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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Sonntag, August 21, 2005

Eine Woche voller Sonntage – abschließender Kommentar

So, nachdem ich mich in den letzten Tagen und ganz besonders gestern in diversen Chats mit Mitusern gestritten habe und versucht habe meine Ansichten zu begründen und zu verteidigen, werde ich nun einen abschließenden Kommentar zum Weltjugendtag 2005 in Köln verfassen, indem ich mich gerade auf die letzten Tage stützen werde.

Ich war und bin sehr ergriffen von diesem Großereignis, das sich der Weltöffentlichkeit geboten hat: Der Papst, 800 Bischöfe, 10.000 Priester und ca. eine Million Gläubige aus fast 200 Nationen auf 5 Kontinenten zu einem einzigen Ereignis zusammenzurufen ist eine beachtliche Leistung, die wir überwiegend unserem ehemaligen Papst Johannes Paul II. zu verdanken haben, auf den sich der aktuelle Papst auch immer wieder bezogen hat und somit verdeutlicht hat, dass er in seinem Sinne eine gewisse Kontinuität anstrebt.

Wenn auch das Wetter in der letzten Nacht die Gläubigen sehr gefordert hat und das Marienfeld in eine Szenerie verwandelt hat, die der von Woodstock glich, so denke ich doch, dass es eben für diese dort versammelte Jugend ein Erlebnis besonderer Qualität war.

Ausgehend vom Marienfeld komme ich nun zu einigen auffallenden Symbolen dieses Wochenendes und damit meine ich jetzt nicht die Tatsache, dass sich unter einem zugeschütteten Tagebau eine braune Vergangenheit versteckt. Vielmehr fand ich es wunderbar, dass man für den Altarhügel die Erde aus 70 Nationen verwendet hat und ebenso ergriffen war ich von der Verteilung des Logos zum Abschluss des Weltjugendtages, um dies in alle Teile der Welt zu transportieren, was ja an sich schon durch die Medien geschehen ist. Hierbei sei kurz angemerkt, dass ich nun offiziell weiß, dass ein Segen, den man in einer Live-Übertragung sieht im Gegensatz zu dem Segen in einer Maz volle Gültigkeit besitzt und so gewertet werden darf, als sei man direkt dabei gewesen. Auch die musikalisch-weltumspannende “Missa Mundi” hatte für mich einen Symbolcharakter, der seinesgleichen sucht. Wobei mir auch sehr gut gefallen hat, dass man in der Vigilfeier mittels des Klarinettenstücks eine Brücke geschlagen hat vom “Ave Maria” zurück zu den Wurzeln und eines langjährigen Kokurrenten des Christentums dem Judentum, jedoch werde ich auf dieses Thema später noch zu sprechen kommen.

Selbst Papst Benedikt – anfänglich noch in der gewohnten Zurückhaltung – war zum Ende hin doch dem Charisma seines Vorgängers entgegengekommen, ohne jedoch seinen intellektuellen Anspruch zu verlieren. Und teilweise hat er es sprachlich sehr gut geschafft seine Botschaft den jungen Menschen und der modernen Welt zu verdeutlichen, was ganz besonders zu Beginn der heutigen Predigt zu erkennen war, wo er sich zur Erklärung der Wandlung auf das allegorische Feld der Wissenschaften begab und von “Kernspaltung”, “Explosion” und “Ketten der Verwandlung” sprach.

Allerdings gab es auch einige Formulierungen in den letzten Tagen, die mich als bekennenden Kritiker zum Nachdenken angeregt haben. Im Zusammenhang mit der Eucharistie als Wandlung und veränderndem Bestandteil des Glaubens, äußerte er den Satz: “Alle Menschen warten auf Veränderung.” Dies ist meines Erachtens eine sehr richtige Einschätzung der Ansprüche, die die Kirchengemeinschaft als auch Menschen außerhalb dieser Gemeinschaft heutzutage an die Amtskirche stellen. Die Frage stellt sich allerdings, ob die römisch-katholische Kirche diesem Anspruch schon gerecht wird.

Schauen wir uns doch die “Große Familie Gottes”, von der die Rede war, einmal genau an und überprüfen, ob diese all jene mit einschließt, die in dem letzten Satz der ersten Lesung (Jes. 43,7) ihre Erwähnung finden, der da lautet: “Denn jeden, der nach meinem Namen benannt ist, habe ich zu meiner Ehre erschaffen, geformt und gemacht.”

