Männergesellschaft
Ausgelöst durch einen Roman, den ich im Zuge meiner Zwischenprüfungsvorbereitung lesen musste und der, wie einige Romane der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, ziemlich sexualisiert ist, musste ich mich an etwas ebenso Seltsames wie auch Schönes in meinem bisherigen Leben erinnern. Dies kam dadurch, dass ich beim Lesen ab und an den Autor Charles Bukowski denken musste, den ich im Zuge des nun Geschilderten damals gelesen habe.
Man stelle sich eine kleine Gruppe bestehend aus vier Personen vor, alle männlich, jedoch recht verschieden zusammengewürfelt: ein Herr im 50er – Alter, kinderlos, ledig und Gastronom, ein weiterer, geschiedener Vater zweier Söhne, seines Zeichen Architekt in den 40ern, ein Dreißiger, geschieden in einer neuen Partnerschaft lebender, diplomierter Statiker mit einer Tochter und ein schwuler, allein stehender Abiturient um die 20. Was verbindet diese vier Personen jetzt wohl miteinander? Auf den ersten Blick wohl recht wenig Eins kann man sich jedoch schon denken: Der Abiturient war bzw. bin ich, der Architekt ist mein Vater und die anderen beiden sind Freunde von ihm. Doch eins haftete uns allen gemeinsam an – die Liebe zur Literatur.
Dadurch, dass wir meist zusammen an einer kleinen Dorftheke in der Eifel saßen und viel über Gott und die Welt plauderten und uns auch immer wieder über gerade Gelesenes erzählten, entstand dann eines Tages die Idee ein „literarisches Quartett“ zu gründen, was dann auch geschah. So geschah es, dass ein jeder Reihum eine Empfehlung aussprach und man sich das Buch in vierfacher Ausfertigung bestellte, die einzelnen Exemplare verteilte und zu lesen begann. Meist neben der eigenen Lektüre, die man ja auch hatte, alle zwei oder drei Wochen ein neuer Roman, so dass wir auch so ziemlich zeitgleich lasen.
Es war herrlich. Da saßen wir dann und lasen und beim nächsten Treffen wurde diskutiert, überlegt und sich ausgetauscht und man lernte von einander. Was mich auch heute noch, wenn ich daran zurück denke fasziniert, ist nicht nur die Verschiedenartigkeit der vorgeschlagenen Bücher, denn bis dato unterhielt man sich nur über Bücher, die man zufällig gemeinsam kannte, da jeder natürlich ein Buch auswählte, das in „seinen“ Lesekontext passte, er den anderen jedoch in gewisser Hinsicht vorstellen wollte, sondern auch die verschiedenen Eindrücke, die für jeden von uns aus diesen Büchern zu entnehmen waren.
Wer sich schon einmal mit jemand anderem über ein Buch etwas ausführlicher unterhalten hat, was wohl jeder, der liest, früher oder später schon einmal getan hat, so wird er festgestellt haben, dass wenn zwei Menschen das gleiche lesen, es längst noch nicht dasselbe ist. Ich möchte jetzt nicht so weit ausholen wie mancher Literaturwissenschaftler und behaupten, dass jedes Buch erst vom Leser „geschrieben“ wird, jedoch ist es erstaunlich, wie man doch auf das gleiche Objekt aus verschiedenen Lebenssituationen heraus unterschiedlich schaut.
Als ich im vorletzten Jahr die Gelegenheit nutzen konnte, mir einen Gastbeitrag von Elke Heidenreich an der Kölner Uni anzuhören, in dem das Thema Lesen zentraler Punkt war (was auch sonst, bei der guten Elke, die ja in ihrer Sendung ebenfalls nichts anderes tut, als ihre Leseerfahrungen mit der Anderer zu teilen), berichtete sie von einem Buch, dessen Titel mir leider entfallen ist, welches sie zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben gelesen hat. Sie hatte es etwa alle zehn Jahre verschlungen und jedes Mal geliebt. Allerdings hat sie jedes Mal eine andere Geschichte gelesen und immer wieder stand ein neuer Aspekt des Buchs im Mittelpunkt, was sie daran verdeutlichte, dass sie bei jedem Durchlauf einen anderen Charakter zum Protagonisten erhob. Fünf mal lesen, fünf verschiedene Hauptpersonen, fünf verschiedene Schicksale und fünf verschiedene Kernthematiken.
Genau dies zeichnete sich auch in unserer Runde ab. Teilweise hatte ein jeder einen anderen Aspekt, der für ihn bedeutsam war, die Wichtigkeit der Personen war zum Teil unterschiedlich und auch die Schlüsselfunktion der Szenen wurde anders bewertet, was dazu führte, dass jeder von uns somit nicht nur die eigene Sicht erkannte sondern darüber hinaus auch die Geschichten der anderen nachvollziehen konnte. Man las ein Buch alleine und besprach gemeinsam vier Geschichten.
Das Spektrum der besprochenen Bücher reichte weit, viel weiter als es wohl bei jedem Einzelnen von uns gereicht hätte. Denn in gewisser Weise setzt es sich ja doch meist durch, dass man sich immer in gewissen Teilsektoren der Literatur heimisch fühlt und meist ähnliche Bücher zu gewissen Zeiten liest. Doch wir hatten ein buntes Potpourri aus Sachbüchern, Belletristik der verschiedensten Bereiche, mal trivial mal weltliterarisch.
Auch heute noch versuche ich immer meinem eigenen Spektrum zu entfliehen und nehme, so ich denn die Zeit zum privaten Lesen habe, was je nach Studiensituation verschieden ist, immer wieder gerne Empfehlungen anderer an, bekomme Bücher geschenkt und tausche mich mit anderen aus und gebe auch selber gerne einmal anderen Tipps, wenn ich denke, dass der ein oder andere dieses oder jenes Buch einmal lesen sollte.
Obwohl lesen eine Beschäftigung ist, die man nur alleine vollzieht, so tut man sie jedoch nie in Einsamkeit. Man gehört immer zu einer ganz besonderen Gesellschaft. Zu dem Teil der Menschheit, der sich einlassen kann, einlassen auf andere Gedanken, andere Erlebnisse und andere Sichtweisen und der sich austauscht, sei es in einem „literarischen Quartett“, durch Werbung, Rezensionen oder gar Querverweise innerhalb der Romane, denn nicht zu selten findet man innerhalb der Bücher die am sinnvollsten „geschaltete“ Werbung.
Somit kann ich dem Credo von Elke Heidenreichs „Lesen!“ nur zustimmen, würde es jedoch dahingehend erweitern, dass ich euch nun entgegenrufe: „Lesen und reden!“
P.S.: Dieser Beitrag ist dem damaligen „literarischen Quartett von Bell“ gewidmet, dessen Zeit ich sehr genossen habe und von dessen Impressionen ich noch heute ab und an zehre. Vielen Dank euch dreien für die wunderbare Begleitung auf zum Teil verschlungenen Pfaden der Literatur.
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