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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Freitag, November 12, 2010

Femmes fatales

Diese Woche hat in Deutschland ein „bizarrer Sex-Streit“ (Bild) stattgefunden: Nein, nicht der Kachelmann-Prozess ist gemeint, auch wenn eine der Beteiligten sich neuerdings als Bild-Reporterin dessen inszeniert, was mir noch immer ein Rätsel ist. Gemeint war die Reaktion von Alice Schwarzer auf das Spiegel-Interview mit Bundesministerin Kristina Schröder, eine in der heutigen Zeit allzu anachronistisch wirkende Debatte.

So oft ich auch Zweifel an den Positionen Schwarzers in der Kopftuchdebatte habe, so muss ich ihr in Bezug auf ihren offenen Brief an die Ministerin jedoch meinen Respekt zollen. Wenn auch hier nicht immer mit richtiger Zitierweise aufgewartet wird, so ist es dennoch ein unterhaltendes Sück, dass unter anderem das ultra-konservative Gesicht von Frau Schröder entlarvt. Aus Kreisen ihrer Kommilitonen der Mainzer Uni hörte man bei ihrem Dienstantritt schon lautes Stöhnen, da sie dort den Ruf hatte ultra-konservative Haltungen zu vertreten, die nicht unweit des echten Randes angesiedelt sein sollen. Aber vielleicht ist dies auch ihre Strategie. Denn nun, da der konservative Flügel der Union fast gänzlich von Frau Merkel ins Nirvana geschickt worden ist und zu vermuten ist, dass auch bald der letzte Hohepriester rechtspopulistischer Polemik im Januar in Wildbad Kreuth wird gehen müssen, ist ein Reaktionärsvakuum in der Partei entstanden, dass aufgefüllt werden will.

Dabei hatte ich noch vor einigen Wochen den Eindruck, sie stünde an einer Weggabelung, die es ihr ermöglicht hätte, einen etwas gemäßigteren Weg einzuschlagen. In einem Interview mit „The European“ hatte sie Ansätze erkennen lassen, dass man nun nauch in Unionskreisen mitbekommen habe, dass „Moderne Familienpolitik […] den Menschen [hilft], so zu leben, wie sie leben wollen – und [ihnen nicht vor]schreibt […], wie sie leben sollen. Die Organisation der eigenen Familie – das soll jeder für sich entscheiden.“ (Schröder) Auch wenn sie im selben Interview dann später Äußerungen über das für eine gute Kindererziehung notwendige Primat der Verschiedengeschlechtlichkeit traf, die Florian Krause, Bundeskoordinator der Bundeskonferenz der schwulen und schwul-lesbischen Referate und Hochschulgruppen, in einem Brief an die Ministerin scharf kritisierte und diese aufforderte: „dafür Sorge zu tragen, dass die Kinder, die bereits heute in Regenbogenfamilien leben und zukünftig leben werden, endlich auch rechtlich zwei Elternteile haben können.“

Aber vielleicht wird dies schon bald von anderer Stelle durchgesetzt, denn ganz ohne aufgebauschten Medienrummel und mit nur einer Meldung in den meisten großen Medien, jedoch mit vielen im Bundestag, wurde diese Woche Prof. Dr. Susanne Baer zur Verfassungsrichterin gewählt. Somit ist der Regenbogen nun auch in Karlsruhe angekommen und man darf gespannt sein, wie die seit Jahren um Gleichstellung bemühte, offen lesbisch lebende Verfassungsrichterin, das Klima des Bundesverfassungsgerichts wird auffrischen können. Man kann unserer Ministerin jetzt nur raten, bei familienpolitischen Gesetzen vorsichtig zu formulieren, um nicht Gefahr zu laufen, dass Ähnliches passiert wie mit den steuerlichen Regelungen zum Lebenspartnerschaftsgesetz.

Doch zurück zum Halbwissen über den frühen Feminismus von Frau Schröder, die diesem, wie Alice Schwarzer richtig feststellt, überhaupt erst ihre Karriere verdankt. Es mag ihr vielleicht nicht bewusst sein, dass es Zeiten gab, in denen Frauen – und darauf rekurrierte Schwarzer mit ihren damaligen Veröffentlichungen – nicht so frei und selbstbestimmt waren wie heute. Die Kontoeröffnung, der Führerschein und das annehmen einer Arbeitsstelle mussten per Gesetz vom Manne explizit erlaubt werden. Von eben dem Manne, der in vielen Fällen nach dem feierabendlichen Bier erst einmal nach Hause kam und seinen Frust mittels Prügel an seiner Frau ausließ, die dies gefälligst zu dulden hatte und auch, falls sie überhaupt in der Gesellschaft darüber sprach, von dieser kein Gehör fand. Solche Fälle kennt man, auch wenn man bis heute nicht wirklich weiß, ob es Einzelfälle oder ein gesellschaftliches Massenphänomen war, da die Opfer teilweise noch heute schweigen.

