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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Samstag, September 11, 2010

Sarajevo 2.0

Heute vor neun Jahren hielt die Welt den Atem an. Schaut man sich die Entwicklung seither an, dann kann man getrost feststellen, dass der 11. September das Sarajevo des 21. Jahrhunderts ist. Hier die Attacke auf die beiden Türme des WorldTradeCenters, dort Schüsse auf den österreich-ungarischen Erzherzog Franz-Ferdinand und seine Gattin. Letzteres hatte zwei Weltkriege zur Folge, Ersteres den „war on terror“, der sich bisher in zwei Kriegen geäußert hat, in denen ebenfalls „die ganze Welt“ beteiligt war, und der uns wohl noch eine ganze Weile beschäftigen wird.

Doch hat sich in den letzten 100 Jahren sehr viel verändert: der Charakter von „Krieg“ hat sich gewandelt. Man könnte sogar soweit gehen und behaupten, dass wenn jemand von „Krieg“ spricht, diese Klassifizierung so undeutig geworden ist, dass sie näher spezifiziert werden muss. Spricht man von einem Krieg im klassischen, prä-modernen Sinne und meint damit eine Auseinandersetzung zwischen Herrschenden oder Ländern mittels fester Heere, die hauptsächlich aus dem Kampf Mann-gegen-Mann bestehen und vergleichsweise wenige Opfer in der Zivilbevölkerung fordern, da sie „auf dem Feld“ ausgetragen werden? Oder meint man damit die technologisierte Kriegsführung der beiden Weltkriege, die nicht mehr nur Sache der Armeen sind, sondern, in denen ganze Städte auf Knopfdruck ausradiert werden? Oder meint man damit gar ein Konstrukt wie den Kalten Krieg, also eine latente Bedrohung, die eher einer Aneinanderreihung von Krisen beschreibt, die jederzeit eine militärische Auseinandersetzung zur Konsequenz haben könnten? Oder meint man das, was im Zusammenhang mit dem „Krieg gegen den Terrorismus“ meinen, in dem die Staaten nicht mehr nur militärisch oder politisch agieren, sondern die Gesellschaft als Ganzes zum „Kriegsschauplatz“ wird?

Gerade eben habe ich eine Demonstration für Datenschutz von meinem Balkon aus beobachtet und dabei ist mir einmal mehr klar geworden, dass wir uns im „Krieg“ befinden. Nicht nur, dass Soldaten sich noch immer in den beiden direkt resultierenden militärischen Kriegen befinden, darüber hinaus gibt es auch seit den Anschlägen von 2001 einen politisch-juristischen Krieg, der sich dergestalt äußert, dass seither immer wieder massiv in die Freiheitsrecht des Einzelnen eingegriffen wurde. Was wurde nicht alles mit diesen Anschlägen oder eben der Bekämpfung des Terrorismus begründet? Seit nunmehr fast zehn Jahren ist fast jeder Lebensbereich damit in Verbindung gebracht worden und ich ersprare mir jetzt eine Aufzählung der Konsequenzen, da zum einen jeder weiß, wovon ich spreche, und zum anderen eine solche sowieso unvollständig sein müsste. Man kann ganze Bücher damit füllen – „Von der Rasterfahndung zum Bundestrojaner: Die Geschichte staatlicher Überwachung im 20. und 21. Jahrhundert“. Der vielzitierte Orwell hat sich halt lediglich um ein paar Jahre verrechnet.

