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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Sonntag, Januar 15, 2006

Es irrt der Mensch solang er strebt! oder: Will der Mensch denn glücklich sein?

In den letzten Tagen begegnet mir in meinem als auch in dem Leben mir nahe stehender Menschen immer wieder die Frage nach dem menschlichen Glück, der Selbstzufriedenheit und dem Erreichen von Zielen, was ja auch so kurz nach dem Jahreswechsel, einem klassischen Zeitpunkt für Selbstreflexion und Zielsetzung, nicht sonderlich verwundert.

Doch was ist Glück? Wonach Sehnen wir uns? Sehnen wir uns auch wirklich danach oder ist dieses Verlangen nur Schein? Was würde an dem Tag passieren, an dem wir alles erreicht haben und vollkommen glücklich sind? Um diesen unlösbaren Fragen auf den Grund zu kommen und wenigstens der Lösung etwas näher zu kommen, werde ich einmal versuchen die verschiedensten Dinge zu durchdenken und einige der in den letzten Tagen in Gesprächen gefundenen Vergleichen darzustellen.

Bevor ich nun den Bereich der Philosophie betrete, der ja immer auch das Image des Hochtrabenden und Weltfremden hat, fange ich einmal ganz empirisch bei den Naturwissenschaften an, denn im Grunde genommen dreht sich die Frage nach Glück ja für die meisten um Gelingen oder Nicht-Gelingen der eigenen Vorhaben.

Aber gerade die Wissenschaften zeigen uns, dass oftmals das Versagen, die Fehler und das Fehlschlagen wichtige Erkenntnisse bringen und manchmal sogar weiter reichende Erfolge bringen als das Gelingen. Denn was wäre, wenn beispielsweise Alexander Flemmings Experiment gelungen wäre und nicht durch den Pilz „ruiniert“ worden wäre? Dann hätten wir heute ein paar statistische Auswertungen mehr über Bakterienkulturen, wüssten aber immer noch nicht, die von ihnen verursachten Krankheiten zu behandeln. Oder wie oft ist es in der Mathematikgeschichte passiert, dass jemand einen Satz beweisen wollte und an irgendeiner Stelle trotz akribischer Genauigkeit auf einen Widerspruch gestoßen ist und den Satz somit widerlegt hat? Und spätestens seit den Curies sollte selbst dem letzten klar geworden sein, dass selbst der Zerfall, also so gesehen der Tod auf molekularer Ebene, etwas Gutes hat und Energien freisetzt.

Somit haben wir erst einmal festgestellt, dass Schlechtes nicht zwangsläufig schlecht sein muss, wobei jedoch nun der Einwand kommen mag, dass man ja auch auf einfacherem Wege das Gute erreichen könne. Sehr wahr, jedoch ist der Mensch kein Strom, der immer dank Ohmscher Gesetze den Weg des geringsten Widerstandes wählt, obwohl er dies meines Erachtens dann doch viel zu oft tut und somit seine Potentiale auf den Feldern des Müßiggangs brach liegen lässt und sich wundert, dass nichts blüht.

Doch will das der Mensch überhaupt? Etwas einfach so erlangen? Ohne Anstrengung einfach in den Genuss kommen, der dann auch unverändert haltbar ist? Wenn ich mir die Extrem- und Fun-Sportarten anschaue, so komme ich da zu einem anderen Schluss. Egal ob nun Skifahren, Houserunning, Bungee-Jumping, Fallschirmspringen oder Achterbahn – alles zeichnet sich dadurch aus, dass man die Mühsal des Aufstieges auf sich nimmt, nur um das Fallen zu genießen. Warum dann haben wir in unseren Vitae ein Problem mit dem Fallen? Warum macht es uns Spaß trotz eines langen, steinigen Weges zum Gipfel auf Brettern hinunterzufahren und wenn es in unserem Leben, in der Wirtschaft, Politik oder Gesellschaft bergab geht, fangen wir an zu Jammern? Das ist doch paradox!

Was wäre denn, wenn sich eine Utopie, wie immer sie sich auch gestalten mag, erfüllt? Ein Traum der sich erfüllt, verliert doch in genau diesem Moment seine Existenzberechtigung und löst sich gleich einer platzenden Seifenblase in Luft auf. Zumal, wenn man Wünsche und tugendhafte Absichten bis zum Ende durchdenkt, so stellt man immer wieder fest, dass dann, wenn man es konsequent durchzieht, daraus eine Welt entsteht, in der wohl keiner sein Dasein würde fristen wollen. Wer dies nicht glaubt, der soll sich diesbezüglich mal mit den bekanntesten Utopien der Literaturgeschichte auseinander setzen. Des Weiteren, um auf ein klassisches Glücksdiskussionsbeispiel zu nehmen, wäre Sisyphos denn glücklich, wenn der Stein auf dem Hügel liegen bliebe? Was wäre dann sein Lebenssinn? Dann könnte er nur noch gesenkten Hauptes den Berg hinunter gehen und aus der griechischen Mythologie verschwinden und mal im Märchenwald bei den 7 Zwergen anfragen, ob sie noch einen Job haben und wenn das nichts bringen würde, bliebe ihm dann auch nur noch Hartz IV.

