Einheitsbrei: Warum die Ost-West-Frage obsolet ist
Warum, um alles inder Welt, wird diese Frage immer noch gestellt? Nur weil man in unsicheren Zeiten einen Grund braucht, warum es einem nicht gut geht oder man befürchtet, es könne einem nicht gut gehen? Aber genau an diesem Punkt, sind wir mitten im Kern der ganzen Sache: Die deutsche Einheit ist bewältigt – die gesellschaftlich, strukturellen Veränderungen der letzten zwanzig Jahre nicht.
Damit meine ich nicht die Reparationszahlungen des ersten Weltkrieges, von denen diese Woche die letzte Rate zurückgezahlt wurde und die nur deswegen 1990 wieder aufgenommen werden mussten, weil man dies nach dem zweiten Weltkrieg auf den fernen Punkt einer irgendwann kommenden Wiedervereinigung geschoben hatte. Ich meine auch nicht die ganzen Krisen, die uns in den letzten beiden – vor allem dem letzten – Jahrzehnten heimgesucht haben: Dotcom-Blase, Finanzkrise, Weltwirtschaftskrise und kleinere Debakel. Denn wie man sieht, hat Deutschland hier im Vergleich zu vielen anderen Staaten eine gute Figur gemacht und konnte zwar geschwächt, aber vergleichsweise nur mit ein paar Schürfwunden aus diesem Dilemma hervortreten.
Was also meine ich damit? Ich meine damit, dass Deutschland es in einer Weise geschafft hat, die Einheit zu vollziehen, die die Welt noch nicht gesehen hat. Über die Bedeutung dieser Errungenschaft, habe ich schon des Öfteren geschrieben. Doch was wir heute zunehmend verkennen, ist die Tatsache, dass fernab deutsch-deutscher Geschichte sich das Rad der Zeit weitergedreht hat. Man muss sich nur eine der ersten Folge der überaus beliebten „Lindenstraße“ anschauen, um zu dem Schluss zu kommen, dass wir heute in einer komplett anders gestalteten Welt leben.
Wenn man sich anschaut, welch extremem Fortschritt unsere Gesellschaft innerhalb der letzten zwei Dekaden ausgesetzt war, so verwundert es doch nicht, dass dadurch auch Probleme entstanden sind. War die Gesellschaft in den 80er Jahren noch weitestgehend auf die „Manu“faktur – also die Arbeit mit den Händen – konzentriert, so leben wir heute in einer digitalen Dienstleistungsgesellschaft. Natürlich will ich hier jetzt nicht behaupten, wir seien 1990 noch ein altertümlicher Agrarstaat gewesen und ich bin mir auch bewusst, dass schon in meinen Lehrbüchern der 90er Jahre gelehrt wurde, es fände eine Verschiebung hin zum dritten Sektor statt. Jedoch wenn man sich überlegt, wie der Computer und das Internet die Arbeitswelt revolutioniert haben, so muss man sich nicht wundern, dass dadurch auch ökonomische Schieflagen entstanden und viele Arbeitsplätze – trotz der Tatsache, dass auch andernorts viele neue entstanden – weggefallen sind. Um nur ein ganz triviales Beispiel zu nennen: Wo ehedem ein Korrektor den Rotstift zückte, wird er nun durch die automatische Rechtschreibprüfung ersetzt. Das ist nun einmal der Preis des technologischen Fortschritts.
Bitterfeld steht heute ob der Unternehmen, die sich dem Ausbau erneuerbarer Energien gewidmet haben, besser da als Gelsenkirchen, wo ebenso wie in ersterer Region massiv industrielle Arbeitsplätze weggefallen sind. Dies zeigt doch, dass es eben keine Frage von Ost-West ist, sondern vielmehr die Frage danach, wie wir mit diesem gesellschaftlichen Umsturz umzugehen haben. Es mag ja sein, dass gerade die ostdeutschen Gebiete auch diesbezüglich in den letzten Jahren zu kurz gekommen sind, was dann aber nicht an dem Phänomen der deutschen Einheit liegt.
Warum also dieses stetige „Einheits-Bashing“? Warum können wir nicht sagen, dass der seinerzeit von Adenauer eingeschlagene Weg, der in dem Höhepunkt deutscher Geschichte mit der Einheit unter Kohl sein Ziel fand, richtig war? Wir leben heute in einem vereinten und vor allem friedlichen Europa. Ein Zustand, den wir über Jahrhunderte missen mussten – ganz zu Schweigen vom Frieden auf deutschem Gebiet. Die deutsche Frage, die die Machthabenden seit Generationen beschäftigt hat, ist endgültig gelöst und wir leben Hand in Hand mit unseren Nachbarn. Sollte uns dies nicht Anlass genug sein, die „Ode an die Freude“ aus tiefster Kehle anzustimmen? Ich jedenfalls werde mich an diesem Wochenende freuen, dass ich in einem Europa lebe, dass sich Millionen Menschen vor mir so nicht hätten vorstellen können, obwohl sie es sich insgeheim immer gewünscht haben.
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