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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Dienstag, Februar 01, 2011

„Ich möchte das nicht“

Es ist immer wieder eine Freude Hape Kerkeling in seiner Rolle als Gisela, offensichtlich sehr von der ehemaligen Ministerin Ulla Schmidt inspiriert, diesen Satz sagen zu hören. Auch wenn es sich hierbei nur um die Umkehrung des eigentlichen Werbeslogans der Kaffeemarke handelt, so bringt mich dies doch auf einige grundlegendere Gedanken. Denn hier zeigt sich im Kleinen ein Phänomen, das unserem Denken doch immanent zu sein scheint. Oftmals sind es ja gerade die kleinen Dinge, an denen man erkennen kann, wie unsere Welt so tickt, weshalb ich, bevor ich auf das Eigentliche zu sprechen komme, zwei weitere, triviale Beispiele zurückgreifen möchte.

Das Dschungelcamp, das bis zum vergangenen Wochenende die Medien in bisher nicht gekanntem Ausmaße dominierte, verfügt in der zweiten Wochen in seinem Regelwerk über die Möglichkeit, die Teilnehmer zu unterstützen. Allerdings wird, wie auch bei anderen Abstimmungsformaten, etwa in Castingshows, hier ein falscher Eindruck erweckt. Man hört sehr oft, dass man einen Kandidaten „heraus wählen“ könne, was jedoch nicht der Fall ist. Im Falle dieses Beispieles ist es so, dass man durch seinen Anruf signalisiert, dass eben der betreffende Kandidat weiterhin im Camp bleibt. Dies ist natürlich umsatzfördernder als der umgekehrte Weg, denn wollte man wirklich einen Kandidaten heraus wählen, so müsste man streng genommen für alle anderen Kandidaten anrufen, um sicher zu stellen, dass diese im Spiel bleiben. Entgegen der Suggestion, man könne seiner Antipathie Ausdruck verleihen, besteht nur die Möglichkeit der Sympathiebekundung. Doch schaut man sich die Kommentare und Diskussionen um die Kandidaten genauer an, so stellt man fest, dass es meist einfacher ist zu benennen, wer nicht weiterkommen soll, als zu sagen, wer denn weiterkommen soll – zumindest anfänglich, wenn noch fast alle Teilnehmer im Rennen sind, mit der Zeit kristallisiert sich dann doch meist ein persönlicher Favorit heraus.

Eben jene Unmöglichlkeit der Ablehnungsbekundung findet sich jedoch auch bei dem zweiten Beispiel, Facebook. Es gibt den „Like-Button“, jedoch keinen, wenn auch oft von den Nutzern ersehnten, „Dislike-Button“. Dies führt dann in vielen Fällen dazu, dass die eigentliche Bedeutung dieser Zustimmungoption unterlaufen wird, denn wenn jemand die Statusmeldung, dass ein Freund den Job verloren hat, mit „Like“ quittiert, so drückt er eben nicht aus, dass ihm dies gefällt, sondern dass er Kenntnis davon genommen hat und wahrscheinlich auch Anteil daran nimmt. Die Bedeutung löst sich also auf und durch eine teilweise inflationäre Nutzung, verschwimmt das „Like“ immer mehr zu mannigfaltigen Bedeutungen und kann sämtliches bedeuten, etwa: „Danke für den Link“, „habe ich gelesen“, „sehe ich genauso“, „finde ich schade“, etc. pp. Wollte man wirklich Stellung beziehen, müsste man sich schon die Mühe machen, einen Kommentar zu schreiben – man müsste also eine wie auch immer geartete „Erklärung“ abgeben.

