promovierten angesiedelt sind. Zudem sind es nicht nur tausende Doktoren, für die Sie verantwortlich zeichnen, sondern gerade in Ihrem Bereich kommt es auf eben die Präzision an, gegen die hier verstoßen wurde. Oder möchten Sie Ihren Patienten zumuten, dass Sie künftig Gefahr laufen von Ärzten behandelt zu werden, die Ihre Auszeichnung nicht durch Wissen und seriöse Arbeit erlangt haben, sondern durch Nettigkeit und gute Beziehungen zu ihren Doktorvätern und die Fähigkeit die Tastenkombination „Steuerung c/Steuerung v“ zu beherrschen? Wenn der Fall zu Guttenberg Schule macht, dann ist es bald egal, ob der Oberarzt oder der Pfleger den chirurgischen Eingriff vornimmt, da die wissenschaftliche Substanz bei beiden nicht mehr vorhanden sein wird.

Liebe Frau Aigner, man mag Ihnen zu Gute halten, dass Sie als staatlich geprüfte Elektrotechnikerin nicht allzu viel vom akdemischen Fach verstehen, jedoch muss man dann einschränkend dazu erwähnen, dass Sie bis zu Ihrer Berufung ins Ministerium immerhin Vorsitzende der Fraktionsarbeitsgruppe Bildung und Forschung der CDU/CSU-Fraktion waren. Desweiteren setzen gerade Sie sich in den haarsträubendsten Fällen für Kennzeichnungspflichten ein, was zur Folge hat, dass auf jedem Joghurtbecher detaillierter beschrieben ist, was er enthält, als in der Bibliographie der Promotion von Herrn zu Guttenberg. Doch gibt es nicht auch für Bücher oder generell für akademische Schriften einen „Verbraucherschutz“? Muss nicht auch der „Verbraucher“ von Wissen darüber informiert werden, was er gerade in Händen hält?

Herr Dr. Westerwelle, von Ihnen bin ich besonders enttäuscht. Bisher haben Sie sich nie gescheut, klare Worte in Diskussionen zu nutzen und haben keine Möglichkeit ausgelassen, auf andere Politiker einzuschlagen und Sie bloß zu stellen. Sie selbst haben eine rechtswissenschaftliche Promotion verfasst und waren gar als Anwalt tätig. Ist Ihnen die Juristerei mittlerweile so unwichtig, dass Sie sich nicht einmal für Ihre eigene Zunft einsetzen? Oder hat die spätromische Dekadenz nun auch Sie selbst erfasst, so dass Sie sich denken: „Quod licet Iovi, non licet bovi“?

Was geht in Ihnen vor, sehr verehrte Frau Dr. Merkel? Gerade Sie, die in der Vergangenheit immer mit hocherhobener Fahne die „Bildungsrepublik“ propagiert haben. Können Sie einen solch fundamentalen Angriff auf den Bildungsstandort Deutschland so einfach zulassen? Was soll denn bittesehr aus Ihrem „Land der Ideen“ werden, wenn diese Ideen nicht geschützt werden? Da Sie sich, obwohl Sie sich in Ihrer Promotion mit Reaktionsgeschwindigkeiten in dichten Medien (ich verkneife mir den Scherz in Bezug auf dichtende Medien) beschäftigt haben, bisher oft durch Aussitzen und Abwarten ausgezeichnet haben, waren Sie in dem aktuellen Falle ungewöhnlich schnell zur Stelle. Die von Ihnen vorgenommene Persönlichkeitsspaltung Ihres Verteidigungsministers ist schon zu Genüge auf die Schippe genommen worden, als dass ich nun hier erwähnen müsste, dass Sie auch einen alkoholisiert fahrenden Minister nicht als Fahrer eingestellt haben würden. Doch wie bitteschön, und dieses Argument borge ich mir nun von Michel Friedmann, können Sie Ihrem Mann Prof. Dr. Joachim Sauer, einem in seinem Bereich hoch angesehenen Wissenschaftler, am morgendlichen Frühstückstisch noch in die Augen schauen? Wäre ich in seiner Position, so hätten Sie zwar Ihren Minister behalten – Ihren Mann jedoch wären Sie los geworden. Mit einer Frau, die es aus reinem Machtkalkül zulässt, dass das Fundament der Wissenschaft nachhaltig beschädigt wird, würde ich als Wissenschaftler nicht mehr zusammen leben wollen. Ihr Parteikollege Wolfgang Bosbach versuchte Ihre Motivation damit zu erklären, dass die Verfehlungen des Herrn zu Guttenberg in Relation zu setzen seien mit seinem politischen Lebenswerk. Zurecht frage ich mich, was denn dieses Lebenswerk sein soll, doch viel mehr frage ich mich, wie es dann sein kann, dass Sie seinerzeit alles daran gesetzt haben, einen Helmut Kohl zu demontieren, dessen politisches Lebenswerk, wenn es denn gegen Fehltritte und Fehlverhalten aufzuwiegen wäre, weitaus mehr als das in Frage stehende rechtfertigen würde. Mich beschleicht die Vermutung, dass es nicht darauf ankommt, was jemand als Politiker geleistet hat, sondern vielmehr, wo in Ihrem Machtgefüge er sich gerade befindet. Nutzt es dem eigenen Vorankommen oder dem Machterhalt jemanden zu unterstützen oder ihn aus dem Weg zu räumen? Im Falle Kohls (und vieler anderer Leichen auf Ihrem Wege) war es besser, sicher zu stellen, dass sie von der Bildfläche verschwinden, doch von der Droge zu Guttenberg und der damit verbundenen Umfragewerte sind Sie abhängig. Doch diese Rechung wird nicht aufgehen, denn durch Ihre aktuelle Haltung verspielen auch Sie Ihre Glaubwürdigkeit, die sowieso nicht sonderlich groß war. Denn nun haben wir nicht nur eine „Umweltkanzlerin“, die Atomlaufzeiten verlängert, sondern auch eine „Bildungskanzlerin“, die Titelpfuschereien akzeptiert.

