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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Samstag, August 06, 2005

Positive Neuigkeiten

Vielleicht hat sich der ein oder andere meiner werten Leser schon gewundert, dass seit längerer Zeit hier nichts Neues mehr erschienen ist. Dafür gibt es jedoch auch einen ganz plausiblen Grund, jedoch möchte ich vorne anfangen.

Bei meiner Zahnsanierung wurde festgestellt, dass ich mal eine heftige Zahnfleischentzündung gehabt haben muss und meine Ärztin riet mir zu einem kompletten Blutcheck, den ich dann auch machte. Als die Werte kamen, wurde mir mitgeteilt, dass der HIV-Suchtest positiv angeschlagen sei und man nahm mir erneut Blut ab und schickte mich mit tröstenden Worten in ein “unsicheres” Wochenende.

Zuerst einmal bin ich in ein tiefes Loch gefallen, habe jedoch versucht einerseits das Gute hinter der Diagnose zu sehen und konnte mich immer noch damit trösten, dass es eventuell auch ein falsches Ergebnis sein könnte, da der Suchtest gerne mal falsch positive Ergebnisse erzeugt.

Wenn ich auch keinem etwas Böses wünsche, so doch, dass jeder einmal solche 5 Tage mitmacht. Sie sensibilisieren ungemein und zeigen einem, dass man mit dieser Krankheit nicht spaßen sollte.

Nach dem Wochenende kam dann das, was ich vorher noch nicht ganz wahrhaben wollte. Das Ergebnis des Bestätigungstest machte seinem Namen alle Ehre und bestätigte den Verdacht.

Die aller erste Frage war “Woher?”. Dies ist auch die erste Frage, wenn man es anderen erzählt. Hierzu kann ich nur sagen, dass ich es nicht sicher weiß. Man kann es auch nicht wissen. Was ich jedoch weiß ist, dass ich immer in meinen Sexualkontakten geschützten Verkehr hatte mit einer Ausnahme, die jedoch negativ ist. Da ich keinen Sinn darin sehe des eigenen Friedens Willen jemandem etwas zu unterstellen oder Sonstiges stelle ich mir die Frage nicht und akzeptiere, dass “safer Sex” eben so heißt, weil er nur “sicherer” ist, denn sonst müssten wir ihn “safest Sex” nennen, was wohl eher auf Telefonsex oder Masturbation zutrifft.

Dieser Tatsache sollte man sich auch immer bewusst sein: Anschnallgurt, Airbag, Überrollbügel und Seitenaufprallschutz sind noch kein Garant dafür, dass der Unfalltod ausgeschlossen werden kann. Und selbst die größten Sicherheitssysteme mit ausgefeilten Techniken können doch immer geknackt werden.

Die Diagnose ist heute kein Urteil mehr wie noch vor wenigen Jahren. Man kann heute sehr gut damit leben und durch den imensen Aufschub, den die Medikamente einem geben, sterben viele vorher an etwas anderem und da ich schon immer der Ansicht war, dass ich jeden Tag damit rechnen muss, von einem Auto überfahren zu werden, mache ich mir darum überhaupt keine Gedanken. Zudem ist der Virus vorerst kontrollierbar und man kann ihn zumindest bis zum Ende hin genau beobachten, was ja bei Krebs je nach Verlauf genauso ist, da man dabei vielleicht eines Tages erfährt, dass er gestreut hat und somit überhaupt nicht mehr festzustellen ist, was mit einem geschieht. Wie die Medikamente sich auswirken, kann ich noch nicht sagen und die Berichte sind diesbezüglich sind sehr unterschiedlich, was mir einen Grund zur Zuversicht gibt, wenn ich auch damit rechne, dass es zu Komplikationen kommen kann. Man sollte halt nur auf einen gesunden Lebenswandel achten, doch das sollte im Grunde jeder von uns tun.

Andererseits denke ich, dass ich einfach so weiterleben werde wie bisher auch, eben nur bewusster. Ich werde auch weiterhin mal einen trinken, auch wenn das nicht unbedingt förderlich ist, da ich denke, wenn man dies in Maßen tut, so ist es doch förderlich, da es auch einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Lebensgefühl und dem Krankheitsverlauf gibt. Und ich habe mir vorgenommen, dass die Krankheit mit mir leben muss, nicht ich mit ihr. Ich habe zuerst in “unserer WG” gewohnt und somit muss sie die bestehenden Regeln akzeptieren und kann nicht bei mir mit irgendwelchen Forderungen einziehen. Ich werde den Virus wie einen Mitbewohner behandeln, auf den man sich zwar einstellen muss und vielleicht ab und an Rücksicht nehmen muss, ihm jedoch auch klare Grenzen aufzeigen sollte. Sollte es ein übergreifendes Prinzip auf dieser Welt geben, so bin ich der Überzeugung, dass wenn ich respektvoll mit dem Virus umgehe, dies auch auf Gegenseitigkeit beruhen wird.

