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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Sonntag, Oktober 28, 2007

Aparecium Albus

Albus Percival Wulfric Brian Dumbledore ist schwul! Dazu brauchte es nicht mal eines Enthüllungszaubers, sondern nur eine Frage eines Fans zu seiner großen Liebe an Joanne K. Rowling. Da auch ich es nun endlich einmal geschafft habe, den siebten Band zu lesen und ihn erst vor einer Stuznde aus den Fingern gelegt habe, kann ich es mir natürlich nicht verkneifen, zu dem Outing Dumbledores meine Gedanken zu verbreiten.

Allerdings war ich, was dies anbelangt insofern im Vorteil, dass ich schon vor dem lesen, der enthüllenden Stellen im Buch sein großes Geheimnis wusste und somit prüfen konnte, ob es wirklich zwischen den Zeilen steht, wie Rowling es gesagt hat. Ich muss jedoch sagen, obwohl ich normalerweise ganz gerne mal versuche interpretatorisch mit den sexuellen Identitäten von Romanfiguren zu spielen, so wäre ich wohl bei Dumbledore nicht darauf gekommen. Dies mag daran liegen, dass ich wohl zu voreingenommen bin von den vielen Persiflagen auf eine Beziehung zwischen Harry und Draco (was für mich auch einen gewissen Reiz haben würde und was sich anfangs auch noch gut hätte hineinlesen lassen können) einerseits und andererseits einen schwulen Charakter in Harry Potter nicht erwartet hätte, da die klassische schwule Kernthematik des Andersseins ja sowieso schon zentraler Bestandteil des Romans ist.

Um so mehr freut es mich, dass es eben nicht direkt erwähnt wird. Denn es hätte die Handlung nicht bereichert, sondern wäre wohl eher konstruiert daher gekommen. Das gerade ist ja das schöne an der Sache, dass es eben nicht wichtig ist, ob der Schulleiter nun hetero-, homo- oder sonstwiesexuell ist, da es keinen Einfluss auf seine Fähigkeiten hat. (Wer den letzten Teil noch nicht gelesen hat, sollte den Abschnitt zwischen den Sternen jetzt überspringen, wenn er nichts erfahren möchte, was erst in selbigem erwähnt wird).

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Gut, man muss in sofern sagen, dass die Verbindung zwischen ihm und Gellert Grindelwald schon maßgeblich sein späteres Leben und seine späteren Entscheidungen und Sichtweisen prägte, was aber eher an der Verführung der Macht liegt und nichts mit der Beziehung zwischen den Personen an sich zu tun hat. Selbst wenn er nicht in Grindelwald verliebt gewesen wäre, was Rowling ja in ihrem Entwurf der Rolle so gestaltet hat, so wäre die Gefahr gewesen, dass er eine Verbindung zu den dunklen Künsten sucht, da diese an sich für einen Jugendlichen dieses Alters reizvoll sind.

Natürlich ist es wesentlich leichter diesen dunklen Künsten zu verfallen, wenn man zudem in einen gleichdenkenden verliebt ist und somit doppelt blind ist für das was dieser sagt oder tut. Es ist halt das klassische Stereotyp, dass die Verführung zum Bösen oftmals mit sexueller Anziehung in Verbindung steht. Dies ist auch einer der wenigen Vorwürfe, die man der Autorin in diesem Zusammenhang machen könnte. Das Böse wird hier mit der sexuellen Identität verknüpft und diese Verknüpfung wird nicht wieder durch eine positiv konnotierte zweite Beziehung aufgelöst. Auch das Schweigen Dumbledores über seine Vergangenheit könnte dann im Lichte einer Selbstverneinung und des Verdrängens oder gar Unterdrückens der eigenen Gefühle sein und dies nicht nur auf das Böse bezogen.

Allerdings denke ich nicht, dass man diesen Vorwurf erheben sollte, da es dazu einfach ein weiteren Belegen fehlt und die Frage, warum Dumbledore offenbar nicht mehr in der Lage war sich emotional an jemanden zu binden, nur Spekulationen zulässt und nicht, und das ist nun einmal das Hauptkriterium einer Interpretation, am Text gezeigt werden kann.

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Dumbledore ist nun einmal ein Charakter, der eben durch Geheimniskrämerei und offene Fragen erst seinen ganzen Glanz entfalten kann und jede Enthüllung im letzten Band nimmt ihm in gewisser Weise etwas seiner Ausstrahlung, was jedoch den gewollten Effekt hat, ihn zu entmystifizieren und ihn als einen Menschen darzustellen. Aber Rowling lässt Gott sei Dank immer noch genug Fragen offen, die der Phantasie den nötigen Raum geben, sich zu entfalten.