Doch kommen wir zum Höhepunkt: Warum schweigen Sie, Herr Wulff? Nicht nur, dass Sie seit Ihrer Weihnachtsansprache nicht mehr merklich in Erscheinung getreten sind (auch in anderen Fragen wie etwa den Aufständen in Nordafrika nicht), nein, es scheint Ihnen auch egal zu sein, welches Schmierentheater unsere Regierung momentan spielt. Dabei wären gerade Sie jemand, der als „moralische Instanz“ in diesem Land nun eingreifen müsste. Sie, der von der Verfassung eine neutrale, überparteilische und unpolitische Funktion zugeschrieben bekommt, hätten ganz einfach ein wie auch immer geartetes Machtwort sprechen können und wenigstens einen Hauch von Kritik äußern können. Zumal auch Sie Ihre eigene Laufbahn, ähnlich wie Herr Dr. Westerwelle, zu vergessen scheinen und nicht mehr viel Engagement für die Rechtswissenschaften an den Tag zu legen scheinen. Da bleibt mir nur zu sagen: Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Feigling! Ihr viel gescholtener Vorgänger war sogar bereit Dinge zu benennen, die Ihn nachher in den eigenen Rücktritt getrieben haben. Paradoxerweise wurde selbst diese Aussage nur wenige Wochen von unserem Verteidigungsminister nachgeplappert. Doch nun, da es um grundlegende Werte in unserer Gesellschaft geht, da schweigt Bellevue. Auch Ihr Eid beinhaltete das Versprechen, „Schaden vom deutschen Volk abzuwenden“, an die Formulierung „Schaden von der eigenen Partei abzuwenden“ kann ich mich nicht erinnern.

Doch will ich, da ich nun die Riege der ebenfalls schweigenden Ministerpräsidenten aufgrund der sowieso schon übertriebenen Länge dieses Beitrags übergehe, noch ein herausragendes Beispiel nennen. Jemanden, der sich nicht scheut, die Dinge beim Namen zu nennen und der einmal mehr zeigt, dass er für sein Amt die bestmögliche Besetzung darstellt: Dr. Norbert Lammert ist momentan der Einzige, der die Vorgänge kritisch betrachtet und sich nicht scheut, diese auch beim Namen zu nennen. Ihm sei an dieser stelle ausdrücklich gedankt. Sollte Ihre Partei, Herr Dr. Lammert, jemals auf die Idee kommen, Sie als Kanzlerkandidaten vorzuschlagen, so können Sie versichert sein, dass egal, welche politischen Themen dann die Tagespolitik beschäftigen werden, Sie auf meine Stimme zählen können. Hut ab vor dem einzig verbliebenen, wirklichen Demokraten unter den momentanen Spitzenpolitikern.

P.S.: Vielen herzlichen Dank für die tolle Resonanz auf diesen Beitrag. Da paradoxerweise in diesem speziellen Fall die einzige Waffe gegen das Kopieren, das Kopieren selbst ist, darf natürlich jeder gerne diesen Beitrag posten/twittern/verlinken. Hier der Shortlink: http://bit.ly/fiYQLi

Montag, Februar 21, 2011

BILDung vs. Bildung

Zwei Mal aufeinanderfolgend das gleiche Thema zu behandeln ist eigentlich nicht so mein Ding, jedoch enthält die Plagiatsaffaire soviel Stoff, der mich fundamental beschäftigt, dass ich es mir nicht verkneifen kann, auch heute darüber meine Meinung kund zu tun. Ich kann es nicht mehr hören, dieses ständige „es ist doch nur eine Doktorarbeit“ und „abgeschrieben haben schon Tausende“, weshalb ich einige prägnante Punkte zusammentragen möchte, um zu verdeutlichen, dass es hier um mehr geht als nur um einen Pennälerstreich.

Man kann in der aktuellen Diskussion in Bezug auf die Bewertung dieser Vorwürfe gerade sehr gut sehen, in welchen Redaktionen Akademiker sitzen bzw. wer für welche Zielgruppe schreibt. Dass es immer noch Befürworter für dieses mittlerweile wohl als nachgewiesen geltende Fehlverhalten gibt, geht mir nicht in den Kopf. Natürlich ist KTzG ein guter Verteidigungsminister (gewesen) und streng genommen befähigt ihn der in Frage stehende Titel nicht zu diesem Amt und er wäre auch ohne diesen ein ebenso guter Minister, jedoch geht es nicht darum. Es geht darum, dass er, der immer wieder Glaubwürdigkeit und die viel zitierten „klaren Worte“ in den Vordergrund gestellt hat, sich nun an eben diesen muss messen lassen. Auf der Ebene der Person also, hat er den sich selbst gewählten Maßstab, mit dem er bisher immer gemessen hat, verfehlt. Da Politik immer auch auf Glaubwürdigkeit beruht, hat er sich somit selbst disqualifiziert.

