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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Sonntag, August 28, 2005

Negative Einstellungen zu positiven Neuigkeiten

Ich weiß nun seit etwa vier Wochen, dass ich HIV positiv bin und gehe damit ganz offen um und erwähne es auch immer während des Chattens, was oftmals dazu führt, dass viele sich dann nicht mehr auf Sex einlassen wollen. Dennoch mag ich diese Gespräche, denn so bekomme ich die Möglichkeit, dass ich Menschen zum Nachdenken anregen kann und es sind oftmals sehr tiefgreifende Chats, die aus dieser Situation entstehen, hierbei sei angemerkt, dass das Unwissen zum Teil verherend ist und ich bin wirklich entsetzt wie wenig viele doch über ein so brisantes Thema wissen.

Doch das Anliegen meines heutigen Beitrages ist es, dich, mein werter Leser, einmal kurz innehalten zu lassen und dir einige Fragen zu stellen, die deinen persönlichen Umgang mit diesem Thema betreffen.

Zu jedem Thema gibt es auch Utopien, die eine bessere Zukunft versprechen. Weshalb ich aufzeigen will, dass wir gerade, was HIV betrifft einer “brave, new world” im wörtlichen Sinne noch ziemlich fern sind.

Vorab sei jedoch gesagt, dass sich dieser Beitrag nicht gegen persönliche Entscheidungen richtet und ich diese Personen “verurteilen” möchte. Es ist nunmal ein Gebiet, das zu intim ist, um dort einen moralischen Ansatz zu machen, da es hier um Emotionen wie Angst oder besser Furcht geht. Dennoch gibt es auch hier Kausalitäten und mir liegt es am Herzen, dass man sich wenigstens vor Augen führt, dass man individuell gesehen zwar gute Gründe haben kann, sich jedoch auch bewußt sein sollte, dass wenn alle sich so verhalten, die Ausgangssituation paradoxerweise genau das heraufbeschwört, was man eben nicht will und man ebenso wie Ödipus dem Schiksal, dem man entgehen will in die Arme läuft.

Du bist selber negativ und hast auch keine Berührungsängste mit Positiven?

Prima, du hast den Soll-Zustand schon erreicht und kannst eigentlich aufhören zu lesen.

Du bist positiv und gehst ganz offen mit dem Thema um?

Ebenso prima, auch du bist nicht Zielgruppe des folgenden Textes.

Du bist negativ und hast ein Problem damit Kontakt oder gar Sex mit Positiven zu haben?

Ok, dies kann ich nachvollziehen. Jedoch sei dir gesagt, dass du wahrscheinlich schon oft Sex mit Positiven hattest, ohne es zu wissen, denn eins steht fest: Wenn jeder Positive hier bei Gayromeo einen roten Rahmen um sein Profil bekäme, man könnte schwerlich noch von einem “blauen Einwohnermeldeamt” sprechen. Dieses Thema betrifft nun einmal uns alle und nur weil wir es nicht sehen, heißt dies nicht, dass wir davor gefeit sind. Wer dies glaubt ist nicht reifer als ein Kind, das sich die Augen zuhält in dem Glauben, man könne es nicht sehen, wenn es selbst nicht mehr sieht.

Stellst du dich denn deinen Ängsten? Warum nicht? Glaubst du wirklich, dass diese vielleicht eines Tages über Nacht verschwinden, ohne, dass du etwas dafür getan hättest? Ich denke, dass man ein Problem nicht löst, indem man die Augen davor verschließt, sondern eben nur, wenn man sich diesem Problem gegenüberstellt.

Und was bewirkt dein Weglaufen denn? Es bewirkt im großen Rahmen gesehen, dass konsequenterweise die Zahl derer, die so ehrlich sind und dich über ihren Status aufklären bevor es zu sexuellen Kontakten kommt, immer weiter abnimmt, da sie ja nicht auf Sex mit dir verzichten wollen.

Somit ist deine Ablehnungshaltung de facto eine Aufforderung zur Lüge, so hart das auch klingen mag im Einzelfall, so ist es doch im größeren Kontext betrachtet der einzig logische Schluss.

Du bist positiv und versteckst dich oder behauptest gar du seist negativ?

Wenn zweiteres auf dich zutrifft, solltest du generell einmal deine moralischen Maßstäbe überprüfen. Wenn ersteres auf dich zutriff, so kann ich dies ebenfalls gut verstehen, jedoch ist es genauso paradox wie die Ablehnungshaltung einiger Negativen dir gegenüber.

Auf was wartest du? Darauf, dass die Gesellschaft sich ändert? Wieso sollte sie das tun, wenn man das Problem nicht sieht? Sollte es nicht gerade dir als Betroffenem ein Anliegen sein, dass man dich endlich wahrnimmt? Ist es nicht um ein vielfaches schwerer, wenn denn mal ein Unfall passiert ist, es im Nachhinein zu sagen, um den anderen wenigstens zu warnen und ihm die Möglichkeit einer sofortigen Präventionsmaßnahme zu geben? Oder würdest du dies dann immer noch verschweigen und somit den Ruf des Positiven als “Mörder” zu unterstützen?

Überlege einmal, was passieren kann, wenn du es vorher erwähnst. Es kann sein, dass du eine Abfuhr bekommst, was du jedoch so auch oft genug tust. Aber es ist doch im Grunde genommen egal, ob du nun zu dick/dünn, groß/klein oder eben zu positiv bist. Wenn jedoch alle mit diesem Thema offen umgingen, dann würde es langfristig auch für viele Negative kein Problem mehr darstellen, da es ein Alltagsthema wäre, mit dem jeder gelernt hat umzugehen. Klar ist dies momentan noch sehr utopisch, jedoch wird es das auch bleiben, wenn wir nicht bereit sind Mut zu zeigen und etwas in gang zu setzen. Wir sollten uns ein Beispiel nehmen an den Schwulen in der Christopher Street. Hätte es sie und all die späteren Aktivisten nicht gegeben, könnte man heute noch nicht händchenhaltend als schwules Paar durch die Straßen ziehen, was man ja leider auch noch nicht überall kann.

Mir ist sehr wohl bewußt, dass dies für jeden ein schwerer Schritt ist, jedoch zeigt mir meine Erfahrung und die Gespräche der letzten Wochen, dass die Tabuisierung mit steigendem Alter abnimmt und dieses Thema für viele ältere Betroffene als auch Nicht-Betroffene längst zum Alltag gehört. Man steht HIV mit Respekt jedoch nicht mehr mit Angst gegenüber, da man gelernt hat, damit zu leben, sei es weil man es aufgrund einer Diagnose musste oder es eben tat, weil man eingesehen hat, dass weglaufen nichts bringt.

Nichts auf dieser Welt passiert einfach so und daher kann ich nur jedem Einzelnen ans Herz legen, dass er bedenkt, dass sich nur dann etwas verändert, wenn man bereit ist, selbst auch seinen Teil dazu beizutragen.

Wenn ein Dominostein umfällt mag das albern aussehen und nichts bewirken, jedoch hat uns der Dominoday mit seinen jeweiligen Rekordversuchen gezeigt, welch herrliche Bilder und Effekte man erreicht, wenn alle Steine liegen.

Sei nicht der Stein außerhalb der Kette, der nachher nicht im “Bilde” ist, es wäre schade – und zwar für dich!