In diesem Zusammenhang, vor allem im Kontext eines theoretischen Diskurses, ist die Überlegung, „dass der heterosexuelle Geschlechtsverkehr kaum möglich sei ohne die Unterwerfung der Frau“ (Schwarzer zitiert von Schröder) nicht mal so abwegig, wenn auch überspitzt dargestellt und eher als Versinnbildlichung zu verstehen. Die Provokanz solcher Aussagen tat jedoch in der damaligen Zeit Not, um die Menschen wachzurütteln. Als Gedankenkonstrukt ist dies in dieser oder ähnlicher Form in sämtlichen Schriften des frühen Feminismus sowie der beginnenden Gender Theory zu finden. Die Frau wurde penetriert und in den meisten Fällen nicht freiwillig. Dies ging sogar so weit, dass der damalige Gesetzgeber der Meinung war, es gehöre zu den ehelichen Pflichten der Frau, wenn sie schon keinen Spaß am Sex habe, dem Mann wenigstens zu vermitteln, es sei so. Also wenn dies nicht Grundlage genug ist, von einer „Unterwerfung des Frau“ zu sprechen, dann befürchte ich, hat Frau Schröder, die ja noch nicht allzu lange im Gefüge der Ehe lebt, ein Konzept von Partnerschaft im Sinn, welches eher an Guantanamo erinnert denn an eine gleichberechtigte Partnerschaft. Aber sollte sie so denken, dann sei es ihr gestattet, schließlich sind die Gedanken frei.

A propos frei: Der schwule, britische Moderator, Schauspieler und Autor Stephen Fry verstrickte sich kürzlich in ähnlich wilde Auseinandersetzungen. Auch er geriet in die Fänge des zeitgenössischen Feminismus und wurde von der britischen Liga der außergewöhnlichen Neo-Sufragetten an den Pranger gestellt. Vorab sei hier darauf hingewiesen, dass sich in den Theorien des Feminismus bis heute ein Pauschalvorwurf der männlichen Unterdrückung der Frau finden lässt, der nicht zwischen homo- und heterosexuellen Männern unterscheidet. Doch zeige man mir bitte einen schwulen Mann, der eine Frau unterdrückt (Schmerzen beim Ziehen von Strähnen oder des zwängens in eigens designte Outfits ausgenommen). In einem Interview mit dem britischen Schwulenmagazin Attitude, hatte Wilde – verzeihung Fry – behauptet, Frauen hätten nicht in vergleichbarer Weise Spaß an Sex wie Männer und würden deshalb auch nicht den billig-schnellen Sex praktizieren, der in der schwulen Szene recht verbreitet ist. Leider jedoch hatte er, der sonst sehr gekonnt formuliert, wohl einen nicht allzu guten Tag, so dass er Aussagen lieferte, die postwendend von den Gegnerinnen im feministischen Lager aufgegriffen und gegen ihn verwendet wurden. Da darüber nicht allzu viel in der hiesigen Presse zu finden war, hier von mir ins Deutsche übertragen, die Highlights dieser Auseinandersetzung:

Fry: “Wenn Frauen Sex so sehr mögen würden wie Männer, gäbe es heterosexuelle Cruising-Areas wie es sie für Schwule gibt. Frauen würden hingehen und in Kirchhöfen rumhängen und denken: ‚Gott, ich muss es mal wieder so richtig besorgt bekommen‘ oder sie würden nach Hampstead Heath gehen und mit einem Fremden hinter den Büschen vögeln. Es passiert aber nicht. Warum? Weil die einzigen Frauen, mit denen man derart Sex haben kann, dafür bezahlt werden wollen. […] Mir tun heterosexuelle Männer leid. Der einzige Grund warum Frauen Sex mit ihnen haben, ist dass dies der Preis ist, den sie bereit sind zu zahlen für eine Beziehung mit einem Mann, die sie nämlich eigentlich wollen. Natürlich werden viele Frauen dies nun bestreiten und sagen: ‚Oh, nein, aber ich liebe Sex. I love it!‘ Aber streifen sie so in der Weise herum und haben ihn, wie es schwule Männer tun?“

Wenn auch etwas überspitzt dargestellt, so hat er hier im Rahmen der Argumentation einen treffenden Punkt angesprochen und hat nichts anderes getan als der eben erwähnte frühe Feminismus, der von der Unterwerfung der Frau sprach und damit das sprachliche Mittel der Überspitzung anwandte. Wo also ist das Problem? Es war garantiert nicht im Geiste vergangener Jahrhunderte geäußert, als man noch davon ausging, die Frau sei anatomisch nicht in der Lage befriedigenden Sex zu haben und sei sowieso ein hysterisches Wesen, welches es zu zähmen gelte. Dennoch stürzten sich die Frauenrechtlerinnen auf ihn. Allen voran Germaine Greer und Rosie Boycott:

