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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Mittwoch, Juni 14, 2006

Odysee in Köln

Es gibt ja manchmal Tage, da läuft so ziemlich alles schief, was schief laufen kann. Ein solcher Tag war gestern. Manchmal kann man auch so abgrundtief dumm sein, dass man schon an der eigenen Verstandeskraft zweifelt oder sich einfach nur fragt: „In welchem Film bin ich hier eigentlich???“

Aber mal von vorne: Ich hatte gestern ein Vorstellungsgespräch in der Bismarckstraße, weswegen ich mir natürlich vorab auf dem Stadtplan angeschaut habe, wo denn diese in Köln zu finden sei. Ein kurzer Blick ins Register des Stadtplans verriet mir dann, dass sich selbige in Rodenkirchen befindet. Eigentlich keine schlechte Lage, das die Linie 130 nach Rodenkirchen direkt in meiner Nähe vorbeifährt. Von daher stellte ich mir das ganze recht simpel vor, was sich jedoch als Fehler herausstellen sollte:

Erster Streich:
Ein erneuter Blick auf den Linienplan verriet mir, dass der 130er gar nicht bis zur Bismarckstraße fährt, sondern der 135er, was einmal umsteigen in Rodenkirchen bedeutet. Naja, ist jetzt kein so großes Hindernis. Also am Abend vorher schnell die Verbindung mit den Zeiten ausgedruckt und sich am nächsten morgen dann für die letztmögliche entschieden. Lässt einem zwar nur drei Minuten das Haus zu finden, aber da der Bus ja in der Bismarckstraße hält, dürfte dies ja kein Problem sein. Zumal diese Straße ja innerhalb von Rodenkirchen nicht allzu lang sein kann.

Zweiter Streich:
Nach geglückter erster Busfahrt und erfolgreichem Umsteigen sitze ich im 135er und konzentriere mich darauf, dass ich auch meine Haltestelle nicht verpasse, jedoch hält der Bus irgendwann an der Uferstraße, die mir als Endhaltestelle in den Sinn kommt, so dass ich den Fahrer frage: „Wo ist denn die Bismarckstraße?“ „Bismarckstraße?“, so die Antwort: „kann nicht gefahren werden, wegen Baustelle, ist aber dahinten.“ Na super…. „da hinten“ kombiniert mit einer undefinierbaren Richtungsweisung der Hand, die genausogut als Winken hätte durchgehen können, ist jetzt nicht die konkreteste Angabe. Aber was soll’s, man wird die Straße schon finden, da man ja noch ganze drei Minuten zur Verfügung hat und selbige ja irgendwo in der Nähe sein muss.

Dritter Streich:
Man begegnet auf der Straße einer älteren Dame und fragt sie höflich: „Entschuldigung, wo finde ich denn hier die Bismarckstraße?“. „Bismarckstraße? Mhh…“, ein Laut, der sich mehrfach auf verschiedenen Tonhöhen wiederholt, so dass mir ein Kommentar auf der Zunge liegt, den ich mir jedoch aus Gründen des Anstandes verbiete, obwohl ich kurz davor bin herauszuschreien: „Ich will nicht wissen, wann er gelebt hat. Sie sollen mir auch nicht seine Bündnispolitik erklären, also überlegen sie nicht so lange, da ich lediglich wissen möchte, wo denn diese bescheuerte…„Bismarckstraße ist“ da vorne links irgendwo“, lautet die langersehnte Antwort: „gehen sie die nächste links, da muss die dann irgendwo sein.“ Ebenso konkret wie die erste Angabe, aber immerhin etwas.
Also macht man sich auf den Weg, in der Hoffnung noch eine weitere Person zu treffen, wird jedoch abrupt durch ein schrilles: „Siiiiiiieeeeeee!!!!!!“, unterbrochen. Man dreht sich zu der netten Dame um, die gerade rechts um die Ecke gegangen ist und nun wild gestikulierend mitten auf der Kreuzung steht und schreit: „Die Bismarckstraße ist da vorne. Ich kann das lesen!“
„Schön, dass du das lesen kannst“, denkt man sich und entscheidet sich dann kurzer Hand doch die Richtung zu korrigieren, hechtet dankend an dem Mütterchen vorbei und sieht das lang ersehnte Straßenschild auch schon von weitem. Seltsamerweise beginnt nun dieses Schild zu leuchten, was man jedoch auf die Sehnsucht danach als Halluzination verbucht und sich nicht weiter daran stört.

