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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Dienstag, Januar 24, 2006

Chaos und wie man es beseitigt

So, nachdem nun hier eine relativ große Lücke entstanden ist, in der ich diese, meine geliebte Kolumne, etwas vernachlässigen musste, melde ich mich total orientierungslos zurück. Tausend Themen stehen an, die ich nun schildern könnte, denn gerade die letzten, ersten Wochen des Jahres, waren so voll gestopft mit Ereignissen, dass es fast schon nicht mehr feierlich ist. Könnte fast jetzt schon wieder einen Jahresrückblick machen, weil so viel passiert ist: Neues Jahr, neuer Job, Zwischenprüfung in allen drei Fächern, Krankenhausbesuche und Nachtwachen, eine Hochzeit, ein Wochenende in Paris, Vorbereitungen auf den Geburtstag, neue Bekanntschaften, Geburtstagsfeiern von Freunden, neue wissenschaftliche Projekte, die Aufzählung nimmt kein Ende. Und das alles in den ersten vier Wochen des Jahres.

Das Problem bei solchen Phasen im Leben ist, dass man gar nicht dazu kommt, Alles zu verarbeiten, zu reflektieren und in den Lebensverlauf einzuordnen. Und so stehe ich nun hier, nachdem ich gestern meine letzte Prüfung abgegeben habe und frage mich, wo ich denn gerade überhaupt stehe? Der gestrige Tag war eine Art Stichtag. Alles was anstand und nicht dringlich war, wurde auf danach verschoben: „Ja, aber erst nach den Prüfungen.“ Doch weiß ich jetzt heute gerade gar nicht, was ich denn alles „nach den Prüfungen“ machen wollte und stehe jetzt hier und frage mich: Was macht der befehlshabende General nach dem Ausrufen des Waffenstillstandes?

Stehe gerade vor einem Loch…. Jedoch ist dies nicht leer, sondern es ist das Loch, in das ich vorher alles geschmissen habe und jetzt obliegt mir die Aufgabe, den ganzen Krempel aufzuräumen – und das habe ich schon als Kind gehasst. Also schaue ich mir mal an, was da so alles liegt: Dinge, die einfach weitergehen, Dinge, die den Anfangsschub brauchen, Dinge, die eigentlich vorbei sind, die man jedoch noch ins Regal der verarbeiteten Erfahrungen räumen muss, Dinge, die fertig sind und aus Weggeschmissenwerden warten. Das sind Momente im Leben, wo man sich eine Sortiermaschine wünscht. Ganz wie auf dem Bauernhof meines Onkels, wo man die Hühnereier einfach auf ein Band legt, sie werden von unten durchleuchtet, damit man sehen kann, ob sie in Ordnung sind und dann laufen sie ganz automatisch auf verschiedene waagenähnliche Arme, die sie verschiedenen Gewichtsklassen zuordnen.

Na ja, was soll’s. Basteln wir uns also ein mentales Ablagesystem und sortieren erst einmal die ganzen Dinge in Gruppen und markieren alles mit kleinen neonfarbigen Post-its die man dann in einem zweiten Schritt beschriftet und sich daraus dann eine To-do-Liste generiert, die man dann ganz gemütlich abarbeiten kann.

Obwohl ich ja die leichte Befürchtung habe, dass das gar nicht so gemütlich werden wird, da mir gerade in den Sinn kommt, dass da ja noch ganz viele Dinge waren, die man nicht in das Loch werfen konnte und die zum Teil wiederkommen werde, weil man sie vorher einfach mal weggeschickt hat und die, wissend, dass der Stichtag jetzt vorbei ist, wiederkommen werden und mich beim Sortieren stören werden.

Doch stellen wir uns das ganze mal bildlich vor: Klein Benny sitzt in seiner Spielecke im absoluten Chaos und hat von seiner Mama (nein, das ist jetzt keine Anspielung auf meine, sondern eher Sinnbild für die Konventionen, die die Gesellschaft einem auferlegt) gesagt bekommen, er müsse aufräumen, was Klein Benny auch einsieht, da er sich mittlerweile nicht mehr drehen und wenden kann in seiner Spielecke, geschweige denn, dass Platz wäre zum Spielen. Also: Die Förmchen nach links, die Bauklötzchen nach rechts…. Och nein, jetzt baut Klein Benny ein Türmchen aus den Klötzchen, mit einer Seelenruhe, als gäbe es sonst nix zu tun. „Jetzt räum’ endlich auf und hör auf zu spielen! Du kannst nachher weiterbauen. Erst wird aufgeräumt!“ Also wird das Türmchen halbfertig stehen gelassen und man wendet sich gerade den Autos zu, da kommt schon der Erste und bittet Klein Benny mal eben mitzukommen und die Tüten vom Einkauf hoch zu tragen. Ok, also war’s das mit dem Aufräumen erstmal.

