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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Sonntag, November 21, 2010

Morgen kommt der Taliban

Fast jährlich zur Vorweihnachtszeit kommt sie: Die übliche Warnung vor Terroranschlägen. Doch in diesem Jahr ist es besonders absurd, was gerade in den Medien los ist. Der Innenminister warnt offiziell vor Anschlägen in Deutschland und einen Tag später findet sich erneut ein Päkchen in einem Flugzeug. Inmitten der entstehenden Hysterie, die natürlich nicht so entstehen soll, laut höchster Stelle, erscheinen dann noch Aussagen des obersten Bundespolizisten Matthias Seeger, die zwischen den Zeilen nur Eines ausdrücken: Es gibt einen eindeutigen Schießbefehl. Man habe nämlich aus Winnenden und Erfurt gelernt, dass man nicht zögern darf und ein direktes Eingreifen der Polizei, notfalls auch die Schusswaffe gebrauchend, das einzige Mittel sei, um den Schaden so gering wie möglich zu halten.

Dies mag ja als interne Anweisung durchaus richtig sein. Doch gehören solche Informationen in die Öffentlichkeit? Ich denke nicht. Schließlich ist diese sowieso schon aufgebracht genug über die drohende Gefahr vor islamistischen Terroristen. Dies zeigt auch eine nette Anekdote einer Freundin, die mir gestern berichtete, sie sei mit ihrem Nachziehwagen an der U-Bahn-Haltestelle gewesen. Dort hatte sie sich am Kiosk schnell noch eine Zeitung besorgen wollen und ließ ihren Wagen in Blick- und Reichweite stehen. Durch die ständigen Warnhinweise in den Informationstafeln aufgestachelt, kam umgehend ein älteres Ehepaar zielgerichtet auf sie zu und raunzte sie an, was ihr denn einfallen würde ihren Wagen unbeobachtet dort stehen zu lassen. Dies würde doch nur Hysterie provozieren und sei unverantwortlich in der heutigen Zeit. Es stellt sich nun die Frage, warum denn dieses Paar so besorgt war, kannten sie doch offensichtlich die Besitzerin des Wagens und sahen auch, dass diese nur einige Schritte entfernt stand. Meine Bekannte konterte dann, und dies nur, weil ihr Zug schon eingefahren war und die Türen offenstanden, mit der spontanen Antwort: „Wegen Menschen wie Ihnen gibt es überhaupt Terroristen.“

Etwas spitz und direkt diese Aussage, doch hat sie einen wahren Kern. Terrorismus funktioniert nur dann, wenn die Masse auch bereit ist, sich in Angst versetzen zu lassen. Es ist natürlich die Pflicht des Staates, die Menschen zu warnen, jedoch sollte dies in angemessener Weise geschehen. Wenn jedoch ein offizieller Vertreter davon spricht, dass im Falle des Falles das Feuer eröffnet wird, so ist dies meines Erachtens zuhöchst unverantwortlich. Selbstverständlich muss der Terrorismus mit allen Mitteln bekämpft werden und wenn nötig muss auch geschossen werden. Jedoch dies vorab öffentlich anzukündigen schürt nur unnötig die Angst der Menschen. Als sei es nicht schon beklemmend genug, dass man mittlerweile überall bis zu den Zähnen bewaffnete Polizisten rumlaufen sieht.

Mit solchen Informationen im Hinterkopf ist es nicht unwahrscheinlich, dass gerade dadurch Panik entsteht. Die selbe Bekannte berichtete mir auch von einem zweiten Vorfall in dieser Woche, in der sie ebenfalls in der U-Bahn beobachtete, wie aufgrund eines Knalls, was so ungewöhnlich ja nicht ist, mehrere bewaffnete Polizisten direkt losrannten, um die Ursache herauszufinden. Was nun, wenn Passanten eben durch solche Vorgänge aufgeschreckt, beginnen sich irrational zu verhalten und es aufgrund einer Fehleinschätzung eines einzelnen Polizisten, denn auch dieser ist nur Mensch, zu einem Schuss kommt? Dann haben eben jene Terroristen, vor denen allerorts gewarnt wird, einen ersten Erfolg erzielt – ganz ohne eigenes Zutun.

Dass die Medien sich auf dieses Thema stürzen ist verständlich, schließlich wird der Kampf um die Leser immer härter und mit Angst, Schrecken und Terror lassen sich immer noch hohe Umsätze erzielen. Dass aber vereinzelt hohe Staatsbeamte und Politiker die Stimmung anheizen ist entgegen jedem Staatsethos. Sie können in ihren Kommissionen und Einsatzgremien anweisen und beraten, was sie wollen. Jedoch sollten sie gewisse Dinge nicht in den öffentlichen Raum bringen. Noch nehmen es die Meisten gelassen auf und scherzen daüber, wenn sie ausländische Mitbürger in der Bahn sehen, ob dies nun Islamisten seien. Doch wie schnell kippt dies in konkrete Angst um, wenn irgendwo auf der Welt wirklich etwas passiert? Dann kann die Polizei aber gleich sämtliche Callcenter engagieren, um der Schar der Warnungen Herr zu werden. Doch dann könnte es sein, dass in der Masse der Meldungen, die relevanten nicht mehr erkannt werden. Hier sei an die Schleyer-Entführung erinnert, bei der auch breit dafür geworben wurde, Verdächtiges zu melden, was, wie wir heute wissen, dazu führte, dass der entscheidende Hinweis unterging und nicht verfolgt wurde.

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Dies gilt auch oder gerade in Hinsicht solcher Warnungen und Informationen. Das man dies kann, sieht man ja immer nach irgendwelchen Vorfällen, wenn Informationen zurückgehalten werden, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Warum nicht auch vorher einfach mal den Mund halten? Außerdem geht jedes Interview von der Zeit ab, die man besser in Ermittlungen stecken würde.

Ich für meinen Teil nehme zwar zur Kenntnis, dass es eine reale Bedrohung gibt, lasse mich jedoch nicht verrückt machen. Vielleicht handelt es sich auch lediglich um einen Tippfehler und der Satz lautete nicht: „Im Reichstag ist mit erhöhtem Terroristenaufkommen zu rechnen.“ Sondern: „Im Reichstag ist mit erhöhtem Touristenaufkommen zu rechnen.“ Es wäre zumindest die angenehmere Alternative.