Doch auch als Verteidigungsminister, ist er meines Erachtens nicht mehr zu halten. Nehmen wir einmal an, er hätte ein anderes Ressort zugesprochen bekommen und wäre Bundesminister für Bildung und Forschung, dann wäre sein Rücktritt längst gefordert worden – auch von der breiten Öffentlichkeit. Doch wird hierbei gerne übersehen, dass auch innerhalb seines Ressorts Universitäten angesiedelt sind. Die Bundeswehr unterhält zwei eigene Universitäten, die zwar autonom verwaltet werden, jedoch auch Einrichtungen der Bundeswehr sind, deren oberster Diestherr der Verteidigungsminister nun mal ist. Daher sollte sich jeder nun Fragen: Wäre ein Bildungsminister mit Plagiatshintergrund noch zu halten? Wer diese Frage bejaht, für den habe ich weitere Argumente, wer sie verneint, dem sollte jetzt schon klar sein, dass KTzG zurücktreten muss.

Es geht hier ebenso um die Frage der Rechtsstaatlichkeit. Dies meine ich nicht nur in Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz von Artikel 3 des Grundgesetzes, der besagt, dass wir vor dem Recht alle gleich sind, sondern es geht auch darum, dass gerade unser Rechtssystem grundlegenden Schaden nehmen würde, wenn dieses akademische Fehlverhalten nun nicht geahndet würde. Unzählige Berufe in diesem Land setzen akademische Abschlüsse voraus. Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Richter, Lehrer, Ärzte oder andere Berufe, die staatlichen Qualitätsmerkmalen unterliegen, von Menschen ausgeübt werden, die sich ihren Abschluss erkauft oder erschlichen haben. Denn dann können wir gleich der Korruption Tür und Tor öffnen und die Titel bei ebay versteigern. Als Minister und Politiker bedarf er eines solchen Nachweises in Form eines Abschlusses nicht, aber als Minister und Politiker hat er einen Amtseid geleistet, in dem er geschworen hat ‚Schaden vom deutschen Volk abzuwenden‘ sowie ‚das Grundgesetz sowie die Gesetze des Bundes zu wahren‘. Auch wenn hier explizit nur die Bundesgesetze Erwähnung finden, so besagt dieser Satz implizit, dass er einen Eid darauf leistet, dass er sich den bestehenden Gesetzen (und somit auch jedweder Prüfungsordnung) unterordnet und sich nicht über sie erheben darf. Zudem schadet er, wenn er aus dieser Sache nun ohne Konsequenzen herauskommt insofern dem deutschen Volk, als dass er die Grundlagen aller akademischen Prüfungen unterläuft und somit eben das Tor öffnet für unrechtmäßige Richter, Lehrer, Ärzte, etc.. Speziell als Verteidigungsminister bedarf er keines legitim erworbenen Doktortitels, generell als Minister jedoch hat er bestehende Regeln einzuhalten.

Zudem steht er einer Institution vor, bei der das Einhalten von Regeln Grundbestandteil des Selbstverständnisses ist. Innerhalb der Bundeswehr muss man jederzeit schon bei kleinsten Fehler mit disziplinarischen Folgen rechnen, was soweit geht, dass hohe Sicherheitsleute nicht nur persönlich im privaten Bereich kontrolliert werden, sondern zum Teil sogar ihr Umfeld unter die Lupe genommen wird. Ich weiß zum Beispiel aus eigener Erfahrung, dass auch ich in irgendeiner Liste des Bundesministeriums der Verteidigung aufgeführt bin, nur weil einer meiner Freunde, mich dort als Freund angegeben hat. Ich kenne mich in den verschiedenen Disziplinarabstufungen nicht aus, jedoch könnte es gut sein, dass wenn ich nun einen Terroranschlag verüben würde, mein Freund daraufhin seinen Posten verlieren würde. Somit muss man von einem Verteidigungsminister erwarten, dass er selbst sich an die in der Bundeswehr zentralen Werte wie Anstand, Disziplin und Ordnung hält.

Doch, um einmal wegzukommen von der Frage, ob er als Minister zu halten ist, versuche ich nun zu bewerten, was dies für die Wissenschaft bedeutet. Wäre die Wissenschaft ein frankfurter Kaufhaus, so wäre er der Andreas Baader des Wissenschaftsbetriebs und wir dürften in eine Zukunft schauen, in der zweite und dritte Generationen das gesamte akademische Bildungssystems an die Grenzen der Existenz treiben. Es handelt sich um einen Angriff auf das Fundament eines ganzen über hunderte von Jahren etablierten Systems. Demnach wäre dann seine in der vergangenen Woche abgelieferte „Pseudo-Entschuldigung“ ähnlich zu werten, wie das respektlose Verhalten im Stammheimer Prozess.

