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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Freitag, Dezember 16, 2005

Gedanken im Jardin du Luxembourg

(Gastbeitrag von Chris)

Heute morgen kam ich spontan auf die Idee, etwas zu tun, was ich nun schon seit drei oder vier Wochen nicht mehr gemacht habe: Ich habe einen Blick in Bennys Kolumne geworfen; aus diesem "einen Blick" wurde dann aber sehr schnell eine ganze Stunde - eine Stunde, die wie im Flug verging und in der ich mich unbewusst einer unglaublichen Masse an unterschiedlichen Stimmungen und Strömungen aussetzte.

Zuerst habe ich den Gastbeitrag von Bennys Mutter gelesen, der mich so gerührt hat, dass ich mir meine Tränen in diesem Moment nicht verkneifen konnte. In ihrem Beitrag setzt sie sich mit einer Vielzahl von Dingen auseinander, die auch mich in den vergangenen Tagen hier in Paris sehr beschäftigt haben. Obwohl ich diese Floskel, dass jemand "einem aus der Seele spricht" eigentlich nicht mag, so muss ich an dieser Stelle zugeben, dass wohl kein anderer Spruch meine Empfindungen in Bezug auf ihren Beitrag besser beschreiben kann.

Es ist sehr selten, dass Menschen in einer solchen Form "Danke" sagen. Ein "Danke" für ein Geschenk, für das Anreichen des Salzstreuers am Frühstückstisch, für ein "Schönes Wochenende", für ein "Gesundheit" oder für einen Freundschaftsdienst, das sind die alltäglichen Formen des "Danke"-Sagens, die einem jeden von uns gut bekannt sind. Aber ein "Danke, dass es euch gibt!" ist ein ganz besonderes "Danke", ein "Danke" fürs Dasein, für die eigene Existenz, für die man eigentlich ja nichts kann.... oder doch? Mit einem solchen "Danke" ist natürlich nicht die körperliche Anwesenheit gemeint (denn sonst müsste man unseren Eltern danken), sondern es ist ein "Danke", was persönlicher nicht sein könnte, da es sich an die innere, eigene Persönlichkeit eines Menschen richtet, so wie er in diesem Augenblick für den Danksagenden existiert. Bennys Mutter richtet diesen Dank an uns als Bennys Freunde und verdeutlicht damit, dass wir in seinem Leben einen äußerst wichtigen Posten einnehmen. Ihre Worte erfüllen mich mit Wärme und Stolz und sprechen etwas aus, was man selbst wahrscheinlich wirklich positiv weiß, was man sich im Leben aber viel zu selten bewusst macht.

Gerade in den letzten Tagen und Wochen habe ich mir über diese Menschen, die Bennys Mutter in ihrem Beitrag erwähnt und die zum Teil ja auch meine Freunde sind, Gedanken gemacht. Ich habe mich gefragt, was das eigentlich für Menschen sind, wie ich sie eigentlich sehe und wie sie mich sehen, was bedeuten sie mir und was bedeute ich ihnen, was sind wir für eine Gruppe und warum genau sind gerade sie meine Freunde und keine anderen? Fragen über Fragen, die ich mir nur zum Teil beantworten kann und die ich wahrscheinlich niemals vollständig beantworten können werde. Auf den ersten Blick muss man sagen, dass wir eine Gruppe darstellen, deren Mitglieder verschiedener nicht sein könnten. Es sind die unterschiedlichsten Persönlichkeiten, jede auf ihre Art und Weise absolut bizarr, aber wahrscheinlich gerade deswegen so besonders. Manchmal denke ich, dass es sich um eine verrückte Mischung handelt, die nur deswegen funktioniert, weil jeder dem anderen ein angemessenes Maß an Respekt und Toleranz entgegenbringt und weil man sich so akzeptiert, wie man ist, mit allen Ecken und Kanten und mit allen liebens- und verachtenswerten Seiten.

Fraglich ist an dieser Stelle, was man persönlich für Erwartungen an die einzelnen Personen unserer Gruppe stellt und ob diese Erwartungen oder Hoffnungen, die man in eine Freundschaft investiert, von diesen Menschen erfüllt werden können. Hierzu eine kleine "Geschichte", die mich vor zwei Tagen absolut traurig gemacht hat, die aber heute, aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, fast schon wieder lustig erscheint:

