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Standort: Berlin, Germany

Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Dienstag, August 30, 2005

Auf der Suche nach Oscar Wilde

Als ich gestern durch die Stadt ging, fiel mir nicht nur auf, dass der Antquariar zwischen Neumarkt und Rudolfplatz geschlossen hat, was sehr schade ist, sondern nachdem ich einen Kaffee getrunken und etwas gelesen hatte, beschloss ich noch schnell in der schwulen Buchhandlung Brunos nach einer bestimmten Oscar Wilde – Biographie zu schauen, von der ich gehört hatte. Als ich jedoch den Laden betrat zeriss es mir das Herz und ich hätte mich am liebsten unter bitteren Tränen sofort wieder gedreht und wäre hinausgegangen. Man hat umgeräumt und zwar auch, was das Sortiment anbelangt. Wenn man in den Laden hineinkommt, so findet man nun ¾ davon ohne Bücher vor und sieht Regale gefüllt mit DVD’s, Kalendern, Sexzubehör, Szeneartikeln und mittlerweile sogar Unterwäsche, so dass man nur auf Grund des wärmeren Ambientes noch das Gefühl hat, dass man schon im richtigen Laden ist und nicht versehentlich in der Filiale in der Kettengasse gelandet ist. Jedoch beschränkt sich das Buchsortiment auf ein Regal mit Biographien, drei Regalen mit Belletristik und der Rest ist One-Hand-Literature oder Krimi, Bildbände und Trash.

Direkt musste ich voller Nostalgie an den ersten, kleinen schwulen Buchladen Ganymed in der Kettengasse denken. Gegründet von zwei idealistischen Schwulen, die sich auf der Uni kennengelernt hatten und beschlossen, dass die Schwulenmetropole einen Buchladen brauchte. Doch es war mehr als ein reines Szenegeschäft. Der Laden zeichnete sich unter anderem auch dadurch aus, dass er ein Geheimtipp für Kunst- und Kulturliebhaber war. Man hatte eine riesige Auswahl an Klassik-CDs und war auch gerne einmal bereit für einen Bildband einer hawaiianischen Künstlerin in einer Ausgabe mit indischen Texten so lange zu suchen, bis man den zuständigen Verlag gefunden hatte um dann dort die Bestellung für den Kunden aufzugeben. Nachdem jedoch die “Bücher von der Stange” – Kette nebenan öffnete, brach der Umsatz etwas ein, jedoch konnte man sich anfangs noch sehr gut wehren. Als jedoch ein neuer Mietvertag hermusste wurde man Opfer mieterischer Gier und musste den Laden räumen.

Einige Zeit später wurde dann dieses Projekt gegenüber auf der anderen Straßenseite in dem Buchladen Zeus fortgeführt. Jedoch zeigt sich schnell, dass die neuen Gesellschafter der ursprünglichen Idee soweit entfernt waren, wie eine Kuh dem Bügeln und man näherte sich immer mehr dem Level der Konkurrenz um die Ecke, mit der man dann langfristig nicht mehr mithalten konnte und die dann auch später die Räumlichkeiten übernahm um einen Sex-Shop daraus zu machen.

Ich selber habe mich zweimal als Mitarbeiter für den Buchladen beworben, nachdem Stellen dort ausgeschrieben wurden und beide Male (bei weiterer Stellenausschreibung) abgelehnt. Wahrscheinlich weil ich 20% des Buchladens gelesen hatte, jedoch nicht in der Lage war mehr als 2 Pornolabels zu nennen. Aber mit gezielten Fragen, so wußte ich aus Erfahrung, kam man im literarichen Bereich dort eh nicht weit. Jedoch konnte einem geholfen werden, wenn man die Handlung eines bestimmten Pornos erfahren wollte – wobei ich mich heute noch frage, wie sich Pornos auf der Handlungsebene inhaltlich großartig unterscheiden.

Was mir in diesem Zusammenhang auffiel, ist, dass Otto-Normaltucke sich scheinbar zunehmend weniger für Kultur interessiert. Wo ist denn heute das Bild des eloquenten, gebildeten und kulturbeflissenen Schwulen? Wo ist er, der abends auf der Couch liest, nachdem er von einer kulturellen Veranstaltung kommt und sich schon auf den sonntäglichen Museumsbesuch freut? War die Kultur nicht sogar immer ein Haupttätigkeitsfeld? Wenn ich mich hier zum Teil im Chat umschaue, so denke ich, dass davon nur noch der Dunst des Anscheins eines Schimmers zu erahnen ist.

Man actet jetzt sogar schon so straight, dass man dies selbst auf die geistigen Fähigkeiten beschränkt und sich eben wie die breite Masse der Verblödung preisgibt. Viele hangeln sich kriechtiergleich von Montag zum Freitag um dann nach Einwurf der wöchentlichen Pillenration bis Zum Montagmorgen durchtanzen und –feiern zu können. Und da man Samstags mittags ja eh nicht von dem Trip runterkommt huscht man mal schnell noch durch die Stadt und stattet sich für den Abend mit Gucchi und Prada, Dumm & Geil, und H & M aus.

Schade, somit fällt dann wohl ein Archetyp der Spaßgesellschaft zum Opfer und das 21. Jahrhundert wird wohl ohne Dandyismus auskommen müssen.