In den letzten Tagen wird auch sehr der mediale Rummel kritisiert, der um die ganze Geschichte entstanden ist und es wird darauf verwiesen, dass wir doch wichtigere Fragen zu debattieren hätten. Doch wird dabei gerne vergessen, dass bei anderen Skandalen ein ebenso großer Rummel um anscheinend unwichtige Fragen entsteht – hier sei nur auf die Vielzahl von Dopingskandalen in der Sportwelt verwiesen. Wenn Deutschland schon wochenlang darüber dikutiert, ob man eine Verkäuferin, die einen fremden Pfandbon einlöst, sanktionieren sollte oder nicht, so sollte es erst recht dikutueren, ob man einen Minister, der fremde Texte, als seine eigenen ausgibt, sanktionieren sollte oder nicht. Auch das Argument, die ganze Diskussion sei ja von einem der Opposition nahe stehenden Wissenschaftler erst in Gang gesetzt worden und sei deswegen per se schon eine „Hetzjagd“, kann so nicht stehen bleiben. Denn es ist irrelevant für die Bewertung des Fehlverhaltens, ob dies von einem Genossen oder Gegner aufgedeckt wurde. Wenn ein SPD-naher Polizist einen Unionspolitiker des Mordes überführt, käme auch niemand auf die Idee zu sagen, dies sei politisch zu bewerten, sondern es stünde weiterhin der Mord Im vordergrund der Diskussion.

Dass Frau Merkel weiterhin ihr Hand schützend über den Prinz Charming ihres Kabinetts hält, würde ich momentan nicht überbewerten. Wenn man ihr Verhalten in vielen anderen Fällen der Vergangenheit betrachtet, könnte dies auch ihre übliche Demontagestrategie sein, denn je mehr sie ihn in seinem offensichtlich völlig in die falsche Richtung gehenden Krisenmanagements bestärkt, desto tiefer ist die Fallhöhe, wenn aus Bayreuth der Titelentzug kommt. Somit würde es in ein von ihr bekanntes Muster passen, dass sie nur die Absicht verfolgt, dass wenn er gehen muss, sie auch vorher sicher gestellt hat, dass er dann für alle Zeit geht.

Doch gerade auf der bayreuther Uni liegt jetzt eine hohe Verantwortung, was insofern problematisch ist, dass es eine Univerität aus Gnaden der CSU ist. Denn genau auf Bestreben von KTzGs Partei wurde diese Universität seinerzeit in den siebziger Jahren im Rahmen eines Strukturprogramms gegründet und viele der Menschen, die heute noch innerhalb der Universität etwas zu sagen haben, bekamen damals die Grundsteine ihrer Karriere eröffnet. Man muss also nun darauf vertrauen, dass sich das Selbstverständnis der Universität Bayreuth eher aus der akademischen Tradition speist als aus etwaigen alten Seilschaften heraus. Denn sonst degradiert sie nicht nur sich selbst, sondern den gesamten Wissenschaftsbetrieb. Oder wie ich es kürzlich auf Facebook gelesen habe: Dann ist ein Doktortitel aus Bayreuth nur noch so viel wert wie ein Diplom aus Pjöngjang.

Wer in diesem Zusammenhang noch von einer Hetzjagd spricht, hat nicht verstanden, was bei der Diskussion auf dem Spiel steht und welche weitreichenden Folgen eine Nichtahndung in diesem Falle haben könnte. Es geht nicht um die Demontage einer Person sondern um den Erhalt der Wissenschaft.

Mittwoch, Februar 16, 2011

F-ormulierungen A-us Z-eitungen

Heute findet man in sämtlichen Medien einen neuen Skandal um den Umfrageliebling Karl-Theodor zu Guttenberg. Der Freiherr muss sich dem Vorwurf stellen, etwas frei(h)err zitiert zu haben, als eigentlich von akademischen Gepflogenheiten vorgesehen. Eine Untersuchung der Sachlage ist im Gange, jedoch sieht es zumindest den in den Medien veröffentlichten Auszügen und Gegenüberstellungen so aus, als sei an dem Vorwurf etwas dran, da hier zum Teil ganze Passagen, die wortwörtlich übereinstimmen, aufgezeigt werden.

Dies ist natürlich eine recht unschöne Situation für den Herrn Minister, der nun einmal mehr sich selbst verteidigen muss, könnte es ihn schlussendlich gar den Titel kosten. Dabei wäre dies doch auf einfache Weise zu verhindern gewesen. Denn schließlich ist das Zitieren erlaubt und somit sollte man keine Scheu haben, eine Übertragung auch kenntlich zu machen. Aus eigener Erfahrung kann ich dazu sagen, dass ich es auch teilweise beim Verfassen von Hausarbeiten und sogar im Rahmen meiner Magisterarbeit, extrem unbefriedigend fand, dass in einigen Passagen sehr viele Zitate nötig waren. Beim Verfassen habe ich mir dann oftmals selbst die Frage gestellt, ob dann überhaupt noch etwas Eigenes im Text steckt. Allerdings machte ich mir dann klar, dass durch die Kombination verschiedener Zitate und Passagen im Rahmen meiner Überlegungen meist eine neue Richtung eingeschlagen wurde und der „Mehrwert“ somit im Neuarrangieren schon Vorhandenen Wissens lag und weniger in den einzelnen Details.

Genau dadurch zeichnet sich wissenschaftliches Arbeiten ja zum Teil auch aus, denn man hat nicht bei jedem Thema die Möglichkeit, etwas komplett neues zu kreieren oder von Null anzufangen, sondern behandelt, gerade während des Studiums oftmals Themen, die schon von allen möglichen Seiten beleuchtet und behandelt worden sind. Dann geht es eben nicht darum, etwas neues zu sagen, sondern schon Gesagtes neu zu ordnen oder zu bewerten. Persönlich habe ich immer gerne vergleichende Themen präferiert, etwa den Vergleich mit einem viel rezensierten und einem nicht rezensierten Roman, so dass ich zum einen Passagen hatte, die einer Aneinanderreihung von Zitaten glichen, jedoch im Gegenzug ähnliche Überlegungen bei dem nichtbesprochenen Werk anhand der vorher wiedergegebenen „Rezepte“ anstellen konnte.