Am 13.12. diesen Jahres, also vor zwei Tagen, wurde ich 24 Jahre alt. Wie das an einem Geburtstag so ist, bekommt man von allen möglichen und unmöglichen Seiten SMS, Briefe, Anrufe und Emails mit netten Worten, Glückwünschen, Gratulationen etc. In diesem Jahr verbrachte ich meinen Geburtstag studienbedingt in Paris, ich war also nicht zu Hause und hatte daher auch keine Möglichkeit, eine kleine Party zu geben und Leute zu mir einzuladen. Dennoch war ich überrascht, wer alles an mich gedacht hat. Es waren sogar Menschen darunter, die ich eigentlich eher weniger leiden kann und über deren Gruß ich mich umso mehr gewundert habe. Im Laufe des Tages trudelten Grüße aus allen möglichen Orten dieser Erde ein, so dass ich das Gefühl hatte, dass unsere Welt wirklich klein ist. Eine Freundin, die zur Zeit eine Rundreise durch Nicaragua macht und von der ich glaubte, sie sei im Dschungel verschollen, hat extra ein Hotel aufgesucht, um mir eine E-Mail zu schreiben, meine Großeltern haben es irgendwie geschafft, mir eine Geburtstagskarte nach Paris zu schicken, die trotz der hier absolut unberechenbaren "la poste" auf den Tag genau eintraf und meine früheren Kolleginnen, mit denen ich während meiner Schulzeit in einer Bäckerei zusammengearbeitet habe, riefen mich kollektiv an, um zu gratulieren... irgendwann im Laufe des Tages fiel mir auf, dass sich aus meinem "schwulen Freundeskreis" noch niemand gemeldet hatte. Allerdings beunruhigte mich das nicht wirklich, da ich mir zu diesem Zeitpunkt noch sicher war, dass sie mich nicht vergessen würden. Für den Abend hatte ich ein paar Leute eingeladen und gegen 19 Uhr wurde ich dann doch nervös, da sich immer noch niemand gemeldet hatte und da auch das mir von Benny täglich per E-Mail zugeschickte "Türchen" meines virtuellen Adventskalenders bisher ausgeblieben war. Nun fing ich an, mir die unglaublichsten Dinge auszumalen. Mir kam es beinahe verdächtig vor, dass sich noch niemand gemeldet hatte und ich kam auf die Idee, dass das irgendeinen bestimmten Hintergrund haben könnte... vielleicht wollten sie mich überraschen und mich hier in Paris besuchen??? Das konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen, aber irgendwie wollte ich für diesen äußerst außergewöhnlichen Fall vorbereitet sein (denn generell kann man meinen Freunden derartige Aktionen durchaus zutrauen!). Daher flitzte ich noch schnell aus dem Haus in den gegenüberliegenden Supermarkt und erweiterte meinen Lebensmittelvorrat um einige Pizzen, Brot, Käse, Salat und zusätzliche Getränke. Irgendwie kam ich von diesem Gedanken nicht mehr los und ich malte mir aus, in welchen Personen-Konstellationen meine Freunde hier auftauchen könnten, wer wahrscheinlich nicht mitkommen könnte etc... einmal hatte ich sogar die Idee, dass Benny mit seiner Mutter kommen würde, wie gesagt, ich hatte die verrücktesten Gedanken. Wer mich kennt weiß, dass das bei mir auch keine Besonderheit ist, eher der Normalfall. Nun, natürlich kam kein "unerwarteter Besuch", allerdings kam auch keine E-Mail, kein Anruf, keine SMS und in den nächsten zwei Tagen auch kein Brief (wobei man hier bzgl. der Adresse auch meinen Bruder hätte fragen müssen, der mir sagte, dass niemand ihn nach der Adresse gefragt hat). Bevor ich dann nach der Party ins Bett gefallen bin, habe ich noch beunruhigt im Internet nachgeschaut, ob irgendwo ein schwerer Unfall passiert ist oder ein germanwings-Flieger abgestürzt ist. Hier war ich dann zumindest beruhigt, dass sich nichts dergleichen ereignet hatte. Als ich dann am nächsten Tag von Benny das verspätete "Türchen 13" sowie "Türchen 14" erhielt und er mir auch eine kurze Mail geschrieben hatte, in der er meinen Geburtstag nicht erwähnte, wurde mir klar, dass dieser Tag schlichtweg vergessen worden war.