Vierter Streich:
Man schaut auf die Uhr und stellt fest, dass man noch eine halbe Minute zur Verfügung hat und sucht hektisch nach der richtigen Hausnummer, um dann entsetzt festzustellen, dass die Straße etwa 20 Hausnummern vorher einfach endet. Nix mit Zahlenraum bis 50, der bis 15 reicht vollkommen aus. Und weit und breit keine Fortsetzung der Straße, sondern lediglich eine T-Kreuzung. Hektisch schaut man auf die Uhr und stellt fest, dass man bereits eine Minute zu spät ist. Ok, Blamage hin oder her, man muss nun in den sauren Apfel beißen und anrufen.
„Firmenname, eigener Name, was kann ich für sie tun?“ „Entschuldigen sie, Merkler mein Name. Ich habe eigentlich jetzt ein Vorstellungsgespräch bei Ihnen, kann jedoch ihr Haus nicht finden.“ „Wo sind sie denn gerade?“ „Ich stehe an der Ecke Bismarckstraße – Roonstraße.“ „Roonstraße? Mhh…“, so langsam entwickelt sich das Mhh zu dem einzigen Laut, den man an diesem Tag partout nicht mehr hören möchte: „mhh… Roonstraße. Wo ist die denn? Die ist doch…. Mhh… (argh)… treffen die sich denn?.... Mhh…. Was haben sie denn für ein Gebäude vor sich?“ „Ein Hochhaus, ganz in der Nähe vom Rheinufer.“ „Rheinufer? Da sind sie ja ganz falsch.“ „Kann nicht sein, ich stehe doch direkt unter dem Straßenschild Bismarckstraße und so groß ist Rodenkirch nun auch nicht!“ „RODENKIRCHEN? Aber wir sitzen doch im belgischen Viertel!!!“ „DAS IST JETZT NICHT WAHR,“ denke ich mir und fühle den bevorstehenden Nervenzusammenbruch kombiniert mit dem Blamagetod schon in greifbarer Nähe.

Fünfter Streich:
Nachdem man nun gesagt bekommen hat, dass man sich jetzt ruhig Zeit lassen kann und auch die Möglichkeit bekommt, da die Mitarbeiter der neuen Firma den Zwischenfall dann doch als sehr amüsant empfinden, einfach im Tagesablauf dazwischen geschoben zu werden, macht man sich nun auf den Weg. Eigentlich ist mein Orientierungssinn auch gar nicht mal so schlecht, wenn zwei Vorraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss ich vorher zumindest einmal einen Blick auf den Straßenplan geworfen haben um mir das Bild vorzustellen, was jedoch dadurch nicht gegeben ist, da der Bus ja eigentlich hätte in der richtigen Straße halten sollen und zweitens darf es dann nicht um die dreißig Grad warm sein, da in dieser Hitze – man sieht auch mittlerweile aus wie Karl Napp, der Abwaschbare – selbst ein geübter Geist irgendwann zu erkennen gibt, dass er keine Lust mehr hat und sich nun ausschalten wird. Also wandelt man ziellos umher und verlässt sich auf die Wegweisungen diverser Passanten, die einen auch dann als Verlassenen dastehen lassen. Da man jedoch so halbwegs dann doch weiß, wo man in etwa sein könnte, wandelt man auf geschlungenen Pfanden dem Etwaziel entgegen und findet dann auch irgendwann mal eine Bahnhaltestelle der Linie 16, die man ja entschlossen ist zu nehmen.

Endlich! Man sitzt in einer bekannten Linie und hat inzwischen auch mit Muttern telefoniert, die einem erklärt hat, wo denn die richtige Bismarckstraße sei und man hat festgestellt, dass man diese Straße schon gemeinsam an die hundert mal überquert hat. Und dann hört man im Hitzedelirium: „Nächster Halt: Chlodwigplatz, Ausstieg rechts – Next stop: Chlodwigplatz, Exit on the right.“

Herrlich… Weihnachtsglocken können nicht schöner sein als diese Ansage. Man weiß wieder wo man ist und vor allem weiß man wieder, wo man hinmöchte. Man sieht zwar aus als käme man gerade frisch aus dem Tropenhaus des Kölner Zoos, jedoch will man gar nicht mehr primär einen optisch guten Eindruck machen, sondern man will nur noch eins: Enlich ankommen.

Das habe ich dann auch getan und trotz der allgemeinen Erheiterung der Belegschaft, der witzigen Kommentare, die man sich anhören durfte und der Stimmung, in der man sich befindet, denke ich, dass ich alles in allem dann doch noch einen guten Eindruck gemacht habe, da ich ja auch, Gott sei Dank, nicht der Erste bin, dem dies passiert ist.

Doch eines habe ich mir gestern auf der Rückfahrt feierlich geschworen: In Zukunft werde ich immer schauen, ob es nur eine Straße gibt, die diesen Namen trägt und werde zur Not auf eines der größten Geschenke, die der Schöpfer uns gemacht hat achten: Auf die Postleitzahl!!!