Man bricht sich keinen Zacken aus der Krone (,die ein Freiherr eh nicht trägt), wenn man angibt, dass eine Idee nicht von einem selber stammt. Doch wie schwimmend hier die Grenzen sind, habe ich schon ganz am Anfang meines Studiums gelernt. In der Besprechung einer Hausarbeit zu einem Linguistikgrundseminar diskutierte ich mit meiner Dozentin über einen solchen Grenzfall. Es handelte sich um eine Tabelle, in der die Sonorität der verschiedenen Laute dargestellt wurde. Um den Anschein zu erwecken, dass es sich nicht um eine direkte Übertragung handelte, hatte ich die Tabelle einfach um 180 Grad gedreht, so dass die Laute nicht von links nach rechts, sondern von rechts nach links geordnet waren. Dies war natürlich ein dilletantischer Fehler, der diesen Verdacht überhaupt erst erzeugte, denn schließlich ist eben besagte Tabelle in jedem Lehrbuch zur Phonetik enthalten. Dies war dann auch meine Rechtfertigungsgrundlage. Meine Dozentin war der Meinung, es sei ein Plagiat und hätte müssen gekennzeichnet werden, ich vertrat den Standpunkt, es handele sich um so fundamentales Grundwissen, welches in jedem Einführungsseminar gelehrt werde und in jedem Nachschlagewerk zu finden sei, dass es mittlerweile eher als fachliches Allgemeinwissen angesehen werden könne. Schließlich kann man gerade bei grundlegenden Aussagen nicht jede Quelle nachweisen, da dies zur Folge hätte, dass bei jeder Erwähnung, dass die Erde keine Scheibe ist, Gallileo Gallilei als Quelle angegeben werden müsste. Da es sich hierbei also nur um einen kleinern Fall handelte, drückte meine Dozentin damals ein Auge zu und beließ es bei einer Verwarnung. Jedoch hatte ich somit schon frühzeitig gelernt (und das war wahrscheinlich auch ihre primäre didaktische Absicht), dass es besser ist, einer Quelle zuviel anzugeben, als eine zu wenig. Fortan entschied ich im Zweifelsfall immer so, dass ich mich für das Zitat und gegen das Allgemeinwissen entschied.

Eine komplett andere Erfahrung habe ich dann ein paar Semester später im Rahmen eines Shakespeare-Seminars gemacht. Anhand der schier unendlichen Sekundärliteratur über Shakespeare, bestand unser Professor darauf, dass man sich maximal eine handvoll Sekundärtexte anschauen solle, um einen generellen Zugang zum Thema zu bekommen, jedoch nicht versuchen solle, das ganze wissenschaftliche Spektrum zu sichten. Er meinte, dass es fast nicht möglich sei eine Aussage über ein Stück Shakespeares zu treffen, die nicht schon einmal irgendwer anders getroffen habe. Somit riet er uns, den Text eher anhand unserer eigenen Überlegungen zu gestalten, so dass er unsere Sicht der Dinge nachvollziehen könne und er nicht so sehr danach schauen würde, ob wir eine Idee von irgendwem kopiert hätten. Denn er war der Überzeugung, dass er, als Fachmann, sowieso bei jedem Satz in den Untiefen der Regalkilometer irgendwo einen ähnlichen Gedanken würde finden können. Außerdem stellt sich gerade in Bezug auf Shakespeare ein zweiter Umstand ein: Shakespeares Stücke sind schon zu einem solch hohen Maße in unserem kulturellen Gedächtnis verankert, dass man, selbst wenn man etwa Hamlet zum ersten Mal liest, ihn schon zu kennen scheint, wie es Marjorie Garber in ihrem Buch Shakespeare After All schreibt: „Indeed, as many commentators have observed, the experience of Hamlet is almost always that of recognition, of recalling, remembering, or identifying some already-known phrase or image.“ An diesem Zitat zeigt sich eine weitere Möglichkeit, wie man dieses Problem geschickt umgehen kann. Man kann durch einen einfachen Einschub auf „viele andere“ verweisen sofern dem so ist, ohne dann zwangsläufig eine genaue Quelle anzugeben.

Oft hat man ja auch Gedanken während der Behandlung eines Themas, von denen man zwar genau weiß, dass man sie irgendwann einmal gelesen oder gehört hat, jedoch nicht mehr weiß wann, wo oder in welchem Zusammenhang. Auch wenn dies gerne als Ausrede vorgeschoben wird, so sollte man in einem solchen Falle doch sehr kritisch mit etwaigen Vorwürfen sein, denn dies ist nun auch mal dem lebenslangen Lernprozess an sich geschuldet, da man sich teilweise über Jahre an etwas erinnert, jedoch nicht mehr an den Ursprung dieses Wissens. Auch hier gibt es eine persönliche Episode von mir. Ich wusste genau, dass ich irgendwann einmal gehört oder gelesen hatte, dass das Nicht-Erwähnen von Frauen in dem Gesetz zur Bestrafung von Homosexualität auf die Tatsache zurückzuführen sei, dass Königin Victoria, unter deren Regiment ein solches Gesetz erstmals verfasst wurde, der Meinung war, dass so etwas unter Frauen nicht vorkäme. Da gerade bei Gesetzestexten sehr viel abgeschrieben wird, jedoch in diesem Falle nicht im Sinne des Plagiats sondern da man gewohnheitsmäßig auf schon bestehende Regelungen im In- und Ausland zurückgreift, tauchten die Frauen daher in kaum einem Gesetzestext auf. Im Zuge meiner Magisterarbeit, die sich mit den Oscar-Wilde-Prozessen beschäftigte, wollte ich dies in einer Fußnote anmerken und war überglücklich, als ich genau diese Anekdote in einer Fußnote der Oscar-Wilde-Biografie von Richard Ellmann fand. Andernfalls hätte ich vor der Entscheidung gestanden, es als vages Halbwissen kennzeichnen oder aber diese Information ganz streichen zu müssen – beides lediglich suboptimale Lösungen.