Greer: „Stephen Fry erliegt hier klar der Täuschung anzunehmen, er sei eine Autorität für weibliche Sexualität. Ok, wenn er denkt, dass Frauen an Genitalkontakt mit absolut Fremden nicht interessiert seien, dann hat er absolut recht. Aber darazs zu schließen, dass wir an Sex desinteressiert seien ist Wahnsinn. Es stimmt, dass Männer ein Interesse an einer Art von Sex haben, die Frauen unendlich belastend finden und es ist wahr, dass Frauen wirklich nicht auf Toiletten rumhängen wollen in der Hoffnung, dass jemand vorbei kommt und mit ihren Teilen spielt. Das ist nicht, was Leidenschaft für uns ausmacht und wir würden uns in Todesgefahr begeben, wenn dem so wäre. Frauen haben eine Vorstellung von Leidenschaft, die Männer wie Stephen sich nicht im Ansatz vorstellen können. Wonach Frauen verlangen ist Intimität. Der Fakt, dass für Frauen Sex ein integraler Bestandteil von Nähe ist, heißt nicht, dass wir weniger daran interessiert wären.“

Boycott: „Frauen sind ebenso fähig Sex zu genießen wie Männer. Wir gehen nicht cruisen oder suchen Schäferstündchen auf Hampstead Heath, weil wir es nicht nötig haben.“

My dear Mister Singingclub! Wozu dieser ganze Wirbel? Das einzige, was Fry mit seinen Aussagen ausdrücken wollte, ist, dass Frauen eben keine schwanzgesteuerten Wesen sind, denen umgehend das Blut im Hirn fehlt sobald es sich in tiefer gelegeneren Körperregionen anstaut. Ganz nebenbei sei erwähnt, dass innerhalb der Klasse männlicher Wesen, es gerade die Schwulen sind, die sich am ehesten über weibliche Sexualität auslassen können – sind sie es doch auch, die in stundenlangen Gesprächen mit Frauen Details erfahren, die jeder Heterosexuelle sich nicht im Traum zusammenreimen kann. Aber selbst in Bezug auf schwule Sexualität überspitzt Fry seine Darstellung, denn Gott sei Dank leben wir heute in einer Zeit, in der es aufgrund des nicht mehr vorhandenen gesellschaftlichen Stigmas nicht mehr zwingend nötig ist, sich zum Sex in öffentlichen Toiletten zu treffen. Doch leider sind die heutigen britischen Feministinen nicht so beschwingt-locker wie das wohl berühmteste Beispiel Winifred Banks, ihres Zeichens frauenrechtlich aktive Mutter in Mary Poppins.

Doch diese Episode zeigt einmal mehr, dass man heutzutage ständig auf der Hut sein muss, sich ‚political correct‘ auszudrücken. Meine Meinung: „F*ck political correctness!“ Es muss doch auch möglich sein, dass man in einer freien Gesellschaft uralte rhetorische Mittel wie Übertreibung, Zuspitzung, Ironie, Sarkasmus oder gar Zynismus verwenden darf. Denn dass man andernfalls auch schnell ins Paradoxe abtriften kann, zeigt der folgende Rat der grünen Jugend zum Thema Gendern:

„Bei Bezeichnung der Tierarten gibt es im Deutschen keine festen Regeln für das grammatische Geschlecht. Es ist auch nicht wie bei Personen besonders männlich dominiert, sondern ist eher als zufällig zu bezeichnen. Da die Benennung von Tieren nichts mit Unterschieden der Geschlechter in der Gesellschaft zu tun hat und somit auch keine Relevanz auf deren Stellung in der Gesellschaft hat, ist es nicht nötig Tiere zu gendern.“

Eine Stilblüte des Gleichheitsbestrebens sonder gleichen. Den Verfassenden (sic!) dieser Zeilen sei gesagt, dass die meisten Tiere schon dem Wort nach gegendert sind: Katze/Kater, Kuh/Ochse, Ente/Erpel, Eber/Sau, etc. pp. Und es nunmal absoluter Unsinn ist von einer StierIn oder GanterIn zu sprechen.

Für mich befindet sich dieser ganze Diskurs in dem Spannungfeld zwischen zwei im engesten Umfeld erlebten Vorbilder, die beide auf ihre Art richtig liegen: Auf der einen Seite meine Großmutter mütterlicherseits, die als Frau durchaus selbstbestimmt und emanzipiert lebte, lange bevor die meisten wussten, wie man Emanzipation schreibt und auf der anderen Seite meine Großmutter väterlicherseits, die noch heute die allzu wahre Meinung vertritt: „Es wird so lange keine Gleichberechtigung geben, solange Männer nicht schwanger werden können.“