Ein Hund beißt meistens nur, wenn man ihn ärgert oder wenn er merkt, dass man Angst hat. Solange man normal mit ihm umgeht, tut er nichts. Wobei hier angemerkt sei, dass dies ein schlechter Vergleich ist, da ich vor Hunden wirklich Angst habe.

Eine weitere Frage ist im weiteren Umgang mit der Neuigkeit gewesen, mir klar zu machen, wie ich mit diesem Thema umgehen werde. Hierbei sei angemerkt, dass ich es sehr respektiere, wenn Menschen sich entscheiden es nur einigen wenigen Vertrauten einzugestehen, da sie es als etwas sehr Privates ansehen und der Meinung sind, dass unsere Gesellschaft noch nicht bereit dazu ist, mit HIV adäquat umzugehen.

Ich jedoch habe mich dazu entschlossen gerade deshalb ganz offen damit umzugehen, da ich denke, dass man die Gesellschaft nur so ändern kann und sie sich nicht ändert, wenn alle dieses Thema kategorisch ausblenden, wie es heute immer noch viele tun. Meiner Meinung nach ist auch der Barebacktrend der letzten Zeit darauf zurückzuführen, dass vielen das Problem nicht bewußt ist, da sie in ihrem näheren Umfeld nicht damit in Kontakt sind und es somit besser ignorieren können. Wenn sie wüßten, wer ihrer Bekannten und Freunde alles den Virus in sich trägt, würden sie wohl ein paar ihrer Vorlieben noch einmal überdenken und eine erneute Risikoeinschätzung vornehmen.

Zudem war und bin ich schon immer ein offener Mensch und wer mich kennt weiß, dass ich je nachdem wie sehr man sich aufeinander einlässt, sehr schnell Hüllen fallen lasse und man oftmals erschreckend feststellen muss, dass es bei mir keine großen Geheimnisse gibt. Alleine mein Profil wird von bösen Zungen ja schon als zur-Schau-Tragen der eigenen Persönlichkeit gesehen. Doch ich habe in meinem Leben immer wieder festgestellt, dass wenn man dem Gegenüber Angriffsfläche bietet, das Paradox eintritt, dass man zunehmend unangreifbarer wird, da man nicht mehr überrascht werden kann. Und in dem Moment, wo jeder etwas über mich weiß, kann er mich nicht mehr mit einem Angriff überraschen, da ich eigentlich damit rechne.

Deshalb habe ich nachdem die wichtigsten Freunde informiert waren auch meine ehemaligen One-Night-Stands (sofern sie erreichbar waren) darüber informiert und mit offenen Karten gespielt. Ich habe dies unter Schweiß und Tränen getan, da ich sehr große Angst hatte, dass negative Reaktionen kommen würden. Jedoch wurde ich eines Besseren belehrt, was meinen Glauben bestärkt hatte, dass Werte wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit heute doch noch einen höheren Stellenwert haben als pauschale Verurteilung.

Im engsten Bekanntenkreis waren die Reaktionen auch sehr erfreulich und ich habe ein weiteres Mal vor Augen geführt bekommen, wie wichtig doch Familie und Freunde im Leben sind. Jedoch waren diese Reaktionen ganz verschieden.

Einerseits gab es Menschen, die sofort in Tränen ausbrachen, was mir zeigte, wie wichtig sie mir sind. Jedoch war es möglich Trost zu Spenden indem man aufklärende Gespräche führte und dem ganzen den damit belasteten Schrecken nahm.

Dann waren Reaktionen da, die sich durch gewisse Berührungsängste auszeichnen. Ich kann das sehr gut verstehen, denn ich kann mich nur allzu gut an das mulmige Gefühl erinnern, als ich das erste Mal einem Infizierten die Hand gegeben habe. Man weiß, dass dies Unsinn ist, jedoch ist der Kloß im Hals da. Allerdings verliert man diese beklemmenden Gefühle je mehr Umgang und Kontakt man miteinander hat. Daher werde ich diesen Personen den Raum und die Zeit lassen, sich daran zu gewöhnen und den Umgang langsam zu lernen, denn auch ich bin zurückgeschreckt, als mich ein Freund zum Trost auf den Mund küssen wollte. Aber ich denke, dass man, wenn man diesen Weg gemeinsam gehen kann, neue Fundamente für die Zukunft schafft.

Somit wären wir durch die Erwähnung dieses Freundes bei einer weiteren Reaktion, derer, die zwar Angst empfinden, jedoch dieser keinen Einfluss auf den Umgang mit mir einräumen.

