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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Samstag, November 10, 2007

Denk mal

Das habe ich heute, mittlerweile schon gestern, den ganzen Tag getan. Gut, dieser ehemalige Nationalfeiertag lädt ja auch zu Gedanken ein, wenn man sich schaut, welch konträre Ereignisse im vergangenen Jahrhundert an diesem Datum geschehen sind. Auch wenn es sich natürlich lohnen würde sich hier anhand des Hitlerputsches 1923 über die Bedeutung der Demokratie auszulassen oder über menschliche Gräueltaten zu debattieren und sich gleichzeitig, wie heute in Köln geschehen, über die Ausnahmen religionsübergreifender Solidarität vor dem Hintergrund der Reichspogromnacht und der heldenhaften Rettung einer Thorarolle zu erfreuen, nehme ich es mir doch eher zu Herzen, über meine Gedanken zu berichten, die ich bezüglich des gerade volljährig gewordenen Mauerfalls hatte.

Da bin ich ja auch heute bei weitem nicht der einzige gewesen und der Tag begann für mich mit Kaffee und Phoenix, so dass ich einige Minuten die heutige Bundestagsdebatte mit verfolgen konnte und mir somit den ganzen Tag überlegte, ob ich es nun befürworten würde ein Denkmal in Berlin oder in Leipzig stehen zu sehen. Bei diesen Überlegungen kam mir dann die Idee eines ganz eigenen Denkmals, welches ich, wäre ich in der Position dies festzulegen, errichten lassen würde. Man soll sich zwar nicht selber loben und es riecht gerade um mich herum auch etwas streng, jedoch finde ich, dass meine Idee gar nicht mal so schlecht ist, da sie Symbolismen auf allen möglichen Ebenen beinhaltet.

Mein Denkmal steht nicht nur an einem Ort, sondern gleich an dreien: Berlin, Leipzig und Bonn. Desweiteren ist es so gestaltet, dass man es dennoch nur als Ganzes verstehen kann und natürlich kommt der Hinguckeffekt auch zum Tragen, da es der Systematik nach einem Glockenspiel oder Uhrwerk vergleichbar ist, jedoch nicht ohne die Technik unserer Zeit zu repräsentieren. Doch fangen wir einfach und der Reihe nach an.

In Berlin steht ein Stück der Mauer, eventuell auch eine Nachbildung selbiger, welches aus zwei beweglichen Flügeln besteht und durch auf besondere Weise angeordneten, aus blauen Leuchtioden zusammen gesetzten Linien durchzogen ist. In Bonn steht eine Säule, die ebenfalls über eine Lichtkonstruktion verfügt. Hier gibt es ein weißes und ein rotes Licht, welche in die Säule auf der östlichen Seite eingelassen sind. In Leipzig stehen mehrere, verschieden große Säulen um eine breite Säule in der Mitte kreisförmig herum. In der mittleren Säule sind ein grünes Licht auf der Westseite und ein rotes Licht in Richtung Berlin eingelassen. Alle drei Teile werden von Strahlern beleuchtet. Nun kommen wir noch zu dem zentralen Element, welches die Teile miteinander verbindet. Alle drei Denkmäler sind über Funk miteinander verbunden. Doch nun zum eigentlichen Vorgang, welcher sich stündlich wiederholt.

X Uhr 35: Alle drei Denkmäler werden von den Strahlern angeleuchtet. Die beiden Flügel der Mauer stehen, gleich einem geöffneten Schlossportal, offen.

X Uhr 39: Die Strahler erlöschen und alle Lichter gehen aus. Deutschland liegt im Dunkeln.

X Uhr 45: Die Strahler gehen an allen drei Orten wieder an. Der Krieg ist beendet und das Leben in Deutschland beginnt von vorne.

X Uhr 49: In Bonn beginnt das weiße Licht zu blinken. Mit jedem Impuls wird ein Funksignal zu dem Berliner Teil gesendet, jedoch ohne von diesem empfangen oder weiterverarbeitet zu werden. Das weiße Licht repräsentiert die Diplomatie der westdeutschen Politiker, die noch auf eine Vereinigung der vier Besatzungszonen hoffen.