Und nun? Mir gingen in den vergangenen zwei Tagen 1000e Gedanken durch den Kopf und ich habe mich daher auch gefragt, was ich eigentlich von Freunden erwarte. Muss man ein gayromeo-Profil haben, damit die Freunde anhand der Änderung der Altersangabe erkennen, dass es "soweit" ist? Sicher nicht. Ein Geburtstag ansich bedeutet mir im Prinzip nicht viel, materielle Werte in Form von Geschenken schon gar nicht. Ich könnte auch ohne diesen Tag das Jahr sehr gut überstehen und würde dabei nichts vermissen. Dennoch ist es natürlich so, dass man weiß, dass an diesem Tag, der ja auch manchmal als "Ehrentag" bezeichnet wird, die Menschen besonders an einen denken und daher rechnet man auch damit, dass sich Freunde, Familienmitglieder, Arbeitskollegen und Bekannte auf irgendeine Art und Weise melden. Für mich persönlich ist es gerade in meiner momentanen Verfassung das schönste Geschenk zu sehen oder zu merken, dass Menschen, die mir nahe stehen, an mich denken. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, so erinnere ich mich, dass mein Geburtstag immer ein ganz besonderes Ereignis war. Obwohl mein Bruder drei Jahre später am selben Tag zur Welt kam und wir uns daher oft "größere" Geschenke, wie eine Lego-Ritterburg oder eine Stereo-Anlage teilen mussten, habe ich mich stets sehr darauf gefreut und mir oft sogar einen eigenen "Warte-Kalender" gebastelt, der mir die letzten Tage bis zum 13.12. das Warten erleichterte (zu meinem Bruder kann ich aus heutiger Sicht natürlich sagen, dass er das schönste Geburtstags-Geschenk ist, was meine Eltern mir jemals machen konnten - meinen 3. Geburtstag werden sie wohl daher nie übertreffen können). Heute hat der Geburtstag viel von seinem Zauber verloren und an dieser Stelle muss ich mich Bennys Kritik aus seinem Beitrag "Erwachte Prinzessinnen oder wie Dickens uns die Weihnacht versaut" anschließen, denn auch dieser Tag wird in der heutigen Zeit zumindest für einen erwachsenen Menschen oft zu einem "übermaterialisierten" und stressigen Tag, an dem man nicht dazu kommt, zu sich selbst zu finden und sich selbst wirklich wertschätzend zu behandeln. In einer eher "depressiv angehauchten Phase" am gestrigen Tage begegnete mir ein Musiktitel, der mit den folgenden Zeilen begann:

Wenn dich alles verlassen hat, kommt das Alleinsein.
Wenn du alles verlassen hast, kommt die Einsamkeit.

Ich überlegte daraufhin, mit welchem dieser beiden Übel ich mich nun in Zukunft herumschlagen muss: Mit dem "Alleinsein" oder mit der "Einsamkeit"? Ziemlich schnell kam ich aber zu dem Entschluss, dass mich keines von beiden quälen wird, tatsächlich möglich wäre nämlich nur die "Einsamkeit" und in diesem Fall wäre ich es selbst schuld, folgt man dem Inhalt der o. g. Zeilen. Meine Freunde würden mich nicht verlassen und warum sollte ich etwas dergleichen tun? Weil mein Geburtstag vergessen wurde? Unsinn. Im Prinzip ist es eine Kleinigkeit, auch wenn es an dem Tag selber schmerzt. Zu Toleranz und Respekt gehört auch die Fähigkeit zu verzeihen und nicht wegen irgendwelchen eigentlich unwichtigen Dingen nachtragend zu sein.

Dennoch können Respekt, Toleranz und die Fähigkeit, Fehler zu verzeihen, ja nicht alles sein, was uns zu einem Kreis macht, der von Bennys Mutter zutreffend und witzig als "Humanität Im Verbund" bezeichnet wird. Da muss noch mehr sein, ein noch wichtigeres Band, welches uns alle verbindet. Und hier komme ich dann zu dem Entschluss, dass wir doch nicht so unterschiedlich sind, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint. Eine sehr gute Freundin von mir hat einmal zu mir gesagt, dass jeder sein "Päckchen zu tragen" habe und damit hat sie verdammt recht. Was uns vor allem verbindet ist die Tatsache, dass jeder das "Päckchen" des anderen kennt und in der Lage ist, zu bemerken, wann dieses "Päckchen" vielleicht zu schwer für den Einzelnen wird, wann also eingegriffen werden muss. Ein Päckchen kann eine kleine oder eine längere Strecke auf dem Lebensweg von zwei oder mehr Personen getragen werden oder man kann eine Pause einlegen - eine Pause, in der ein anderer dein Päckchen so lange festhält, bis du wieder zu Kräften gekommen bist und wieder selbst übernehmen kannst. Ich behaupte, dass manche von uns den Inhalt ihres Päckchens nicht so genau kennen (das ist auch nicht verwunderlich, denn am Hinterkopf hat man gewöhnlich keine Augen und was man auf dem Rücken trägt, kann man daher schlecht fortwährend betrachten). Es ist aber nicht schlimm, wenn man den Inhalt seines eigenen Päckchens nicht genau kennt, denn es reicht vollkommen aus, wenn die Freunde wissen, was drin ist.