Doch Fragen haben sich auch durch das Outing geöffnet: Gehört die nun geäußerte Homosexualität des Magiers jetzt wirklich zur Konzeption oder ist es ein reiner Marketinggag? Dies betreffend muss ich sagen, dass ich Joanne wirklich glaube, dass dieses Detail für sie schon sehr früh feststand, denn sie muss generell von Beginn an ein sehr durchdachtes Bild ihrer Charaktere vor Augen gehabt haben. Denn abgesehen von winzigen Kleinigkeiten, so ist doch in den 7 Romanen ein einheitliches Bild entstanden und die einzelnen Personen und Handlungsstränge fügen sich ineinander und sind konsequent durchdacht, selbst wenn ab und an ein kleiner Kunstgriff zur Korrektur durchgeführt werden muss. Dass ist jedoch gerade bei Harry Potter sehr leicht zu machen, da es immer irgendeinen magischen Zusammenhang gibt, der als Erklärung dienen kann, jedoch dieses die uns präsentierte Welt bereichert und ihren besonderen Charme ausmacht. In gewisser Weise gibt es solche Wendungen ja auch in unserer Realität und „there are more things in heaven and earth, Horatio, Than are dreamt of in your philosophy.“

Die Diskussion die nun mancherorts entflammt, ob diese neue Enthüllung denn nun einen schlechten Einfluss auf die Wahrnehmung der Leser ihres geliebten Zauberers haben könnte, halte ich für absoluten Schwachsinn. Denn wer diese Tatsache in seine Bewertung Dumbledores miteinbezieht – egal ob Kind oder Erwachsener – hat die den Romanen unterliegende Grundaussage nicht verstanden. Denn es geht ja gerade darum, dass es eben nicht wichtig ist, wie man ist oder wie man geboren wurde, sondern allein die eigenen Fähigkeiten, Entscheidungen und Handlungen sind ausschlaggebend dafür, wie man von anderen beurteilt werden sollte. Gerade in Bezug auf Kinder finde, so denke ich, wird dies keinen demoralisierenden Einfluss haben, denn es sind ihre Vorurteile, die sie erlernen, nicht ihre Toleranz. Sollte ein Kind Vorurteile gegen Dumbledores Sexualität haben, so sind ihm diese vorab schon von ihrem Umfeld eintrainiert worden und dann kann es nicht schaden, diesen einen positiven Charakter entgegenzusetzen.

Auch denke ich, sind nun Spinnereien in Bezug auf Kinderschändung und Pädophilie hier fehl am Platze. Wenn überhaupt die Beziehung zwischen Dumbledore und Harry die Grenzen eines normalen Schüler-Lehrer-Verhältnisses überschreitet, dann nur in der Weise, dass eben der sokratische Topos hier aufgegriffen wird, der die klassische Verbindung zwischen dem reifen, weisen Mann und dem gelehrsamen Schüler aufgreift – allerdings fernab sexueller Absichten. Man kann zwar die Zauberstäbe als Phallussymbol sehen, gerade dann, wenn die Funken aus ihnen sprühen, muss es aber nicht.

So sehr ich mich darüber freue, dass der Aspekt der Homosexualität nicht explizit in die Geschichte gequetscht wurde, so sehr freue ich mich auch darüber, dass Rowling diese Hintergrundinformation im Nachhinein verraten hat. Denn nun bekommt die Handlung doch eine weitere, sie bereichernde Lesart und man darf getrost den hermeneutischen Zirkel auspacken und seine Gedanken kreisen lassen. Primär ist es unwichtig und somit ist es auch nicht schlimm, dass es nicht erwähnt wird, jedoch jeder Leser, der etwas weiter in diese Welt eindringen möchte und Dumbledore besser verstehen will, hat nun einen Anhaltspunkt mehr, an dem er ansetzen kann.

Für die schwule Welt jenseits von Magie und Zauber kann dies nur eine Bereicherung sein, denn wer die Moral der Harry Potter Geschichte verinnerlicht hat, wird durch diese Tatsache eher seine Vorurteile gegenüber Schwulen noch einmal überdenken satt an ihnen festzuhalten. Zumal es ja auch nicht der erste große Magier ist, der nach dem ersten Lesen einen schwulen Touch bekommt, denn auch durch die Besetzung Gandalfs in den Herr-der-Ringe-Verfilmungen durch Ian McKellen wurden schon einige Gedanken angeregt. Somit zeigt sich, dass Homosexualität so langsam auch ihre Repräsentation in den großen Alltagsgeschichten des 21. Jahrhunderts bekommt und man sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten wohl nicht mehr über schwule Prinzen, Könige, Zauberer oder Helden wird wundern müssen.

Sind wir nicht sowieso schon jeher „verzaubert“?