Oder was passierte, wenn man in der Musik versuchen würde, Höhen und Tiefen zu eliminieren? Wäre eine Symphonie bestehend aus einem Ton noch hörenswert? Sicher nicht! Und gerade an diesem Beispiel zeigt sich auch sehr deutlich, dass auch die größe des Spektrums entscheidend ist. Denn oftmals fragt man sich ja selbst nach irgendwelchen Ereignissen: „Musste es denn wirklich so schlimm sein, hätte es weniger nicht auch getan?“ Natürlich will ich hier nicht bestreiten, dass bisweilen Weniger mehr sein kann, jedoch kann sind die großen musikalischen Opus die schönsten, die sich nicht nur in einer Oktave abspielen, sondern über diese hinaus nach oben als auch nach unten ihren Lauf entfalten, die Dissonanzen beinhalten, und Dur und Moll im Wechsel erklingen lassen, wo auch ein Septakkord nicht schräg klingt, sondern Anzeichen dafür ist, dass, wenn man sich nicht gerade im Trugschluss befindet, nun sich alles in der Tonika auflöst und man den lang ersehnten Wohlklang der Grundtonart hören wird.

Im Spiel fällt uns das auch oftmals leichter, denn Spiele basieren ja gerade zu auf dem Prinzip, dass meist nur einer gewinnt. Und ein Mensch-ärgere-dich-nicht, bei dem nicht gewippt wird und jedes Männchen nur einmal die Runde macht und ungehindert ans Ziel kommt, ist so langweilig, dass man es auch gleich bleiben lassen könnte. Auf die Spitze getrieben wird die Glorifizierung des Verlustes im Spiel Mankomania, in dem eben der gewinnt, der nachher nichts mehr hat und wo sich jeder Spieler ärgert, wenn er im Kasione den Jackpott knackt. Das muss man sich einmal genau durchdenken: Ein Spiel, welches so konzipiert ist, dass sich der Spieler über ein unwahrscheinliches Glück ärgert, welchem er im wahren Leben hinterher trauert.

Ganz wie der Volksmund sagt, dass ein guter Arzt, seine Patienten immer ein klein bischen krank hält und nie ganz kuriert, so denke auch ich, dass wir eben diese Spanne des Nichterfüllten brauchen um einen Antrieb zu haben. Genau diese Differenz ist es doch, ganz egal wie groß oder klein sie sein mag, die uns weitermachen lässt. Wenn diese nicht wäre und wir am Ende angelangt wären, so bliebe uns nur noch eines - Sterben. Denn alles andere würde unsere Situation verschlechtern. Es könnte dann konsequenter Weise nur noch eine Verschlechterung eintreten, sobald sich etwas verändert. Und dennoch bin ich ebenfalls der Überzeugung, dass, könnten wir diesen Zustand unverändert andauern lassen, so würden wir dieses Glückes überdrüssig und schon nach kurzer Zeit des Stillstandes wäre es nicht mehr aushaltbar. Denn wie sagte Goethe schon sinngemäß, dass es nichts schrecklicheres gäbe, als eine Reihe aufeinander folgender Sonnentage, denn wenn immer nur die Sonne scheint, so hat man eben kein „gutes Wetter“ sondern lediglich die Definition von „Wetter“ aufgelöst. Daher ist es nur allzu nachvollziehbar, dass der Wilde in der Dystopie „Brave, New World“ von Aldous Huxley sein Recht auf Leid, Schmerz und Misserfolg einfordert, da er es nicht aushält, wenn ständig alles sorglos ist.

Es gibt jedoch eine Erfahrung, die wohl jeder schon einmal gemacht hat, die diesen gesamten Komplex in gewisser Hinsicht auflöst – der Orgasmus. Es sind genau diese Bruchteile einer Sekunde, die alle Gefühle der Welt - wenn es denn ein guter Orgasmus ist, was nicht immer der Fall ist - in sich vereinigen. Auf dem höchsten Gipfel der Lust wird einem alles genommen. Man spürt den „kleinen Tod“, wie die Franzosen ihn nennen und „Himmel hochjauchzen“ und „zu Tode betrübt“ sind fast synchron. Das binäre Verhältnis von Allem und Nichts löst sich fast auf und man hat das Gefühl unserer Welt zu entsteigen und sich über sie zu erheben, in die Ewigkeit einzutauchen und gottesgleich über allen Widersprüchen erhaben dazu stehen. Und genau diese Vereinigung von Gut und Böse, diese Verschmelzung von Lust und Last ist so überwältigend, dass wir ihr immer wieder entgegenstreben und sie auch meist nur mit Menschen teilen wollen und können, die es uns Wert sind diesen metaphysischen Zustand mit uns zu erleben. Denn einmal ganz ehrlich: Wer würde sich zwei Stunden mit kindischem Gefummel abfinden und zum Teil unsinnigste Dinge tun, wenn nicht dieser Moment das Handeln bestimmen würde? (Was jetzt nicht heißen soll, dass Sex nur mit Orgasmus schön ist, aber es geht ja hier jetzt nicht ums Detail sondern um das übergreifende Prinzip).

Somit kann ich allen nur wünschen, dass sie ihr Glück immer vor Augen haben und ihm folgen, es jedoch nicht erreichen sollen. Oder wie Goethe, der ja selbst nie glücklich sein wollte, da er sonst ja mal bei einer Frau geblieben und nicht immer wieder weggelaufen wäre, das Leben so schön in einen Satz gepackt hat:

„Es wechselt Pein und Lust. Genieße, wenn du kannst, und leide, wenn du mußt.“