Wieder zurück wird weiter geräumt, weil zwischenzeitlich Mami wieder mal geschimpft hat, das man ja immer noch keine Ordnung habe. Da sitzt nun Klein Benny, ganz verwirrt und weiß gar nicht, was er jetzt machen soll, da er doch gerade beim Aufräumen war als er gestört wurde und da hätte er ja auch nicht „Nein“ sagen können, wenn er doch gebeten wird. Nachdem Klein Benny mit dem Mund ein kurzes Weilchen ein Schüppchen gezogen hat und ihm ein klitzekleines Tränchen das Bäckchen runter gelaufen ist, weil die Mama geschimpft hat, fällt ihm auf, dass ihm das ja jetzt auch nicht weiterhilft, denn damit wird das Chaos auch nicht besser. Also begibt er sich wieder an die Arbeit und räumt weiter auf. Dia Autos in die eine Kiste, die Puppen in die andere, die Klötzchen – „Nein, Klein Benny, es wird jetzt nicht weitergebaut!“ – wieder in eine andere, die Spiele schön aufeinander gestapelt in die Ecke, der Ball in den Schrank, die Stofftierchen in die Kiste…. Moment, Klein Benny hat gar keine Kiste mehr frei. Na so was.

Auch wenn das Chaos immer kleiner wird, so ist es dennoch da. Aber jetzt muss Klein Benny sich zuerst mal wieder eine neue Kiste besorgen gehen. Als er zurück kommt, macht er dann mit seiner Arbeit weiter, bis ein Freund mit einer großen Tüte kommt und sagt: „Klein Benny, ich habe hier die Spielsachen, die du mir ausgeliehen hast. Die wollte ich gerade mal schnell zurückbringen, weil ich gerade aufräume.“ Und mit diesen Worten schüttet er die ganze Tüte in der Ecke aus und Klein Benny sitzt schon wieder im Chaos. Wieder ein großer Haufen aus Stofftieren, Puppen, Autos, Bauklötzchen und allem möglichen anderen Kram und dann kommt wieder die Mami: „Klein Benny, du hast ja immer noch nicht aufgeräumt, was hast du denn die ganze Zeit gemacht?“

„Die Großen sind soooo gemein“, denkt sich Klein Benny, „wenn ich mal groß bin…“. Na ja, dafür musst du aber jetzt erstmal fertig werden mit Aufräumen. Aber da naht ja dann auch schon die Rettung. Ein anderer Freund kommt und meint: „Ich habe gerade Langeweile, komm lass uns was spielen, Klein Benny.“ „Geht nicht, ich muss erst aufräumen, sonst schimpft die Mama und ich werde nie fertig.“ „Weißt du was, Klein Benny? Ich helfe dir einfach ein bisschen.“ Und zusammen beginnt man dann weiter aufzuräumen. Doch irgendwann muss der Freund nach Hause, da sonst seine Mama schimpft und Klein Benny muss alleine weitermachen. Allerdings ist er jetzt bald fertig und wenn er dann so weit ist, dann wird er sich zuerst einmal in sein Bettchen legen, sich mit seinem warmen Deckchen zudecken und einschlafen.

Und am nächsten Tag wird er dann aufwachen und wird sich freuen, dass er nun in einer aufgeräumten Ecke mit ganz viel Platz spielen kann, auch wenn er weiß, dass dadurch wieder Chaos entsteht. Aber jetzt nimmt er sich fest vor, beim nächsten Mal alles nach dem Spielen direkt wegzuräumen. Ob’s klappt? – Man wird es sehen…

Abschließend jetzt noch drei Zitate, die mir vielleicht bei meinem Aufräumen helfen werden:

„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ (Volksmund)

„Wenn Sie ständig etwas anderes tun als das was Sie tun sollten, werden Sie feststellen, dass Sie irgendwann doch alles erledigt haben. Scheiß auf die Reihenfolge!“ (Georgette Dee)

„Neues aus der Trickkiste der Psychologen: Tun Sie jeden Tag EINE für Sie total unangenehme Sache, die erledigt werden muss. Ich war verblüfft: das bringt’s!“ (Georgette Dee)