Bevor ich eben später zu dem Verhältnis zu Außenstehenden kommen werde, versuche ich zuerst einmal zu ergründen, ob denn in diesen Kreis alle getauften Katholiken mit inbegriffen sind. Doch ich muss nicht lange suchen, um die ersten schwarzen Schafe der Herde zu finden. Denn wie schon erwähnt wurde sind es zum Beispiel die Geschiedenen, aus welchen Gründen sie auch immer zu diesem Entschluss gekommen sein mögen und wie man gesehen hat, gibt es sehr wohl gute Gründe dafür. Diese werden durch den Ausschluss aus der gemeinschaft gestraft bzw. dürfen nicht mehr die heilige Kommunion empfangen, wenn sie eine neue Partnerschaft eingehen, obwohl doch der Papst deutlich sagte, dass ‘die Einheit sich in der Vergebung und der Einsicht für die Nöte Anderer zeigen muss’. Doch auch der zweite Teil dieser Aussage stimmt nicht ganz. Denn ferner hat er gesagt, dass man “an den Leiden nicht vorbeigehen” soll, jedoch verschließt er sich ganz und gar dem Leiden der HIV-Kranken in Afrika, denen er eine vielleicht rettende Prävention verbietet und lieber nachher Spenden sammeln lässt, wenn die Krankheit ihren Tribut gefordert hat und die Versorgungskosten in die Höhe schnellen.

Ebenso wird eine weitere Gruppe kategorisch verneint, obwohl sie in den eigenen Reihen der Kleriker sehr stark vertreten ist. Man verneint, dass Liebe eben keine geschlechtlichen Grenzen kennt und dass obwohl man sich wünscht, “dass die Liebe das beherrschende Maß der Welt werde”. Im Gegensatz dazu rät man den Liebenden zu Heilung und Unterdrückung der eigenen Gefühle.

Man dürfte jetzt eigentlich meinen, dass diese Ansichten per se irrelevant seien, da der Kleriker an sich ja aufgrund des Zölibats keine Ahnung von Trieben hat und daher auch zur Sexualmoral schweigen sollte. Ein Trost, den sich viele einreden. Jedoch ist dem leider nicht so, denn viele wissen genau wovon sie da sprechen, was die allbekannten Sexualstrafprozesse zeigen und was weiterhin durch das schon offene Geheimnis untermauert wird, dass man, wenn es nicht an die Öffentlichkeit kommt, sogar Alimente von der Diözese bezahlt bekommt.

Aber dies muss man dem heiligen Vater eingestehen: Er hat zumindest angedeutet und dies mehrfach, dass auch die Geistlichkeit nicht unfehlbar sei und dass es innerhalb der Amtskirche auch “Unkraut” gibt. Jedoch hat er dies in einen historischen Kontext gestellt, was dem Ganzen wieder eine gewisse Relativierung zuteil werden lässt. Wobei, wenn man den Gedanken in die Zukunft transferiert, man auch akzeptieren muss, dass heute geltende Dogmen, morgen auch schon zum “Unkraut” gehören könnten. Aber er hat ja auch indirekt zum Ausdruck gebracht, dass er sich eben nicht mehr entschuldigen müsse, da dies ja sein Vorgänger schon getan hätte, womit er dann auf die Schrift “Mea Culpa” anspielt, die wahrlich eine Entschuldigung war, jedoch nur für einen Teil der Opfer. Zudem wurde eben jene Veröffentlichung damals durch eine zweiteSchrift sehr schnell wieder relativiert, da “Dominus Iesu” etwa ein halbes Jahr später, die römisch – katholische Kirche wieder zur einzig wahren Religion erhob.

