Ben's Kommentar

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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Dienstag, Januar 25, 2011

Panem et circenses

Millionen haben gestern den Eklat bei „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“ verfolgt und die Ausstrahlung brach alle Quotenrekorde der vergangenen Jahre. Auch wenn diese Serie oftmals als Unterschichtenfernsehen belächelt wird, kenne ich dennoch viele Menschen, die die Ereignisse dieser Publicity-Reha interessiert verfolgen, die nicht dem Prekariat angehören. Doch was reizt jemanden daran, eine solche Sendung zu schauen? Ganz einfach: die blanke Unterhaltung.

Selbst intelligente Menschen, die weiß Gott besseres mit ihrer Zeit anfangen könnten, schauen dieses Trash-TV, weil auch sie ab und an auf einem Level unterhalten werden wollen, das die grundlegendsten Instinkte des unzivilisierten Menschen berührt. Der Zuschauer ergötzt sich an dem Dschungeltheater und füttert das freudsche Es einwenig, fernab eines zivilisatorischen Über-Ichs, dass vorraussetzen würde, dass ein wie auch immer gearteter kultureller Überbau dieses Verlangen verschleiert. Man könnte zwar nun versuchen, das Ganze philosophisch zu begründen und in Rückgriff auf Hobbesschen Naturzustand, bei dem jeder dem anderen ein Wolf ist, argumentieren, dass eben dies das spannende Element sei oder könnte anfangen, das Verhalten der Teilnehmer psychologisch zu analysieren und sich zu fragen, warum wer in dieser oder jener Situation nun so und nicht anders handelt, könnte sogar auf einzelne Prüfungen eingehen und sie etwa vor dem Hintergrund des Milgram-Experiments auseinander nehmen, jedoch geht es doch darum gar nicht. Auch wenn dies ganz nette Nebenüberlegungen wären, so geht es im Grunde genommen nur um die reine Sensationslust, die hier befriedigt werden will.

Allerdings einer Einsicht kann man sich nicht verschließen: Eine Sendung wie das Dschungelcamp kann nur dann Erfolg haben, wenn es uns gut geht. Dies genau war nämlich die Kritik des römischen Dichters Juvenal, der erstmalig von „Brot und Spielen“ sprach. Er bemängelte, dass die römische Gesellschaft mittlerweile in einer solchen Dekandenz lebe, dass sie eben nicht mehr nur das eigene Vorankommen im Blick habe, sich um Fragen der Politik oder der Gesellschaft kümmere, sondern in ihrem Wohlstand nun nur noch eines suche, nämlich die Zerstreuung und Unterhaltung. Anders herum formuliert: Da es uns so gut geht, dass wir uns nicht ständig Sorgen um die existentiellen Fragen des Lebens machen müssen, da wir wohlbehütet in einer mehr oder weniger funktionierenden Gesellschaft leben, die uns das Überleben und die eigene Weiterentwicklung sichert, können wir in letzterer auch einmal innehalten und uns mit eben solchem Schwachsinn beschäftigen. Dass diese Unterhaltung auf so niedrigem Niveau stattfindet, zeigt daher nur an, dass wir uns von einem hohen Niveau herunter lassen. Diese Sendung ist ein gesellschaftlicher Luxusartikel, wie es sie schon immer in der Menschheitsgeschichte gegeben hat.

Diejenigen, die versuchen, zu definieren, dass ein solches Format „schlecht“ sei oder „niedere Gelüste“ befriedige, haben einerseits zwar recht, doch sollten sie sich auch bewusst sein, dass vieles, was heute zur Hochkultur gehört, ursprünglich den gleichen Effekt haben sollte. Denn wo liegt der Unterschied zwischen dem heutigen Fernsehzuschauer, der mit Chips und Bier vor dem Fernseher die Winkelzüge einer Sarah Knappik verfolgt und demjenigen elisabethanischen Globe-Besucher, der fressend und saufend in der Menge der Groundlings steht und sich an den Intrigen einer Richard III ergötzt? Nur weil ein Heer von Intellektuellen in den darauffolgenden Jahrhunderten den Shakespeare-Stücken eine kulturelle Grundlage verschafft hat, sie eingebettet hat in moralische Betrachtungen, zu Bildungsgütern sublimiert hat, heißt dies nicht, dass es nicht grundlegend nur um die Unterhaltung ging.

Auch wenn nicht zu erwarten ist, dass das Dschungelgeschehen irgendwann einmal Teil des Bildungskanons sein wird, so böte es doch genug Ansatzpunkte, die dies rechtfertigen würden, wie eingangs schon erwähnt. Gibt man sich diesem Gedankenspiel einmal kurz hin, so könnte man sich ohne Probleme ausmalen, dass auf eben jenen Fernsehzuschauer in einigen hundert Jahren genauso zurückgeblickt wird, wie wir heute auf die nach Unterhaltung geifernden Zuschauer des Globe zurückblicken. Und ebenso wie sich die Bewertungsmaßstäbe in der Vergangenheit verschoben haben, so könnten sie sich auch in dieser angenommenen Zukunft verschoben haben. Wobei ich einschränkend schon sagen muss, dass ich persönlich schon den Dramen Shakespeares einiges mehr an Gehalt zuschreibe, als dieser Pseudo-Reality-Show.

