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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Freitag, Juli 02, 2010

Wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre…

… würde ich zu Hause bleiben. Dass man diese Aussage aus meinem Munde einmal hören würde, hätte wohl kaum jemand, der mich kennt, jemals erwartet – am wenigsten ich selbst. Doch entspricht dies meiner momentanen Stimmungslage, da die Ereignisse des gestrigen und mehr noch des heutigen Tages es geschafft haben selbst einem gnadenlosen Verfassungsoptimisten wie mir, den Glauben an eine gut funktionierende Demokratie in Deutschland fast zu rauben – fast deswegen, da dennoch ein Restfunke an Hoffnung bleibt, dass es irgendwann auch einmal wieder bergauf geht in diesem Land (auch über die geschönten Wirtschaftszahlen eines Herrn Brüderle hinaus).

Leider verbietet es der öffentliche Rahmen dieses Blogs, dass ich heute schreibe, was ich denke, jedoch kann jeder die folgende Redensart, sofern er sie kennt, selbst vervollständigen: „Ich kann nicht so viel essen, wie ich gerne…“ Merkels Spiel ist einmal mehr aufgegangen und sie hat sich einen weiteren Konkurrenten vom Hals geschafft. Kohls Mädchen, dass bei seinem Sturz damals das erste Blut geleckt hat, hat ein weiteres Opfer gefordert – auch wenn dieses Opfer den Biss als sehr angenehm empfand – aber auch viele Teenies würden sich derzeit gerne von Robert Pattinson beißen lassen, nur weil es schön ist. Aber was um sie herum kaum einer wahr nimmt: Die Mutti ist zum Monster mutiert.

Was man ihr im Fall Merz oder auch im Zweikampf gegen Stoiber noch als positive Eigenschaft auslegte, da sich eine Frau durchsetzen kann, ist von ihr an die Grenze getrieben und pervertiert worden. Gerade in den letzten Wochen fallen ihre parteiinternen Gegner wie die Dominosteine: Koch, Rüttgers, Wulff. Es würde mich nicht verwundern, wenn in einigen Jahren in den Memoiren eines Horst Köhlers herauskäme, dass selbst sein Rücktritt auf ihre Machenschaften zurückzuführen ist. Die einzigen beiden ernstzunehmenden Personen innerhalb der Union, die eventuell den Rückhalt hätten, einen innerparteilichen Putsch gegen sie zu starten sind von der Leyen und zu Guttenberg – beide sitzen auf Ministersesseln, die sich von jetzt auf gleich als politische Schleudersitze entpuppen könnten. Getreu ihrem Ziehvater, muss sie jetzt nur so lange sitzen bleiben und warten, bis sich auch diese beiden aus der Politik verabschieden oder anders: bis die nächste Afghanistan-Krise kommt oder ihre Konjunkturbrems-Politik die Arbeitslosenzahlen wieder in die Höhe schießen lassen (trotz des heute von Brüderle prophezeiten „Jobwunders“). Ansonsten sieht es nicht gut aus in der Personaldecke der Union, mit ihren Nachrück-Ministerpräsidenten und Schönwetterpolitikern.

So wenig ich von vielen der alten Unionsgrößen gehalten habe – dennoch waren sie ein wichtiger Bestandteil der Partei und es bestand eine gewisse „Balance of Power“, die jedoch von Merkel nach und nach auf ihre eigene Person gebündelt wurde. Wobei man sagen muss, dass sie ja meist nichts tut: Sie sitzt auf ihrer Tribüne und schaut zu, wie sich ihre Koalitionsgladiatoren gegenseitig zerfleischen. Doch wenn sie dann endlich einmal eine Regung von Vitalfunktionen zeigt, dann ist es ihr Daumen, den sie hebt oder senkt – ganz ohne nach irgendwessen Meinung zu fragen. Man möchte sie fast schon dran erinnern, dass die Mauer gefallen ist und der Kabinettstisch kein Zentralkomitee ist. Doch sie macht alles im Alleingang – selbst eine Bundespräsidentenkandidatur.