Diese Überlegung führt mich nun zur Politik. In diesem Jahr werden in fast der Hälfte der Bundesländer die Parlamente neu gewählt. Doch gilt hier das gleiche Prinzip: Man hat lediglich die Möglichkeit einer Partei zuzustimmen, in diesem speziellen Falle jedoch ohne die Option, dies in einem Kommentar weiter zu erläutern. Doch ob eine abgegebene Stimme immer auch eine Zustimmung zur Politik derjenigen Partei ist, die gewählt wurde, darf stark bezweifelt werden. Allerdings wird dies dann gerne nach der Wahl so ausgelegt, was paradoxerweise dazu führt, dass es in der Vergangenheit oft genug Wahlen gab, aus der nur Gewinner hervorgingen, sei es einerseits, dass sie trotz zum Teil immenser Verluste als stärkste Partei hervorgingen, oder aber in Bezug auf frühere Wahlergebnisse besser abgeschnitten hatten. Wahrgenommen wird in ersterem Falle jedoch nur, dass man die richtige Politik betreibe, da man ja eben die meisten Stimmen bekommen habe. Selbst wenn tausende Wähler sich seit der letzten Wahl von einem abgewendet haben, so steht man doch als Sieger da und wähnt sich auf dem richtigen Weg – dass man jedoch von vielen eben keine Zustimmung bekommen habe, wird selten bis nicht registriert.

Das gleiche gilt auch für die sinkende Wahlbeteiligung. Diese wird meist nur von Politologen in entsprechenden Politik-Talkshows analysiert, von Politikern allenfalls dann, wenn sie in die eigene Argumentation passt. Jedoch drückt sich eben in fehlenden Stimmen zu einem nicht geringen Maße auch aus, dass die Menschen mit der Politik der einzelnen Parteien nicht zufrieden sind und müsste somit als Ablehung gedeutet werden. Nicht jeder unterstützt eine Partei, nur weil sie „das kleinere Übel“ ist und in erschreckendem Maße bleiben viele den Urnen ganz fern. Die einzige Möglichkeit, sein Misfallen auszudrücken, wäre der Protest, der jedoch wie im oben beschriebenen Beispiel Facebook, einen Mehraufwand bedeutet. Es ist leichter ein Kreuzchen zu machen oder ein „Like“ zu klicken, als einen Kommentar zu schreiben oder zur Demonstration zu gehen.

Im Falle der Demonstration kommt ein weiteres Element hinzu, das sich besonders schön am Beispiel „Stuttgart 21“ zeigen lässt. Denn gerne werden dann diejenigen, die eben ihr Misfallen ausdrücken als Gegner gesehen, was in der politischen Rethorik sogar so weit getrieben wird, dass Parteien als „Dagegen-Parteien“ dargestellt werden. Dies bedeutet jedoch, dass der Ja-Sager im Vorteil ist – unabhängig von der zugrunde liegenden Sachfrage. Wer für das aktuell geltende ist, muss sich nicht erklären – wer dagegen ist, schon. Paradox dabei ist jedoch, dass natürlich alle dafür sind, dass sich der Bürger politisch aktiv zeigt.

Um es auf eine Alltagssituation herunterzubrechen: Von jedem Arbeitnehmer, jedem Schüler und auch im privaten Bereich, wird erwartet, dass er Dinge kritisch anspricht und auch das eigene Misfallen oder erkannte Fehler benennt. Tut man dies jedoch, so muss man oft mit Konsequenzen rechnen oder mindestens recht viel Aufwand betreiben, um seinen Standpunkt klar zu machen. Da der Mensch jedoch oftmals lieber den einfachen Weg geht, wird dann halt geschwiegen. Die dadurch fehlende Zustimmung wird jedoch dann nicht als Ablehnung gedeutet, sondern als immanente Zustimmung. Schweigen ist ein Ja, der Kritiker ist der Böse.

(Einschub: Die Tatsache, dass Kritik einen Mehraufwand mit sich bringt und Schweigen gemeinhin als Zustimmung gedeutet wird, ist ein nicht zu unterschätzendes Element im Funktionieren von totalitären Systemen, was wir aus der deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts lernen können – sowohl aus dem Schweigen während des dritten Reiches, als auch aus der Gefahr, die die Bürgerrechtler in der DDR auf sich nahmen.)

