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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Freitag, Juli 15, 2005

9 ½ Wochen

Viele von den Menschen, die einen näheren Umgang mit mir pflegen wissen, dass man mit mir über alles reden und man mich auch nicht durch persönlich treffende Witze, wenn sie denn gut sind, verärgern kann. Eins jedoch war und ist bis heute Tabuthema Nummer eins: Meine Zähne, oder wie sie kürzlich noch von einem sehr guten Freund in einem bösartigen Witz gennant wurden: Die Tropfsteinhöhle in meinem Mund.

Diejenigen, die mich nur flüchtig kennen, werden jetzt erstaunt sein, denn ich wußte dieses Manko bisher durch meine Mimik immer sehr gut zu kaschieren, was zur Folge hatte, dass man mir dieses Gebrechen nicht wirklich ansah.

Gebrochen ist dann auch etwas anderes und zwar nicht wie bei Maria Stuart in langer Kerkerschmach der edle Mut, sondern mein vorderster Backenzahn unten links und das ausgerechnet an einem Samstagabend beim Essen eines Würstchens im Brötchen. Mein allererster Gedanke, nachdem ich den Zahn in meinen Händen hielt war: Du hast dir schon von vielen Würstchen den Abend versauen lassen, aber an keinem hast du dir so die Zähne ausgebissen.

Zähneknirschend sah ich nun der Realität ins Auge und wußte, dass nun das Schiksal mich endlich dazu bringen würde den jahrelang aufgeschobenen, leidigen Termin beim Zahnarzt zu vereinbaren. Es ist schon ein seltsames Gefühl nach 15 jahren mal wieder eine Zahnlücke zu haben und wissend darum, dass meine genetische Ausgangslage bezüglich meiner Kauleisten auch nicht die beste ist, sah ich schreckliche Zeiten vor mir.

Anfang dieser Woche dann wurde mir der noch unterhalb des Zahnfleischrandes verbliebene teil meines Bruchstücks gezogen und heute ging es dann mit den nächsten 3 Kandidaten weiter, die nun ihrer (Er-)Füllung harren.

Beim heutigen Termin erfragte ich dan, mit welchem Umfang ich denn rechnen müsse und man sagte mir, dass es wohl in 15 Sitzungen zu schaffen sei. Bei zwei Sitzungen in der Woche und zwei Wochen Urlaub des Zahnarztes errechnete ich mir so eine Behandlungsdauer von 9 ½ Wochen, wobei zwischendurch auch noch die Weisheitszähne entfernt werden müssen. Ich hoffe natürlich, dass ich die Weisheit an sich behalte, da ich nicht möchte, dass diese Kolumne ab dem Zeitpunkt dann stumpfsinnig wird.

Irgendwie verstehe ich jetzt nicht mehr, warum ich so lange Zeit eine so große Angst vor dem Großprojekt hatte, da ich mich momentan auf jede einzelne Sitzung freue, da ich weiß, sie wird mich meinem lang ersehnten Traum ein Stückchen näher bringen. Ich freue mich schon riesig darauf auch einmal kraftvoll zubeißen zu können und mit einem strahlend weiße Lächeln die Menschen umschmeicheln zu können. Und obwohl mir auf der Bühne bisher immer attestiert wurde, dass meine Mimik “großes Kino” sei, so weiß ich, dass wenn ich nicht mehr kaschieren muss auch dort noch einen drauflegen werde. Und vor allem eins freut mich ganz besonders. Als Kind musste ich leidvoll feststellen, nicht zum europäischen Hochadel zu gehören, doch nun bekomme ich eine Krone. Und auch dem Aspekt in mir, der sich immer wieder für Völkerverständigung und Gemeinschaft einsetzt, wird Rechnung getragen und ich werde eine Brücke mein eigen nennen.

Aber was mich momentan besonders bewegt, ist die Tatsache, dass mein Selbstbewußtsein derzeit einen solchen Schub bekommt, da ich genau weiß, dass in Zukunft nicht mehr über dieses Thema hinter meinem Rücken gesprochen werden wird und keine Bekannte, die mich seit langem nicht mehr gesehen hat, das Gesicht leicht verzieht, wenn das Gespräch in Abwesenheit auf mich kommt um sich nach dem Stand meiner Zähne zu informieren, da dies für sie der bleibende Eindruck meiner Persönlichkeit war.

Und mit freudiger Erwartung freue ich mich dann auf das Ende von 9 ½ Wochen, denn dann werde auch ich in Begleitung vor dem Kühlschrank liegen, ungeniert meinen Mund aufreißen und mich füttern lassen, wie seinerzeit Kim Basinger.

Ich hoffe nur nicht, dass dieser Zeitplan dadurch aufgehalten wird, dass man in meinem Mund ein mittelalterliches Bollwerk ausgräbt wie am Chlodwigplatz, denn das wäre schade. Aber soweit ich weiß dürfte dies nicht zu erwarten sein.

2 Comments:

Blogger Kai in Köln said...

Hey Gratulation zur Entscheidung ... so was steht bei mir ja auch an... nur dass ich gerade wieder einen Zahnarzt verschlissen habe ;o)
Ich drück Dir jedenfalls die Daumen und wollte noch sagen: Auch wenn ich das mit Deinen Zähnen ja wusste, ich hatte bessere Themen, über die ich erzählen konnte :o)
Knuffels
Kai

11:48 AM  
Anonymous Anonym said...

Das ist lieb zu hören. Es freut mich auch riesig, dass viele mir zu diesem Schritt gratulieren und mir alles Gute wünschen...
Also: Packe ich jetzt das Übel bei der Wurzel.

2:03 PM  

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