In diesem Zusammenhang stellen sich mir zwei Fragen. Einerseits die Legitimationsfrage, die auch in den letzten Jahren sehr breit diskutiert wurde und noch wird. Diese schwebt so gesehen auch über der heutigen Demonstration, da die Meinungen darüber, wie weit Freiheiten zum Zwecke einer möglichen Verbesserung der Sicherheit eingeschränkt werden dürfen, weit auseinander gehen. Man kann sich hier nur differenziert mit jedem Punkt hinsichtlich der Nützlichkeit sowie dem Grad des Eingriff beschäftigen, wobei jedoch festgestellt werden kann, dass es doch zum Teil paranoide Züge aufweist, wenn man so manche Begründung von Maßnahmen in diesem Bereich hört. Eine Antwort könnten wir jedoch bei meinem Namensvetter Benjamin Franklin finden, dessen Aussage hierzu gerne verkürzt dargestellt wird und der sagte: „Those who would give up essential Liberty to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.“ Er bezieht sich nämlich in diesem Satz nicht auf eben den verkürzten – leider oft so zitierten - Gedanken, dass, wer Sicherheit mit der Aufgabe von Freiheit bezahle, am Ende beides verliere, sondern sein Satz zeigt in sich schon eine differenzierte Sichtweise. Zum einen ist er keine Warnung, sondern eine moralische Aussage. Er sagt nicht: „if you give up…, then…“, sondern „those who would give up…, deserve neither…“. Es handelt sich also um eine Bewertung eines solchen Verhaltens. Darüberhinaus spricht er auch nicht von „der Freiheit“ oder „der Sicherheit“ per se, sondern bezieht sich auf essentielle Eingriffe in die Freiheitsrechte sowie eine kurzfristig dadurch erlangte Sicherheit, beides bleibt natürlich jenseits dieses Zitats zu definieren, weshalb dieser Satz auch so gesehen nicht allzu viel ausdrückt. Dennoch kann er als ein leitender Gedanke weiterführende Fragen aufwerfen und dient somit sehr gut als eine paradigmatische Richtungsweisung.

Doch die zweite Frage, könnte ebenso bedeutsam sein und noch weitreichendere Folgen haben: Welche Geister rufen wir gerade, die wir dann nicht mehr los werden? Schaut man sich die verschiedenen Phasen der oben verkürzt dargestellten Historie der Kriege an, stellt man fest, dass sich immer wieder grundlegende Strukturen verändert haben. Zum einen natürlich die Allianzen – die Nationalstaaten der beiden Weltkriege, ordneten sich neu und bildeten zwei Blöcke, die im Kalten Krieg aufeinander trafen und zum Teil eben jene Organisationen unterstützten, gegen die sie nun nach einer erneuten Reorganisation zu einem großen Block bekämpfen. Auch der Einsatz von Waffen verändert sich konstant – war die Atombombe ursprünglich als einfache Angriffswaffe gedacht, mutierte sie im Kalten Krieg zu einer psychologischen Größe, die eine konstante Bedrohung darstellte und führte zu einem Wettrüsten und einem ständigen Gefühlen und mitlerweile ist zu befürchten, dass sie irgendwann auch terroristischen Orginastionen in die Hände fallen könnten. Somit stellt sich die Frage, was wohl im nächsten „Level“ – sprich: nachdem der Kampf gegen den Terrorismus überwunden wurde und ein neues Feindbild gefunden wurde (denn Feindbilder wird es immer geben, da sie unter anderem auch eine konjunkturfördernde Komponente haben) – was also wird dann passieren? Was wenn die nun geschaffenen Such- und Überwachungspraktiken modifiziert und nicht mehr im Sinne der Sicherheitswahrung verwendet werden? Wir schaffen also eine Waffe, deren Auswirkungen nicht vollends abzusehen sind, bevor sie nicht misbraucht wurde.

Andererseits ist die heutige Demo und das Thema dieses Beitrags sowieso in gewisserweise nicht die Hauptgefährdung hinsichtlich unserer Datenhoheit – denn die staatliche Datenspeicherung, gegen die hier argumentiert wird, ist ein verschwindend geringes Phänomen, wenn man es mit kommerzieller Datenspeicherung á la Google vergleicht. Wenn diese mal in falsche Hände gerät (sofern sie nicht schon dort ist), dann: Good Night, and Good Luck.