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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Montag, Dezember 12, 2005

Erwachte Prinzessinen oder wie Dickens uns die Weihnacht versaut

Hatte gestern einen Anflug von vorweihnachtlicher Wehmut. Einerseits gibt es kaum Schlimmeres andererseits hat diese Stimmung auch Schönes. Doch zu einem Schluss bin ich gekommen. Das 19. Jahrhundert und insbesondere die Romantik hat uns, die wir uns die Erben dieser Epoche nennen können, das Leben ganz schön versaut. Nicht, dass ich nicht auch bisweilen gerne ein romantischer Träumer bin, jedoch wird mir das gerade in der Weihnachtszeit ganz deutlich bewusst.

Wenn ich an Weihnachten denke, dann entstehen vor meinem geistigen Auge eichendorff’sche Landschaften und dickens’sche Städte, verschneite Tannenwaldlichtungen, Eisblumen auf Domfenstern, aromatisch duftende, wohlgewärmte Stuben, ein Hauch von Seeligkeit in der Luft und sonstige archetypische Vorstellungen. Doch wenn ich dann auf die Weihnachtsfeste zurückblicke, die ich bisher erlebt habe, so muss ich feststellen, so schön diese auch waren, wurden sie dem dennoch nicht gerecht. Sie waren einfach zu…. zu…. weltlich, zu real, zu greifbar.

Auch andere Kulissen wie Liebe, Zärtlichkeit, Frühlingserwachen, Sommerabenteuer und was es sonst noch gibt, alles wird durch die Realität gewisser Maßen verklärt. Nichts ist so schön, wie man es sich denken kann. In solchen Momenten empfinde ich meine Phantasie als Geißel, da sie mein wirkliches Dasein in gewisser Weise stumpf erscheinen lässt und sich die Erwartungen, die man an die Empfindung von etwas stellt, nicht erfüllen und dann spiele ich in Gedanken durch, ob es nicht vielleicht besser sei, wenn man keine Phantasie hätte, es die Romantik nicht gegeben hätte, man als Kind keine Märchen erzählt bekommen und nie etwas von Prinzen, Einhörnern und Elfen gehört hätte.

Denn so gesehen ist das Gefühl während der Vorstellung immer wesentlich erfüllender als das Gefühl während des Erlebens. Jeder wird sich daran erinnern, dass der Nikolaus, als man noch an ihn glaubte nur dann wirklich interessant und ergreifend war, wenn er eben nicht da war. Stand er dann vor einem, ganz egal wie gut er inszeniert war, war es doch ein alter Mann in einem roten Gewand wie so viele andere. Kaum hatte er jedoch den Raum verlassen kam eben das Bild des Nikolaus wieder und er war wieder etwas Besonderes.

Was hat sich unser Schöpfer dabei gedacht? Warum schlägt er uns dieses Schnippchen des Denkens? Warum sind wir in der Lage uns etwas schöner vorzustellen als es ist? Ist dies nicht paradox, dass wir Dinge denken können, die wir nie erfahren haben? Gleich den platonischen Ideen schwebt uns etwas Perfektes vor, obwohl es dies weder gibt noch geben kann. Und dieser Mechanismus ist dann nicht nur auf die sinnliche Wahrnehmung begrenzt sonder weitet sich auf die Emotionen aus. Und somit schaffen uns die Szenarien, die uns eigentlich aus der Tristigkeit des Lebens herausreißen sollen, die prächtigsten Depressionen, da uns bewusst wird, dass sie nicht mehr sind als Seifenblasen, deren Glanz und Schimmer mit dem In-Kontakt-Kommen zerplatzt. Pitsch! Und man ärgert sich über die kleinen Tropfen auf der Brille, die man jetzt schon wieder sauber machen kann.

Und dennoch tun wir uns diese Enttäuschung immer und immer wieder an. Sei es im Kino, in der Literatur oder im Disneypark. Immer auf der Spur der Träume. Immer wieder wollen wir mit Alice durch den Spiegel hindurch ins Wunderland springen und immer wieder knallen wir mit der Stirn gegen die kalte Oberfläche, gehen zurück, nehmen erneut Anlauf und… Klonk! Ganz wie ein dummes Kind, das immer wieder auf die rote Herdplatte fasst, nur weil es nicht wahrhaben will, dass diese wirklich immer heiß ist. Immer mit dem tröstenden Gedanken: Beim nächsten mal klappt’s. Und das Einzige, was uns erfreut ist der Schmerz, wenn er nachlässt.

Welch großes Geheimnis der Welt sich doch darin widerspiegelt. Unser Verstand ist einerseits so genial, dass er durch kreative Energie der Phantasie Flügel verleiht und Unmögliches wahr werden lässt und im krassen Gegensatz dazu auf gut Deutsch zu bescheuert, zu realisieren, dass es eben nie so sein kann.

Doch genau diese Differenz, dieses kleine Stückchen unerfüllter Erwartung ist unser Antriebsmotor. Das Super-bleifrei des menschlichen Geistes. Der Grund weiterzumachen. Eben die Hoffnung.

Ohne diese würde kein Arzt auf dieser Welt jemals wieder sagen: „Der Nächste, bitte“, wenn er nicht dieses Fünkchen in sich tragen würde, welches ihm einflüstert: „Eines Tages schaffst du es einen Menschen vor dem Tod zu retten und diesen ganz aufzuheben.“ Wie die Möhre vor des Esels Antlitz am Stock so schweben auch unsere hausgemachten Täuschungen vor uns. Wir laufen ihnen nach und sind ihnen ganz nahe, können sie jedoch nie erreichen, doch würden wir dies in letzter Konsequenz begreifen, so blieben wir mangels Motivation stehen und wären selbst so überflüssig wie ein Kropf. Demnach ist also eben nur der Mensch der strebt, der, der lebt.


Somit schwelge ich jetzt in weihnachtlicher Vorfreude wissend, dass es garantiert nicht so romantisch wird wie ich es mir jetzt vorstelle. Aber wie heißt es so schön? Vorfreude ist die schönste Freude.