Im literaturwissenschaftlichen Kontext kommen Plagiate zwar vor, jedoch nutzt es meist nichts, sich einfach irgendwo zu bedienen, da man hier meist mit ja auch die eigene Leseerfahrung verarbeiten möchte und meist genügend eigene Gedanken und Interpretationsansätze hat, die man ausbauen kann. Bei eher faktisch orientierten Themen wie im aktuellen Fall beispielsweise die Jura betreffend, bei denen der Auslegungsspielraum um einiges begrenzter ist, könnte man schon eher auf die Idee kommen, sich kleinerer oder größerer Hilfestellungen zu bedienen. Dies spiegelt auch meine eigene Erfahrung wieder, denn mehr als einmal wunderte ich mich gerade bei Kommilitonen der juristischen Fakultät, dass sie seltsamerweise immer extrem gute Arbeiten ablieferten, jedoch in den Seminardiskussionen ein tieferes Verständnis der Materie vermissen ließen und dem Diskurs nur zweifelhafte Beiträge beisteuerten, wohingegen in den anglistischen Seminaren die Vorhersagbarkeit der Zensuren recht einfach zu sein schien. Ich möchte jetzt keinesfalls behaupten, dass Juristen eher plagiieren, jedoch würde es mich nicht überraschen, fände ich eine Studie, die genau dies nachweist. Es mag auch daran liegen, dass gerade solch renommierte Fachrichtungen wie Jura oder auch BWL oftmals von Studenten aus Tradition ergriffen werden (zum Teil auch auf Druck der Familie) – nicht umsonst trifft man hier häufig angehende Juristen, deren Eltern sich auch schon diesem Fach gewidmet haben – teilweise kommen die Studenten aus reinsten Juristendynastien, wohingegen man in den anderen Geisteswissenschaften eher Studenten trifft, die das Fach aus einem eigenen Interesse ergriffen haben – oftmals sogar gegen gutes Zureden der Eltern, die dann doch lieber wollen, man studiere etwas Sinnvolles wie Jura. Zum anderen fällt es auch nicht so sehr auf, dass jemand etwas abgekupfert hat, zumindest nicht in dem Maße wie etwa in den Naturwissenschaften.Wer eine Kurvendiskussion fehlerfrei durchführen kann, der kann es auch für eine neue, ihm unbekannte Formel, was die Überprüfung des wirklichen Wissensstandes erleichtert.

Gerade jedoch die Überprüfung, ob es sich bei einem Verdacht wirklich um ein Plagiat handelt, kann im Einzelfall sehr kompliziert sein, wenn es sich nicht gerade um eine wörtliche Übertragung handelt. Dass man solche Stellen in der Arbeit von Herrn zu Guttenberg gefunden hat, ist hochgradig peinlich. Natürlich kann es einem passieren, dass man eine Quellenangabe vergisst, jedoch bei solchen Eins-zu-Eins-Übertragungen hat man den Text normalerweise vor sich liegen, um ihn abzutippen und kann eine Angabe sehr einfach und schnell einfügen. Zudem kann einem das ein oder zwei Mal passieren, jedoch scheint es ja in seinem Falle gleich mehrere Stellen zu geben, die dahingehend Mängel aufweisen. Ob und wenn ja, in welchem Maße er gegen Zitationsregeln verstoßen hat, wird festzustellen sein. Dass es jedoch kein gutes Licht auf ihn wirft und er sich diesem Thema mit mehr Ernsthaftigkeit widmen sollte, als er es bisher getan zu haben scheint, liegt auf der Hand. Sollten sich die Vorwürfe gar bewahrheiten, dann könnte dies noch weitere Kreise ziehen. Aber um eines muss er nicht bangen: Den Titel Freiherr kann man ihm nicht aberkennen.

Dienstag, Februar 01, 2011

„Ich möchte das nicht“

Es ist immer wieder eine Freude Hape Kerkeling in seiner Rolle als Gisela, offensichtlich sehr von der ehemaligen Ministerin Ulla Schmidt inspiriert, diesen Satz sagen zu hören. Auch wenn es sich hierbei nur um die Umkehrung des eigentlichen Werbeslogans der Kaffeemarke handelt, so bringt mich dies doch auf einige grundlegendere Gedanken. Denn hier zeigt sich im Kleinen ein Phänomen, das unserem Denken doch immanent zu sein scheint. Oftmals sind es ja gerade die kleinen Dinge, an denen man erkennen kann, wie unsere Welt so tickt, weshalb ich, bevor ich auf das Eigentliche zu sprechen komme, zwei weitere, triviale Beispiele zurückgreifen möchte.

