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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Samstag, November 27, 2010

Das Wort, das kraft Sinn etwas tat

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ So beginnt das jüngste der vier Evangelien, das nach Johannes. „In principio erat verbum“, „en archē ēn ho Logos“, schaut man sich die verschiedenen Übersetzungen an, so wird schnell klar, dass eben nicht ganz klar ist, was das „Wort“ hier meint. Klar ist nur, dass die Bedeutung das „Wort“ in dem heutigen Sinne bei weitem überschreitet. Egal welcher Deutung man nun auch folgen mag – und es gibt genug verschiedene Interpretationen dieses Satzes – so wird jedoch bewusst, dass das Wort, also die Sprache, ergo auch die Kommunikation zentral für den Menschen ist. Ohne Wort kein Denken und nicht das spezifisch Menschliche in uns. Dennoch bleibt es und dies wird auch deutlich im Zusammenhang mit dieser Stelle, dass eben jenes Besondere, das den Menschen auszeichnet, meist nur beim „deuten“ bleibt, wenn wir versuchen, das Seiende be-greifbar zu machen.

Daher ist es umso trauriger, dass der moderne Mensch, wie wir ihn heute kennen, sich meist nur noch der Zahl besinnt: Aktienkurse, Renditen, Abschlussquoten, Schulnoten, Verkaufszahlen, Einschaltquoten und vieles mehr. Das Wort, ganz zu schweigen vom Logos, tritt in den Hintergrund. So verwundert es auch nicht, dass es heutzutage in der Vorweihnachtszeit nicht mehr um die Besinnung geht – Sinn, ein ebenso passender Interpretationsansatz – sondern nur noch darum, was man bis Weihnachten noch alles zu erledigen hat. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit wird einem bewusst, dass sich unsere schöne neue Welt um den Konsum zu drehen scheint. Wie die Ameisen laufen wir durch die Städte, bepackt mit Tüten und Taschen und fröhnen dem Tätigsein. Ein Schluss, den schon Goethe in weiser Voraussicht nahelegt, wenn er seinem paradigmatisch angelegten, modernen Menschen, als den man Faust verstehen kann, in Bezug auf die eingangs erwähnte Bibelstelle zu folgendem Schluss kommen lässt – wohlgemerkt in Anwesenheit Mephistos, der sich schon, wenn auch noch als Pudel, im Studierzimmer befindet:

Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!«
Hier stock‘ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich nicht dabei bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh‘ ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!

Die Tat also soll es sein, die Anfang und Ursprung ist. Doch liegt sie an genau dem entgegengesetzen Ende menschlicher Möglichkeiten. Auch wenn oft mit dem Denken verbunden und durch dieses ausgelöst, liegt nichts ferner davon als das Tätigsein. Die Hand ist weiter entfernt vom Kopf, als man gemeinhin glaubt. Dennoch sind es die Errungenschaften der Hand, die wir heute vergöttern. Es geht um Produktivität, um Masse, um Mehr. Selbst das Wort hat sich dem unterzuordnen und bleibt oft leere Hülse. Doch ist es wirklich erstrebenswert das eigene Dasein aus nur dem einen Blickwinkel zu betrachten? Auf dem Standpunkt der Tat stehend, schauen wir auf uns und setzen alles in Beziehung zu diesem Ausgangspunkt. Doch sollten wir vielmehr versuchen, das ganze Spektrum miteinzubeziehen – vom Wort und Denken bis hin zur Zahl und der Tat. Erst dann ergibt sich auch ein Wert, eine Qualität, die wir doch, so legen es zumindest die Erfahrungen der letzten Jahre nahe, verloren zu haben scheinen.

Wir sollten uns unserer selbst wieder besinnen und dazu bietet gerade die Weihnachtszeit eine gute Gelegenheit. Denn wenn uns der Sinn abhanden kommt, wir vor lauter Aktionismus nicht mehr dazu kommen, kontemplativ unser Dasein zu betrachten, werden wir das eigentlich Menschliche aus dem Blick verlieren. Dann ist die Frage nicht mehr „Sein oder nicht Sein“, sondern es letztich egal, ob und wer wir sind.

In diesem Sinne wünsche ich allen eine besinnliche Vorweihnachtszeit, in der man vielleicht fernab des Trubels auch dazu kommt, in der „stillen Nacht“ eine „heilige Nacht“ zu erkennen. Dann wäre es für jeden Einzelnen eine wertvolle Jahreszeit.