Auf de schwäbsche Eisebahne…
Fernab der Pros und Contras hat die Auseinandersetzung nun eine Metaebene erreicht, die die Frage aufwirft: Dürfen in einer an sich gut funktionierenden Demokratie, solche Mittel staatlicher Gewalt eingesetzt werden? Denn wir sprechen hier nicht von einem radikalen schwarzen Block oder links- oder rechtspolitischen Fundamentalisten, wir sprechen von Demonstranten aus dem Bürgertum: Kinder, Jugendliche, Businessmenschen, Rentner, eben vom Otto-Normal-Bürger. Es ist ein Schlag ins Gesicht der freiheitlich-westlichen Werteordnung, wenn ein Innenminister nach solchen Ereignissen, davon spricht, dass von Müttern mit Kindern eine Gefahr ausgehe: „Wenn Kinder in die vorderste Linie gebracht werden, von ihren Müttern, von ihren Vätern, wenn sie instrumentalisiert werden, wenn sich Mütter mit den Kindern der Polizei in den Weg stellen, dann müssen sie eben auch mit einfacher körperlicher Gewalt nämlich weggetragen werden.“ (Heribert Rech, Innenminister von Baden-Württemberg, heute-journal vom 01.10.2010)
Natürlich ist es erste Pflicht des Staates, einzugreifen, sobald eine Bedrohung entsteht, jedoch kann ich, bei den Informationen, die ich bisher habe dazu sammeln können, nicht feststellen, dass eine solche Bedrohung je bestand. Meldungen über Steinewerfer wurden erst verkündet, dann wieder zurückgezogen und im Verlauf des heutigen Tages war von Kastanien zu lesen, die die Schüler geworfen hätten. Natürlich steht es außer Frage, dass das einzige Mittel gegen Kastanien, Wasserwerfer und Pfefferspray ist. Durch den Einsatz dieser Mittel, ist es nun an der Zeit, dass Innenminister Rech mit sofortiger Wirkung zurücktritt, nicht weil er einen Befehl gegeben hat, sondern weil er die politische Verantwortung für die gestrige Eskalation trägt. Mit jeder Stunde, die er im Amt bleibt, schadet er dem Vertrauen in die Demokratie. Auch wenn dies dann nur ein symbolischer Akt wäre, der so gesehen keine wirklichen Konsequenzen hat, so wäre es doch ein gutes Zeichen und würde das Gefühl vermitteln, dass diese Ausschreitungen auch Konsequenzen haben.
Wenn man sich heute morgen die Reden der Parteien im Bundestag zum Antrag der Grünen, die Tagesordnung der Bundestagsdebatte zugunsten einer „aktuellen Stunde“ über „Stuttgart 21“ zu ändern, angeschaut hat, dann kann man sich nur an den Kopf fassen. Die Argumente gegen diese Tagesordnungsänderung waren bei den Haaren herbeigezogen. Hier eine kleine Übersicht: a) Der Antrag sei zu spät eingereicht worden: In solchen Ausnahmemomenten könnte man sich, durch Abstimmung und mit breiter perlamentarischer Mehrheit, auch über reine Formalien hinwegsetzen – schließlich würde dies binnen Stunden auch getan, wenn ein Flugzeug ins Kanzleramt flöge. b) Der Einsatz der Polizei sei Zuständigkeit der Länder: Das ist richtig, jedoch der Grund der Auseinandersetzung ist ein Bahnprojekt, an dem der Bund qua Zuständigkeit für die Bahn sehr wohl ein Mitspracherecht hat; zudem steht die Frage im Raum, ob die vorgefallenen Ereignisse das Gesamtgefüge des demokratischen Zusammenlebens im Lande nicht insoweit gefährden, als dass der Bundestag dazu Stellung zu nehmen verpflichtet wäre. c) Man solle, so die FDP, die Kritik auch nicht zu ernst nehmen, denn schließlich habe es vor 1835, dem Jahr, in dem die erste deutsche Eisenbahn über die Schienen ratterte, auch Proteste gegeben, darunter selbst wissenschaftliche Annahmen, dass man nach 20 km verrückt würde oder Frauen durch das neue Verkehrsmittel die Fruchtbarkeit verlören, und es sei gut gewesen, solcher Kritik nicht zu folgen: Also wenn dieses Argument in der Frage, inwieweit es gerechtfertigt ist, mit Wasserwerfern auf dem Anschein nach firdliche Bürger loszugehen, sein soll, dann kann man nur konstatieren, dass die FDP in einem rauschhaften Regierungsgeilheitswahn nun endgültig den Boden menschlicher Vernunft unter den Füßen verloren hat.
Man kann der schwarz-gelben Landesregierung sowie der ebenso gefärbten Bundesregierung nur wünschen, und Wünsche an Schwarz-Gelb sind in letzter Zeit recht selten geworden, dass es nicht zu Schlimmerem kommt: Ein zweiter Benno Ohnesorg würde die anstehenden Feierlichkeiten zum zwanzigjährigen Jahrestag der Einheit, einer Konsequenz der friedlichen [sic!] Revolution, vollends überschatten und vielleicht ganz andere Geister wieder auf den Plan rufen, die – Gott sei Dank – seit langem Schlafen, denn irgendwie hat es mich schon verwundert, dass heute nirgendwo ein Schreiben aufgetaucht ist, dass die Neugründung der RAF gezeichnet vom „Kommando Verena Becker“ ausruft.
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