X+1 Uhr 1 (X Uhr 61): Die beiden Flügel der Mauer schließen sich wie bei einer Staustufe. Nun beginnen zeitgleich in Leipzig die beiden Lichter zu blinken, das grüne Richtung Bonn, das rote Berlin zugewandt. Von dort aus werden ebenfalls Funkimpulse in die beiden anderen Städte gesendet. Diese haben nun auch Konsequenzen: In Bonn wird neben den weiter gesendeten weißen Funksignalen immer dann auch zusätzlich ein rotes gesendet, sobald ein grünes Signal aus Leipzig empfangen wurde. In Berlin kommen sowohl das rote aus Leipzig als auch die beiden aus Bonn an und bewirken, dass drei der blauen Leuchtioden zu brennen beginnen. Nach und nach werden die Abstände zwischen diesen Impulsen langsam kürzer und man erkennt mit fortschreitender Zeit, dass die in das Mauerstück eingelassenen Ioden „Risse“ in der selbigen bilden.

Bevor wir nun zum finalen Akt kommen, sei hier eine Erklärung der Symbolik eingefügt. Das grüne Licht aus Leipzig, welches beharrlich nach Bonn geschickt wird, soll die Hoffnungen und Wünsche der Brüder im Osten verdeutlichen, die erwartungsvoll gen Westen blicken, mit der Sehnsucht, dass man sie aus ihrer Gefangenschaft befreie. Das weiße Licht der Diplomatie geht weiter wie gewohnt, wird jedoch nun durch die Weiterleitung dieser empfangenen Impulse in Form eines roten Lichtes mit auf den Weg nach Berlin gegeben. Auch von Leipzig aus geht das rote Licht der Ablehnung nach Berlin. Dort zeigen die stetigen Impulse ganz langsam Wirkung und die Mauer beginnt porös zu werden.

X+1 Uhr 25 (X Uhr 85): Die Lichtsignale von Berlin und Leipzig blinken nun im Sekundentakt. Jede Sekunde werden die Risse in Berlin größer.

X+1 Uhr 28 und 59 Sekunden (X Uhr 88, 59): Die letzten drei Leuchtioden in der Berliner Mauer gehen an und nun sind die Risse in ihrer ganzen Fülle aktiv.

X+1 Uhr 29 (X Uhr 89): Die Ioden erlöschen, die Mauerflügel öffnen sich. In Leipzig beenden die Lichter ihre Tätigkeit. In Bonn ist wieder nur noch das weiße Licht aktiv.

X+1 Uhr 30 (X Uhr 90): Die Strahler in Berlin erlöschen.

X+1 Uhr 38 (X Uhr 98): Die Strahler in Berlin leuchten erneut auf, das weiße Lichtsignal in Bonn erlischt. (Dies ist der einzige Schwachpunkt des Denkmals, da der Umzug nach Berlin erst 1999 war, jedoch setzt ja genau eine Minute später der Zyklus von neuem wieder ein).

Das Schöne ist, dass diese Konstruktion in ihrer Gesamtheit, gleich mehrere Aspekte vereinigt. Zum einen zeigt es, dass viele kleine Signale schlussendlich dennoch eine große Wirkung haben können. Desweiteren, dass es eben erst der Impulse des ostdeutschen Volkes bedurfte, bis sich erste Risse in Berlin aufzeigten und die vorherige Diplomatie aus dem Westen zwar sinnvoll versandt wurde, jedoch nicht wirklich ankam. Zudem gehen die Funksignale über die Luft, also nicht nur den Weg, den die Rosinenbomber aus dem Westen nach Berlin nahmen, sondern in transzendentaler Hinsicht auch der Weg, den die Gebete in Leipzig nahmen. Nicht zuletzt zeigt dieses Zusammenspiel von Licht und Funksignalen, dass wir gemeinsam in eine moderne, technische Zukunft blicken.

Auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, dass meine Idee eines Tages realisiert wird, so sehe ich jedoch jetzt schon vor meinem geistigen Auge die japanischen Touristengruppen, die mit Kameras bewaffnet eine ganze Stunde vor den jeweiligen Teilen verbringen und gespannt dem Schauspiel folgen. Die Deutschen werden wahrscheinlich nur kurz hinschauen und dann weitergehen, jedoch sind sie auch diejenigen, die bei einer Schifffahrt auf dem Rhein bei der Loreley nur bis „das geht mir nicht aus dem Sinn“ kommen, während selbige Japaner das Lied dann bis zum Ende singen.