Als ich das letzte Mal in Köln war, habe ich einen Menschen kennengelernt, der mich auf eine gewisse Art und Weise verzaubert hat. Als er mir von seiner momentanen Situation erzählte, beschrieb er sein Leben als Baustelle. Eigentlich ist jedes Leben eine dauernde Baustelle, mal wird mehr gebaut und mal weniger. Aber eine solche Baustelle kann zu keiner Zeit etwas Negatives sein. Wo gebaut wird, entsteht etwas Neues. Freunde können helfen, damit das Bauwerk schneller fertig wird, oder man baut einzelne Teile lieber alleine, das ist ganz normal. Eine Freundschaft macht es aber aus, dass Menschen wissen, welche Schwächen der Baumeister hat und wo sie diesem mit Rat und Tat zur Seite stehen können. Wer ein Haus mit einer porösen Wand baut, ist nicht ausreichend gegen Angriffe von außen geschützt und wer in sein Haus trübe Fenster einsetzt, kann nicht sehen, was draußen passiert. Freunde helfen einem auf der Baustelle und ich glaube für mich, dass mein Haus wunderschön werden kann.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch an Bennys Beitrag "Immer wenn ein Glöckchen klingelt, bekommt ein Engel seine Flügel" anknüpfen. Hier beschreibt Ben den Inhalt eines Filmes, in dem ein Mann, der sich wünscht, nicht geboren worden zu sein, die Chance bekommt, zu sehen, wie "sein" Leben ohne seine Existenz ausgesehen hätte. Übertrage ich nun diesen Gedanken auf uns, so wird klar, dass es unmöglich ist, einen Einzelnen aus unserer Gruppe hinwegzudenken. Jeder hat auf seine Art und Weise zu dieser besonderen Freundschaft beigetragen und erst die isolierten Verursachungsbeiträge des Einzelnen haben uns in dieser Konstellation zusammengeführt, in der wir uns heute befinden. Jede Handlung, jede gemeinsame Unternehmung oder Unterhaltung, jede Diskussion und sogar jeder Streit führte zu dem, was wir heute sind. Jeder hat seine eigene Rolle, wenn auch nie ganz klar ist, welche Rolle das genau ist. Es ist auch unwichtig.

Es ist seltsam, welche Gedanken mich im Moment beschäftigen. Ich habe das Gefühl, noch nie in meinem Leben so in mich gekehrt gewesen zu sein und so ruhig und klar und befreiend über einzelne Dinge nachgedacht zu haben. Paradox eigentlich, da ich mich im Moment in einer Phase befinde, in der auch auf meiner Baustelle besonders viel gebaut wird: Ich bereite mich auf die Examensprüfungen meines Studiums in Deutschland vor, lerne nebenbei für meine Prüfungen hier in Frankreich, kann manchmal nachts nicht einschlafen, da mir meine drei Geschwister Sorgen machen und uns vielleicht in den nächsten Wochen ein Umzug bevorsteht, schlage mich mit meinem Gewerbe, dem Finanzamt und meiner Steuerberaterin herum und muss nebenbei für drei Personen finanziell wirtschaften, was mich zugegeben manchmal maßlos überfordert. Neben meinem momentanen Aufenthaltsort, der auf mich aufgrund zahlreicher für mich neuer Dinge, wunderschönen Parks und vielfältigen Mentalitäten auf eine mir bisher unbekannte Art und Weise inspiriert, trägt auch Bennys virtueller Adventskalender maßgeblich zu meiner momentanen emotionalen Situation bei; jedes Zitat regt mich zum Nachdenken an und erlaubt mir, bekannte Sachverhalte mit neuen Gedanken oder aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Ich fühle mich gedanklich frei und das ist ein Gefühl, was mir in den vergangenen Jahren fremd geworden ist. Ich kann mich zum Beispiel nicht daran erinnern, jemals das Bedürfnis gehabt zu haben, meine Gedanken oder Gefühle bezüglich eines bestimmten Menschen in Form eines Gedichtes niederzuschreiben. Ein Gedicht zu schreiben liegt mir normalerweise ebenso fern wie die Idee, dass ich mich irgendwann in meinem Leben einmal als Spieler auf einem Fußballplatz wiederfinden könnte. Nun habe ich gleich zwei geschrieben, beide für den Menschen, den ich seit meinem letzten Köln-Aufenthalt nicht mehr vergessen kann. Ich habe keine Ambitionen, mit diesen Gedichten irgendetwas zu erreichen, diesen Menschen zu beeindrucken oder gar zu "erobern", im Gegenteil. Ich habe akzeptiert, dass ich nicht das bekommen werde, was ich mir im Moment vielleicht wünschen könnte; dennoch finde ich, dass es etwas ganz Besonderes ist, wenn ein Mensch ein Gedicht nur für einen anderen schreibt. Es ist ausschließlich persönlich und hat keinen anderen Bezug als den, den es haben soll. Es ist ein Geschenk, ganz egal mit welchem Motiv oder mit welcher Intention. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, beide Gedichte an dieser Stelle einzufügen:

Warten

Ich schaue aus dem Fenster - es ist Herbst;
die Blätter an dem Baum vor unserem Haus sind bunt, aber noch zahlreich vorhanden.

Ich warte.

Ich lese, recherchiere und subsumiere,

ich warte.

Ich lausche den Klängen von Schiller,

ich warte.

Ich trainiere, gehe spazieren und einkaufen,

ich warte.

Ich schaue in mein E-Mail-Postfach,

ich warte.

Ich rede, höre zu und gebe Rat,

ich warte.

Ich gehe schlafen, träume und erwache,

ich warte.

Ich gebe der Katze Futter, streichele sie und muss niesen,

ich warte.

Ich denke nach, erkenne und weine,

ich warte.

Ich schaue aus dem Fenster - es ist Herbst;
der Baum vor unserem Haus trägt nur noch wenige Blätter. Bald ist Winter.

Und ich warte.

für S., 6.12.2005


Einst lauschte ich einem leisen Lied,
sanfte Töne, geheimnisvoll und doch vertraut -
ich versuchte, mich an die Melodie zu erinnern,
aber ich war zu weit entfernt.
Eines Tages hatte ich diese Klänge wieder vergessen.

Einst kostete ich von einer Speise,
süß und vollmundig, ein wahrer Genuss -
ich versuchte, dieses Rezept nachzuahmen,
aber die Zutaten waren mir fremd.
Eines Tages hatte ich diesen Geschmack wieder vergessen.

Einst streifte mich eine sanfte Brise,
warm und weich, eine Wohltat für meine Haut -
ich suchte den Ort, an dem ein solcher Wind weht,
aber ich konnte ihn nicht finden.
Eines Tages hatte ich diesen Wind wieder vergessen.

Einst erblickte ich einen Schmetterling,
bunt und leuchtend tanzte er anmutig durch die Luft -
ich versuchte, ihn einzufangen um ihn zu behalten,
aber es misslang, zu schnell war er wieder verschwunden.
Eines Tages hatte ich seinen Anblick wieder vergessen.

Einst ersuchte mich ein komisches Gefühl,
eine Mischung aus Wärme, Nähe, Neugier und Lust -
Ich versuchte, dieses Gefühl weiter zu ergründen,
aber bisher ward mir keine Möglichkeiten gegeben.
Und doch kann ich dieses Gefühl nicht vergessen!

für S., 14.12.2005

Meine Gedanken, die durch meine momentane Situation, durch die bewegenden literarischen Beiträge von Benny und seiner Mutter und durch die Ereignisse in den letzten Tagen und Wochen geprägt wurden, führen mich letztendlich zu dem Schluss, dass ich mich den Worten von Bennys Mutter uneingeschränkt anschließen kann: Ich liebe meine Freunde und was kann diese Liebe besser ausdrücken als die schlichte aber bedeutungsvolle und wahre Aussage: "DANKE, dass es euch gibt!" Mit Sicherheit wird es in naher Zukunft wieder einige Dinge geben wird, die Einzelnen von uns Schwierigkeiten bereiten werden, aber ich habe davor keine Angst. Im Grunde wird sich nämlich nichts an unserer Situation ändern.

Denjenigen von euch, die ich zwischen meiner Rückkehr aus Paris und den Feiertagen - gleich aus welchen Gründen - nicht mehr sehen werde, wünsche ich ein wunderschönes und besinnliches Weihnachtsfest!

Gleiches wünsche ich natürlich auch Bennys Mutter, mit der ich oftmals nur "mittelbar" kommuniziere, was aber im Prinzip keinen Unterschied macht, denn wie sie meiner Meinung nach ganz richtig erkannt hat: Es gibt keine Entfernung für die Strömungen von Mensch zu Mensch! Für Barbara Streisand habe ich leider absolut überhaupt nichts übrig, allerdings spielt das auch gar keine Rolle. Wie wir uns berühren lassen, ist vollkommen gleichgültig; wichtig ist nur, dass wir es überhaupt zulassen.

Alles Liebe,

Chris