In seinem Stück “Nathan der Weise” eingebettet, hat Lessing uns eine wunderschöne Sichtweise aufgezeigt, wie man die Weltreligionen einzuschätzen habe. Die Ringparabel ist für meine Sicht jedoch dahingehend nicht ganz korrekt, dass sie davon ausgeht, dass eine der drei Religionen die Echte und Wahre sei, wenn sich auch nicht mehr herausfinden lässt, welche dies ist. Meine Weltanschauung lässt es leider nicht zu, dass man im Gebiet des Glaubens überhaupt die kategorialen Begrifflichkeiten “richtig” und “falsch” objektiv anwenden kann. Ich denke vielmehr, dass jeder seinen “richtigen” Glauben in sich trägt und daher sein Weltbild und seinen erkenntnistheoretischen Ansätze selbst mitgestalten können sollte. Ich würde an dieser Stelle nicht so weit gehen wie ein Freund, der behauptete Kirche sei die Vergeißelung der Seele all jener, die etwas zu glauben brauchten und denen die Wahrheit nicht passte, denn dann würde ich meine Sichtweise ebenso wie die Amtskirche anderen Perspektiven gegenüber erhöhen. Jedoch hat er insofern recht, dass sehr viele Mitglieder der Kirchengemeinde ihren Glauben nicht reflektieren, sondern einfach das nachbeten, was Rom ihnen vortanzt und eben nicht im kantschen Sinne aufgeklärt sind, da sie noch immer in ihrer von außen auferlegten Unmündigkeit gefangen sind.

Und dadurch, dass ich mir einen eigenen Glauben und ein subjektives Weltempfinden entwerfe wird Religion noch lange nicht zum “Marktprodukt”. Die großen Religionen unserer Welt sind sehr wichtig, da sie die menschlichen Werte definieren und bewahren und selbst ein Weltbild wie das meinige, dass sich klar von der Amtskirche distanziert, ist in diesen Werten verwurzelt und konnte nur durch eben jene entstehen. Und auch muss ich feststellen, dass es nicht stimmt, dass “selbstgesuchte Religion [...] uns in der Stunde der Krise allein [lässt]”.

Aus genau diesen Gründen mag ich es nicht, wenn sich die katholische Kirche anmaßt gegenüber anderen Glaubensrichtungen (selbst innerhalb des Christentums) einen Hegemonialanspruch zu haben und die einzig Wahre Kirche zu sein, denn somit stellt sie sich als religiöse Herrenrasse dar. Sie sollte vielmehr akzeptieren, dass sie eine unter mehreren ist, anstatt sich ständig über die anderen zu erheben.

Jetzt mag der Widerspruch kommen, der mir auch schon in einem Chat zugetragen wurde, dass doch der Papst gerade an diesem Wochenende Türen geöffnet habe zu anderen Religionen. Jedoch kann man nur dort Türen öffnen, wo sich auch Mauern befinden, die ja irgendwann einmal gebaut worden sein müssen. Und man sollte nicht allzu stolz auf ein Fiedensfest sein, wenn man maßgeblich am vorangegangenen Krieg beteiligt war. Es stimmt schon, dass er die Kommunikation zu den anderen Glaubensgemeinschaften gesucht hat, jedoch wurde paradoxerweise bei der Messe explizit darauf hingewiesen, dass eben nicht alle “kommunizieren” dürfen. Zumindest gab’s jedoch für die Ausgeschlossenen einen Segen, wenn sie diesen durch ein reuiges Kopfsenken erbaten.

Zum Abschluss jedoch keimt in mir noch einmal Hoffnung auf. Die heutige Jugend wurde wie folgt beschrieben: “Dies ist die Generation, die Gott sucht”.

Dies lässt ja implizit erkennen, dass man ihn bisher noch nicht gefunden hat. Und ich kann nur hoffen, dass man ihn auch nicht dort findet, wo die Kirche ihn gerne sähe.

Ich könnte mich jetzt noch weiter über Religion und Toleranz zwischen den Kulturen auslassen, jedoch will ich einmal in eben diesem Zusammenhang abschließend auf zwei weitere, jedoch weltliche Ereignisse aufmerksam machen, die in den letzten Tagen etwas im Schatten des Weltjugendtages untergegangen sind und deren symbolische Bedeutung man anderenfalls wohl eher wahr genommen hätte.

Zum einen wurde der Ghaza – Streifen geräumt, was ja unübersehbar mit dem obigen Thema zu tun hat. Jedoch fand an diesem Wochenende zum ersten mal auf der neuen Rennstrecke in Istanbul ein Grand Prix statt und man hat die Türkei als Bindeglied zwischen den Kulturen in die Formel Eins mit aufgenommen.

Und genauso weltlich wie der letzte Absatz wird auch mein nächster Kolumnenbeitrag werden. Jedoch nehme ich mir zuerst einmal ein paar Tage Pause.