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Standort: Berlin, Germany

Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Sonntag, Juli 09, 2006

PARTYotismus

Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh ich durch die Gassen,
Alles sieht so sportlich aus.

An den Fenstern haben Männer
Deutschlandflaggen längst gehisst,
Tausend Kindlein stehn wie Kenner,
Wissen schon, wer Meister ist.

Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus ins freie Feld,
Höhre Gröhlen von Zuschauern,
Welches schallt weit in die Welt!

Sterne hoch die Kreise schlingen,
In der Sonne schwüler Kraft
Klingt wie wunderbares Singen –
O die deutsche Meisterschaft!

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Es ist nun vorbei, der Weltmeister steht fest und über Deutschland wird so langsam wieder Ruhe einkehren. Obwohl – ruhiger habe ich die Kölner Straßen nie erlebt wie während der Deutschlandspiele, wo die Millionenstadt zum Geisterdorf wurde und man nicht mehr sicher war, ob hier überhaupt noch jemand lebt, wenn man nicht gerade vor einer Kneipe oder in der Nähe eines Public-Viewing-Ortes war.

Doch in der Halbzeitpause wurden die Straßen dann kurzzeitig wieder belebt und man sah Menschen eiligst zu den Büdchen laufen oder gar in die länger geöffneten Supermärkte, um sich dort die letzten noch dort vorhandenen Getränke zu sichern.

Während es in der Vorrunde noch möglich war, dem Weltmeistertrubel zu entkommen, so stand Deutschland mindestens seit dem Achtelfinale geschlossen hinter der Nationalelf. Selbst ich, der normalerweise überhauptnichts mit Fußball zu tun hat, was nicht ganz stimmt, denn auf dem internationalen Sportparkett war ich schon immer Fan, legte meine virtuelle Identität ab, änderte meinen Nickname und verbannte meine Bilder ins Album zu Gunsten einer patriotischen Hommage an unser schönes Land.

Herrlich war in den letzten Wochen, dass es erstmals in Deutschland möglich war seinem Patriotismus freien Lauf zu lassen, ganz ohne anrüchige Seitenblicke, die diesen Stolz auf das Heimatland mit Erinnerungen an die dunklen Seiten im Buch der Deutschen beschatten. Ich denke, dass diese Weltmeisterschaft uns gezeigt hat, dass wir sehr wohl stolz sein dürfen und vor allem dies auch endlich wieder können. Nach jahrzehntelangem Selbstverbot ist der intranationale Diskurs, ob man als Deutscher auf das eigene Land stolz sein darf gebrochen. Denn im internationalen Gefüge war dies nie ein großes Thema und man hätte es den Deutschen nicht übel genommen.

Doch andererseits finde ich es sehr schade, dass sich dieser Stolz nur auf die sportliche Komponente bezieht und dass in den nächsten Wochen wohl viele nicht mehr wissen, worauf sie noch stolz sein können.

Es war eine Art von 20Uhr15-Patriotismus, denn wenn man die meisten der mit Deutschlandtrikots und –fahnen bewaffneten Fans befragt hätte, wer denn Schiller und Goethe waren, so hätte man in nichtssagende Gesichter geschaut. Für den Bildzeitungsnationalstolz ist es auch wichtiger zu wissen, in der wievielten Minute Podolski sein erstes Tor schoß, als zu wissen, was denn im Jahre 1848 geschehen ist.

Aber was soll’s. Wir wollten ja auch nach Berlin, nicht nach Pisa. Doch dahingehend findet man dann doch wieder einen gemeinsamen Punkt mit Kultur und Geschichte, denn das Volk will nun mal „Panem et Circenses“. Und Sport war schon immer Opium für’s Volk – oder in diesem Kontext besser ein Amphetamin für den völkischen Konsum.

Viele großartige Bilder dieses Turniers werden uns noch lange in Erinnerung bleiben und wenn es nur die Jubelgesichter einer Angela Merkel sind, die wirklich meisterklasse waren.