Da wir die Corsage der Zivilisation im Normalfall nicht einfach ausziehen können, brauchen wir ab und zu ein solches Ventil und lassen andere sich zum Affen machen, damit wir beherzt um die Götze der Sensation tanzen können. Somit wird das goldene Kalb zum heiligen Gral, zur moralischen Selbstdefinition ex negativo. Eben weil wir uns unserer Mängel bewusst sind und mit diesen immer wieder hadern, müssen wir uns über solch niedere Impulse erheben, um nicht an der eigenen menschlichen Unzulänglichkeit zu zerbrechen. Da uns jedoch in der realen Welt ein solcher Ausgleich oftmals fehlt, greifen wir auf solch simple Mechanismen zurück. Wobei allerdings auch hier eine Einschränkung gemacht werden muss, denn oftmals spielt sich ähnliches in unserer realen Welt in ähnlicher Weise ab, sei es in Arbeit oder Politik – denn was sind die heutzutage medial inszenierten Bundestagsdebatten anderes als ein Dschungelcamp für politisch Gebildete?

Daher schäme ich mich nicht dafür, dass ich mir diesen „Schwachsinn“ allabendlich hereinziehe und akzeptiere, dass er ein Teil meines menschlichen Daseins ist, wissend, dass es ein nötiger Ausgleich zu den sonst eher vorherschenden kulturellen, politischen, philosophischen und moralischen Betrachtungen ist, mit denen ich mich ansonsten beschäftige.

Dieses Format mag zwar unterste Schublade sein, doch in dieser Schublade, liegt es ganz oben.

Montag, Januar 17, 2011

Auf den Schultern des Autors

Gerade habe ich meine Lektüre von Pierre Bayards Betrachtungen darüber, wie man über Bücher sprechen kann, die man nicht gelesen hat, beendet und festgestellt, dass einige der darin beschriebenen Effekte sehr eng mit einem meiner Weihnachtsgeschenke verbunden sind. Bayard, dem ich nicht in Allem, jedoch in vielen Punkten zustimen kann, behauptet, dass man streng genommen kein Buch wirklich gelesen hat, denn selbst wenn man dies faktisch getan hat, ist durch Vergessen aber auch durch eigene Überlegungen, teilweise schon während des Lesens, ein neues Buch entstanden, welches eine mentale Repräsentation des physischen Buches ist, jedoch nicht mit diesem inhaltlich kongruent ist.

Er teilt Bücher somit in vier Kategorien ein: Bücher, die man nicht kennt, Bücher, die man überflogen hat, Bücher, von denen man gehört hat und Bücher, die man gelesen jedoch wieder vergessen hat. Bei letzterer Kategorie kann es sogar sein, dass ein Autor Bücher vergessen hat, die er selbst eschrieben hat, was dazu führt, dass er sich auf dem selben Standpunkt befindet, wie jemand, der sie nicht gelesen hat. Eben diese Erfahrung habe ich mit dem besagten Weihnachtsgeschenk gemacht. Mir wurde die weltweit einzig existierende Ausgabe der „Benzyklopädie“ geschenkt, sprich eine gebunde Ausgabe aller bisher erschienen Blogbeiträge meines Blogs. Somit habe ich die Zeit zwischen den Jahren immer mal wieder dazu genutzt, mir meine alten Beiträge durchzulesen. Auch wenn ich die Lektüre noch nicht abgeschlossen habe, da es mittlerweile schon an die 500 Seiten sind, die ich hier zum Besten gegeben habe, so ist mir jedoch aufgefallen, dass ich zum Teil erstaunt war, dass dies meine Worte sein sollen.

Natürlich kann ich mich an einige der Beiträge recht gut erinnern, selbst wenn sie Jahre zurück liegen. Bei anderen jedoch, ist mir allerdings nicht mehr bewusst, dass ich je zu diesem Thema etwas geschrieben habe. Zum Teil stolpere ich gar über Sätze, von denen ich denke, dass diese unmöglich einmal meine Meinung gewesen sein können, ganz zu schweigen von den vielen Rechtschreib- und Tippfehlern, die ich gefunden habe, die allerdings auch daher kommen, dass jeder Beitrag ungelesen publiziert wurde, da er eben eine Momentaufnahme darstellt und nicht in irgend einer Form noch einmal geschönt werden sollte. Somit falle ich in genau diese Kategorie, von jemandem, der etwas geschrieben, aber nie selber gelesen hat und somit zum Teil weniger darüber weiß, als manch aufmerksamer Leser. Dies ist mir auch früher immer mal wieder aufgefallen, wenn ich mit anderen über meinen Blog gesprochen habe und manch einer dieser Gesprächspartner konfrontierete mich mit Zitaten, bei denen ich nie vermutet hätte, dass sie meinem Hirn entsprungen seien (hier ein kleiner Gruß an diejenigen, auf die ich hier anspiele).