Das Dschungelcamp, das bis zum vergangenen Wochenende die Medien in bisher nicht gekanntem Ausmaße dominierte, verfügt in der zweiten Wochen in seinem Regelwerk über die Möglichkeit, die Teilnehmer zu unterstützen. Allerdings wird, wie auch bei anderen Abstimmungsformaten, etwa in Castingshows, hier ein falscher Eindruck erweckt. Man hört sehr oft, dass man einen Kandidaten „heraus wählen“ könne, was jedoch nicht der Fall ist. Im Falle dieses Beispieles ist es so, dass man durch seinen Anruf signalisiert, dass eben der betreffende Kandidat weiterhin im Camp bleibt. Dies ist natürlich umsatzfördernder als der umgekehrte Weg, denn wollte man wirklich einen Kandidaten heraus wählen, so müsste man streng genommen für alle anderen Kandidaten anrufen, um sicher zu stellen, dass diese im Spiel bleiben. Entgegen der Suggestion, man könne seiner Antipathie Ausdruck verleihen, besteht nur die Möglichkeit der Sympathiebekundung. Doch schaut man sich die Kommentare und Diskussionen um die Kandidaten genauer an, so stellt man fest, dass es meist einfacher ist zu benennen, wer nicht weiterkommen soll, als zu sagen, wer denn weiterkommen soll – zumindest anfänglich, wenn noch fast alle Teilnehmer im Rennen sind, mit der Zeit kristallisiert sich dann doch meist ein persönlicher Favorit heraus.

Eben jene Unmöglichlkeit der Ablehnungsbekundung findet sich jedoch auch bei dem zweiten Beispiel, Facebook. Es gibt den „Like-Button“, jedoch keinen, wenn auch oft von den Nutzern ersehnten, „Dislike-Button“. Dies führt dann in vielen Fällen dazu, dass die eigentliche Bedeutung dieser Zustimmungoption unterlaufen wird, denn wenn jemand die Statusmeldung, dass ein Freund den Job verloren hat, mit „Like“ quittiert, so drückt er eben nicht aus, dass ihm dies gefällt, sondern dass er Kenntnis davon genommen hat und wahrscheinlich auch Anteil daran nimmt. Die Bedeutung löst sich also auf und durch eine teilweise inflationäre Nutzung, verschwimmt das „Like“ immer mehr zu mannigfaltigen Bedeutungen und kann sämtliches bedeuten, etwa: „Danke für den Link“, „habe ich gelesen“, „sehe ich genauso“, „finde ich schade“, etc. pp. Wollte man wirklich Stellung beziehen, müsste man sich schon die Mühe machen, einen Kommentar zu schreiben – man müsste also eine wie auch immer geartete „Erklärung“ abgeben.

Diese Überlegung führt mich nun zur Politik. In diesem Jahr werden in fast der Hälfte der Bundesländer die Parlamente neu gewählt. Doch gilt hier das gleiche Prinzip: Man hat lediglich die Möglichkeit einer Partei zuzustimmen, in diesem speziellen Falle jedoch ohne die Option, dies in einem Kommentar weiter zu erläutern. Doch ob eine abgegebene Stimme immer auch eine Zustimmung zur Politik derjenigen Partei ist, die gewählt wurde, darf stark bezweifelt werden. Allerdings wird dies dann gerne nach der Wahl so ausgelegt, was paradoxerweise dazu führt, dass es in der Vergangenheit oft genug Wahlen gab, aus der nur Gewinner hervorgingen, sei es einerseits, dass sie trotz zum Teil immenser Verluste als stärkste Partei hervorgingen, oder aber in Bezug auf frühere Wahlergebnisse besser abgeschnitten hatten. Wahrgenommen wird in ersterem Falle jedoch nur, dass man die richtige Politik betreibe, da man ja eben die meisten Stimmen bekommen habe. Selbst wenn tausende Wähler sich seit der letzten Wahl von einem abgewendet haben, so steht man doch als Sieger da und wähnt sich auf dem richtigen Weg – dass man jedoch von vielen eben keine Zustimmung bekommen habe, wird selten bis nicht registriert.

Das gleiche gilt auch für die sinkende Wahlbeteiligung. Diese wird meist nur von Politologen in entsprechenden Politik-Talkshows analysiert, von Politikern allenfalls dann, wenn sie in die eigene Argumentation passt. Jedoch drückt sich eben in fehlenden Stimmen zu einem nicht geringen Maße auch aus, dass die Menschen mit der Politik der einzelnen Parteien nicht zufrieden sind und müsste somit als Ablehung gedeutet werden. Nicht jeder unterstützt eine Partei, nur weil sie „das kleinere Übel“ ist und in erschreckendem Maße bleiben viele den Urnen ganz fern. Die einzige Möglichkeit, sein Misfallen auszudrücken, wäre der Protest, der jedoch wie im oben beschriebenen Beispiel Facebook, einen Mehraufwand bedeutet. Es ist leichter ein Kreuzchen zu machen oder ein „Like“ zu klicken, als einen Kommentar zu schreiben oder zur Demonstration zu gehen.