Ich möchte jetzt nicht sagen, dass Wulff kein guter Kandidat war, jedoch gab es einen besseren, den auch sie hätte nominieren können. Auch ist es nicht erstaunlich, dass am heutigen Tage, die meisten Menschen denken, dass unser neuer Bundespräsident seine Sache gut machen wird – mich inklusive – allerdings gebührt dies zum einen der Respekt vor dem Amt und zum anderen kann ein solcher Strahlemann und Wunschschwiegersohn nur ein guter Präsident werden. Was ich nur nicht verstehen kann, ist die Tatsache, dass man sein junges Alter als etwas Positives empfindet: Selbst wenn er die maximale Zahl an Amtsjahren voll ausschöpft, wird er bei Austritt aus dem Amte erst knapp über sechzig Jahre sein – also noch nicht wirklich im Rentenalter wie seine Vorgänger und wird – gerade wenn er seine Forderung, das lebenslange Weiterzahlen der Bezüge abzuschaffen, durchbekommt – darauf angewiesen sein, für sein Alter weiter vorzusorgen. Daher ist es gut möglich, dass wir nach einem Gazprom-Kanzler nun auch einen Bundespräsidenten erleben werden, der während der Amtszeit schon zukunftsorientiert auf spätere Anstellungen hinarbeitet.

Eine Hoffnung unseres neuen Bundespräsidenten, die er heute im Interview der ARD äußerte, war, dass man die Politikbegeisterung, die Joachim Gauck in den letzten Wochen gerade unter jungen Menschen erweckt hat, nutzen könne. Doch leider hat er hier die Rechnung ohne das Volk gemacht, so wie in der Politik fast jede Rechnung ohne das Volk gemacht wird. Die Begeisterung für Joachim Gauck erwuchs gerade der Tatsache, dass er überparteilich gewesen wäre – wenn auch parteitaktisch nominiert, so doch mithilfe einer so guten Taktik, dass man diese nicht hätte kritisieren können. Die Wahl Gaucks wäre ein Symbol gewesen, dass es auch ohne Ämterschieberei und Machtkalkül geht. Weder hätte jemand durch seine Wahl einen personellen Vorteil gehabt, wie es im Verhältnis Merkel-Wulff klar der Fall ist, noch hätten die vorschlagenden Parteien einen politischen Vorteil von ihm, einem doch eher Konservativen, gehabt. Deswegen wird diese Begeisterung jetzt auch nicht einfach auf Wulff übertragen, sondern meiner Meinung nach genau in das Gegenteil umschlagen und die Politikverdrossenheit in diesem Lande zu weiteren Höhenflügen antreiben. Wobei wir wieder beim Anfang des Beitrags wären, denn wenn selbst ich so langsam die Lust verliere, so mag das was heißen.

Dies wird dann noch durch Reaktionen auf das gestrige Debakel wie die heutigen verstärkt. Wie kann es bitte sein, dass Unionspolitiker am heutigen Tage, in der Bundespräsidentenwahl eine „Stärkung der Demokratie“ sehen? δῆμος [dēmos] – „Volk“ und κρατία [kratía] – „Herrschaft“ ergeben zusammen die „Herrschaft des Volkes“ – eines Volkes, dass „seinen Präsidenten“ klar benannt hatte und zusehen musste, wie mit Hilfe einer pseudo-demokratischen Partei (und dies bezieht sich nicht nur auf den dritten Wahlgang, in dem Wulff die absolute Mehrheit hatte) genau der Wegzulobende gewann, der im Alleingang oktroyiert wurde und der seine Kandidatur dem schlichten Machtkalkül einer Einzelperson verdankt. Die ganze Schönrederei der Regierungsparteien des heutigen Tages ist doch mehr als unglaubwürdig – schade nur, dass eben jene Medienlandschaft, die diese jetzt scharf kritisiert ebenfalls gestern feststellen musste, dass auch sie nur machtloser Zuschauer ist, da es ihr nicht gelungen war, den favorisierten Kandidaten auch ins Amt zu schreiben.

Wie dem auch sei – meinem Ärger habe ich nun Luft verschafft und werde wohl doch bei nächster Gelegenheit wieder wählen gehen. Was die Zukunft bringt, wird sich zeigen. Momentan kann man nur festhalten, dass die „Lady Macbeth der Bundespolitik“ einmal mehr ihre Macht ausbauen konnte. Der Rest ist Schweigen….