Doch eben weil man oft zwar weiß, was man nicht möchte, nicht jedoch was man möchte, ist diese Kritik an der Kritik auch ab und an gerechtfertigt. Als Beispiel seien hier die 68er-Aufstände genannt, beziehungsweise das daraus resultierende, nicht jedoch kausal notwendige Entstehen der RAF. Diese Bewegung, wenn man sie als einen Zusammenhang sehen möchte, hatte ein grundlegendes Problem. Das bestehende System wurde zwar kritisiert, jedoch mangelte es an konstruktiven Alternativen, was auch die damalig anfängliche, latente Sympathie mit den Terroristen erklären hilft. Viele wussten damals, dass sie das „weiter so“ nicht wollen, jedoch, was über die Frage, was sie denn wollen, war man sich nicht einig. Auch wenn ich mich hier deutlich vom Terrorismus distanzieren möchte, so sehe ich doch, dass die sich in diesem Beispiel zeigende Radikalisierung eine (von mehreren) möglichen logischen Konsequenzen aus dem oben beschriebenen Mehraufwand ist, der für jede Kritik vonnöten ist. Oder anders: Der Preis der Kritik ist die Stabilität.

Dies zeigt sich auch in den gerade stattfindenden Umwälzungen in den nordafrikanischen Staaten. Auch wenn sich die westlichen Staaten über Jahrzehnte sehr wohl bewusst waren, dass es sich bei diesen Staaten um Unrechtsregime handelt, hat man etwaige Defizite auf dem Gebiet der Menschenrechte zugunsten der Stabilität der Länder an sich oder aber der internationalen Politik in Kauf genommen. Jetzt, da sich dort das Volk erhebt, ist man in gewisser Weise indifferent, wenn es darum geht, das Geschehen zu bewerten. Einerseits begrüßt man, dass der Weg hin zu einer Demokratisierung eröffnet wird, andererseits steht man der Unsicherheit gegenüber, ob der Ausgang nicht die gesamte Region destabilisiert. Vielleicht sollte man einfach hoffnungsvoll die Entwicklung beobachten, denn der Vergleich zu den Umstürzen in Osteuropa vor zwanzig Jahren ist gar nicht mal so schlecht. Denn damals wusste man, mit Ausnahme der DDR, von der man ausgehen konnte, dass sie in die sich mittlerweile bewährte Bundesrepublik überführt würde, auch nicht, welche Richtung die politische Entwicklung einschlagen würde.

Natürlich ist auch die Frage der Stabilität eine Medaille mit zwei Seiten. Gerade ein Konstrukt wie das konstruktive Mistrauensvotum, dass uns die Verfasungsväter ins Grundgesetz geschrieben haben, ist insofern sinnvoll, als dass es verhindert, dass das Regierungshandeln dadurch blockiert wird, dass ständig irgendwer aus der Regierung hinausgewählt wird, wie dies gerade in der Endphase der Weimarer Republik der Fall war. Auch ist es sinnvoll, dass es keine Möglichkeit der Abwahl gibt, die dann verhindern würde auch unangenehme Entscheidungen zu treffen – es reicht ja schon, dass das Handeln der Bundesregierung dadurch eingeschränkt ist, dass sie immer auch mit einem Auge auf anstehende Landtagswahlen schaut.

Dennoch bleibt die Frage, wie man es verhindert zu einem Volk der Zustimmer oder Schweiger zu werden ohne die Inkaufnahme von Eskalation und Instabilität. Eine Ausweitung plebiszitärer Elemente könnte hier im Einzelfall eventuell ein Weg sein. Doch auch dadurch wird das grundlegende Dilemma nicht aufgehoben: Wir erkennen leichter, was wir nicht wollen, haben jedoch oft nur die Möglichkeit auszudrücken, was wir wollen und alles andere bedarf der Erklärung oder des Aufwands. Der Rest ist Schweigen.

2 Comments:

Anonymous Herr Störck said...

Lieber Ben, danke für Deinen ausführlichen Artikel. Ich habe ihn gelesen und kann nur sagen: "Ich möchte das nicht!" ;o)
Liebe Grüße, Herr Störck (der mit dem Koffer)

2:10 PM  
Blogger Ben82cgn said...

Lieber Her Störck, das Einzige, was ich möchte, ist mal zu erfahren, was in Ihrem Koffer ist. *g*

2:30 PM  

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