Im Falle der Demonstration kommt ein weiteres Element hinzu, das sich besonders schön am Beispiel „Stuttgart 21“ zeigen lässt. Denn gerne werden dann diejenigen, die eben ihr Misfallen ausdrücken als Gegner gesehen, was in der politischen Rethorik sogar so weit getrieben wird, dass Parteien als „Dagegen-Parteien“ dargestellt werden. Dies bedeutet jedoch, dass der Ja-Sager im Vorteil ist – unabhängig von der zugrunde liegenden Sachfrage. Wer für das aktuell geltende ist, muss sich nicht erklären – wer dagegen ist, schon. Paradox dabei ist jedoch, dass natürlich alle dafür sind, dass sich der Bürger politisch aktiv zeigt.

Um es auf eine Alltagssituation herunterzubrechen: Von jedem Arbeitnehmer, jedem Schüler und auch im privaten Bereich, wird erwartet, dass er Dinge kritisch anspricht und auch das eigene Misfallen oder erkannte Fehler benennt. Tut man dies jedoch, so muss man oft mit Konsequenzen rechnen oder mindestens recht viel Aufwand betreiben, um seinen Standpunkt klar zu machen. Da der Mensch jedoch oftmals lieber den einfachen Weg geht, wird dann halt geschwiegen. Die dadurch fehlende Zustimmung wird jedoch dann nicht als Ablehnung gedeutet, sondern als immanente Zustimmung. Schweigen ist ein Ja, der Kritiker ist der Böse.

(Einschub: Die Tatsache, dass Kritik einen Mehraufwand mit sich bringt und Schweigen gemeinhin als Zustimmung gedeutet wird, ist ein nicht zu unterschätzendes Element im Funktionieren von totalitären Systemen, was wir aus der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts lernen können – sowohl aus dem Schweigen während des dritten Reiches, als auch aus der Gefahr, die die Bürgerrechtler in der DDR auf sich nahmen.)

Doch eben weil man oft zwar weiß, was man nicht möchte, nicht jedoch was man möchte, ist diese Kritik an der Kritik auch ab und an gerechtfertigt. Als Beispiel seien hier die 68er-Aufstände genannt, beziehungsweise das daraus resultierende, nicht jedoch kausal notwendige Entstehen der RAF. Diese Bewegung, wenn man sie als einen Zusammenhang sehen möchte, hatte ein grundlegendes Problem. Das bestehende System wurde zwar kritisiert, jedoch mangelte es an konstruktiven Alternativen, was auch die damalig anfängliche, latente Sympathie mit den Terroristen erklären hilft. Viele wussten damals, dass sie das „weiter so“ nicht wollen, jedoch, was über die Frage, was sie denn wollen, war man sich nicht einig. Auch wenn ich mich hier deutlich vom Terrorismus distanzieren möchte, so sehe ich doch, dass die sich in diesem Beispiel zeigende Radikalisierung eine (von mehreren) möglichen logischen Konsequenzen aus dem oben beschriebenen Mehraufwand ist, der für jede Kritik vonnöten ist. Oder anders: Der Preis der Kritik ist die Stabilität.

Dies zeigt sich auch in den gerade stattfindenden Umwälzungen in den nordafrikanischen Staaten. Auch wenn sich die westlichen Staaten über Jahrzehnte sehr wohl bewusst waren, dass es sich bei diesen Staaten um Unrechtsregime handelt, hat man etwaige Defizite auf dem Gebiet der Menschenrechte zugunsten der Stabilität der Länder an sich oder aber der internationalen Politik in Kauf genommen. Jetzt, da sich dort das Volk erhebt, ist man in gewisser Weise indifferent, wenn es darum geht, das Geschehen zu bewerten. Einerseits begrüßt man, dass der Weg hin zu einer Demokratisierung eröffnet wird, andererseits steht man der Unsicherheit gegenüber, ob der Ausgang nicht die gesamte Region destabilisiert. Vielleicht sollte man einfach hoffnungsvoll die Entwicklung beobachten, denn der Vergleich zu den Umstürzen in Osteuropa vor zwanzig Jahren ist gar nicht mal so schlecht. Denn damals wusste man, mit Ausnahme der DDR, von der man ausgehen konnte, dass sie in die sich mittlerweile bewährte Bundesrepublik überführt würde, auch nicht, welche Richtung die politische Entwicklung einschlagen würde.

Natürlich ist auch die Frage der Stabilität eine Medaille mit zwei Seiten. Gerade ein Konstrukt wie das konstruktive Mistrauensvotum, dass uns die Verfasungsväter ins Grundgesetz geschrieben haben, ist insofern sinnvoll, als dass es verhindert, dass das Regierungshandeln dadurch blockiert wird, dass ständig irgendwer aus der Regierung hinausgewählt wird, wie dies gerade in der Endphase der Weimarer Republik der Fall war. Auch ist es sinnvoll, dass es keine Möglichkeit der Abwahl gibt, die dann verhindern würde auch unangenehme Entscheidungen zu treffen – es reicht ja schon, dass das Handeln der Bundesregierung dadurch eingeschränkt ist, dass sie immer auch mit einem Auge auf anstehende Landtagswahlen schaut.

Dennoch bleibt die Frage, wie man es verhindert zu einem Volk der Zustimmer oder Schweiger zu werden ohne die Inkaufnahme von Eskalation und Instabilität. Eine Ausweitung plebiszitärer Elemente könnte hier im Einzelfall eventuell ein Weg sein. Doch auch dadurch wird das grundlegende Dilemma nicht aufgehoben: Wir erkennen leichter, was wir nicht wollen, haben jedoch oft nur die Möglichkeit auszudrücken, was wir wollen und alles andere bedarf der Erklärung oder des Aufwands. Der Rest ist Schweigen.