Sicher weiß ich, dass ich in Zukunft auch mit Ablehnung rechnen muss, gerade weil ich mich entschlossen habe, offen mit dem Thema umzugehen, jedoch hat dies auch sein Gutes, da es mir so dann wesentlich einfacher fallen wird, den Wert eines Menschen zu erkennen. Menschen die auf mich zukommen werden und sich ihren Gedanken und Ängsten stellen, besitzen nun einmal die Reife und den nötigen Tiefgang, den man als Mensch haben sollte.

Die, die einfach vorbeigehen und die Augen verschließen, sind es auch nicht wert, dass man sich mit ihnen beschäftigt, da sie eben noch nicht reif sind für den respektvollen Umgang miteinander und in kindlicher Naivität ihr Dasein fristen. Ihnen kann ich nur wünschen, dass auch sie eines Tages erwachsen werden, denn anderenfalls tun sie mir leid. Denn wer weiterhin in Schubladen und Kategorien denken will, der soll dies tun, doch wird er nie die Fülle und Vielfalt des ganzen Lebens erkennen und sich immer nur auf einen Teil des großen Ganzen beschränken. Er wird nie alle Gefühle kennen lernen, nicht damit klar kommen, dass das Leben nun mal nicht nur Sonnentage für uns bereit hält und nicht erkennen, dass Leben heißt Höhen und Tiefen zu meistern und es dadurch erst Sinn bekommt, denn immer wieder das selbe zu tun, zu denken und zu fühlen, wird auf Dauer sehr stumpfsinnig und monoton.

Einen ganz großen Dank an die Menschen, die mir mit guten Worten und Trost sowohl als auch Ablenkung, Interesse und Mitgefühl in den ersten Tagen geholfen haben. Auch wenn sich die Floskeln zum Teil sehr abgedroschen anhören, so tun sie doch gut. Und selbst wenn man gefragt wird “Reicht es, wenn ich die Tasse in die Spühlmaschine stelle?” so ist dies nicht verwerflich aufgrund der Unwissenheit, sondern hoch anzurechnen aufgrund der Aussprache.

Natürlich weiß auch ich, dass dieser Flut des Optimismus eine Ebbe folgen wird. Das ist der Lauf der Natur und der Welt im Ganzen. Alles bewegt sich in Zyklen und nach jedem Winter kommt ein Frühling und auf den Sommer folgt der Herbst. Alles was erbaut wird, stürzt eines Tages ein, um dann wieder aufgebaut zu werden. Daher bin ich auch froh in Köln zu wohnen, einer Stadt, die im zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört wurde und heute wieder lebt. Und alleine der dom sei mir ein Zeichen, denn als man oben fertig war, konnte man unten mit der Renovierung beginnen. Und getreu dem Motto des Kölners, der davon Ausgeht, dass die Welt in zwei Situationen untergeht, nämlich wenn der Dom einstürzt oder wenn er fertig ist, so denke ich: Wenn das Leben sich eines Tages nicht mehr in Hoch und Tief einteilen ließe, so hätte es keinen Sinn mehr. Und ich hoffe, dass ich mich auf viele Sonnentage freuen kann, auch wenn immer wieder die Wolken den blick auf die Sonne verdecken. Aber wie ich mich kenne, werden solche dunklen Momente dann auch hier ihre Erwähnung finden.

Mein Credo ist daher an alle “Gesunden”: Passt auf euch auf und geht nicht allzu fahrlässig mit diesem Thema um.

Allen Infizierten odere denen, die es noch werden kann ich nur sagen: Seht es als eine Bereicherung und neue Herausforderung, die das Leben an euch stellt. Ihr habt eine einmalige Chance hier neue Erfahrungen zu sammeln, die euren Charakter stärken werden und euch die Chance geben Reife zu gewinnen, die anderen nicht zuteil wird. Denn wenn alles in Ordnung ist, kann man auch nicht selbst wachsen. Nehmt die Bezeichnung eures Status ernst und lebt positiv.

Allen kann ich nur sagen: Werdet euch des Lebens bewußt und lebt im Heute, denn Jugend, Schönheit, Gesundheit und Glück sind vergänglich und es kann jederzeit etwas geschehen. Daher verschiebt nicht alles auf morgen, denn jeder einzelne Tag ist ein Geschenk und dieses sollte man nicht zurückweisen, indem man es nicht nutzt. Lebt jeden Tag als wäre es euer letzter und sorgt dafür, dass ihr jeden einzelnen Tag eures Lebens genießt, ganz egal, mit welchen Sorgen ihr euch konfrontiert seht, denn nur so kann man ein erfülltes Leben haben.

Oder wie ein Bekannter von mir immer zu sagen pflegt: Genießt das Leben ständig, ihr seit länger tot als lebendig.