Wahrscheinlich wird es auch so sein, dass vieles, was ich hier schreibe vom jeweiligen Leser ganz anders eingeordnet wird, als ich es mir denken kann und er somit einen grundlegend anderen Beitrag liest, als ich ihn meinte geschrieben zu haben. Somit wären wir bei einer in der Literaturwissenschaft herrschenden Meinung, die besagt, dass die Bedeutung nicht vom Autor, sondern vom Leser gegeben wird. Denkt man dies nun einen Schritt weiter, so besagt es nichts anderes, als dass nicht der Schreibende der eigentlich Kreative ist, sondern der Rezipient. Bayard geht in diesem Punkt sehr weit, meines Erachtens zu weit, so dass man den Eindruck bekommt, dass Lesen an sich nicht anzuraten sei, sondern man sich gleich dieses Mühsal ersparen sollte. Ein Punkt, den ich garantiert nicht unterschreiben würde, da es nicht möglich ist, die von ihm erwähnte Fähigkeit, Bücher die man nicht gelesen hat, in eine virtuelle Bibliothek einzuordnen, wenn man nicht ein Grundmaß an Büchern gelesen hat, um eben jene Fähigkeit zu erlangen. Eben sowenig würde ich sagen, dass das eigentlich kreative Element beim Leser liegt, denn wenn auch jeder Bedeutung anders aus einem Text herausliest und andere, eigene Schlüsse zieht, so fungiert der Autor immerhin als Stichwortgeber – quasi als der Vater, der das Kind auf die Schultern nimmt, um ihm eine bessere Sicht zu ermöglichen.

Die Frage der Autorschaft beziehungsweise des ihr innewohnenden Gedankens der Kreation hat natürlich auch Auswirkungen darauf, was man als das genuin neue eines Textes definiert. Da jedoch der Schreibende, zumindest im Idealfall, auch ein Lesender ist, würde er sich wohl selbst attestiere müssen, dass er selbst gar nichts Neues geschaffen hat – allenfalls hat er selbst einmal Erfahrenes oder Gelesenes in einen neuen Zusammenhang gestellt. Denn wie schon Angela Carter richtig erkannt hat, gibt es kein Buch, dass sich nicht auf ein anderes Buch bezieht und jeder Text spiegelt lediglich etwas schon Vorhandenes wider, führt es fort, stellt es um oder bezieht sich in anderer Weise darauf.

Somit hat dies natürlich dann auch Auswirkungen auf das Themenfeld der Plagiate. Denn wenn ich nun sagte, dass es erlaubt sei, wenn man nicht alle seine Quellen offenlegte, weil es in gewisser Weise zum einen sowieso unmöglich sei, jeden eigenen Gedanken auf seinen Ursprung hin zurück zu verfolgen und andererseits, derjenige Leser, der diesen Ursprung kennt, eben jenen in der getätigten Aussage auch wiederfinden wird, somit also das Faktische normativ ein solches Unterlassen rechtfertige, so könnte ich nun Jellinek erwähnen oder eben nicht, wissend, dass derjenige, der die das Konzept der normativen Kraft des Faktischen kennt, eben auch weiß, wer sie zuerst formuliert hat.

Deswegen ist die in Hausarbeiten übliche Bestätigung, dass man alle direkten und indirekten Zitate kenntlich gemacht habe, auch insofern paradox, dass dies zum Teil gar nicht mehr möglich ist, da sich unser Denken immer auch aus indirekten Zitaten speist. Dennoch ist eine solche Kennzeichung sinnvoll, wohingegen ich die gängige Publikationspraxis schon angenehmer finde, bei der man einfach am Ende die zugrunde liegenden Texte in einer Bibliografie auflistet und somit diesen Nachweis erbringt und nur dann namentlich etwas erwähnt, wenn es der Argumentation im eigentlichen Text auch dienlich oder es eben ein direktes Zitat ist.

Aber wie ich gerade merke, schweife ich einmal mehr ab. Deswegen lasse ich das bisher geschriebene als „im Prozess befindliches Zwischenergebnis“ stehen (ein Zitat meines ehemaligen Klavierlehrers) und schließe, in Vorraussicht auf den eventuell kommenden Beitrag, mit dem Satz, der gerade im Kontext des Dschungelcamps zwischen Gina Lisa und Sarah Knappik in Bezug auf den Ursprung des Zitats ausgetragen wird: Zack the bean.

P.S.: In altbewärter Tradition, im Postscriptum die Widmung auszusprechen, will ich diesen Beitrag Max Schneider widmen, der mir mit der „Benzyklopädie“ ein wunderbares Geschenk gemacht hat, von dem es schade ist, dass die erste Auflage auf ein Exemplar begrenzt ist, verbunden mit der Absichtserklärung, in den nächsten Monaten und Jahren noch genug für weitere Bände zu schreiben.