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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Mittwoch, Mai 18, 2005

Alle Jahre wieder...

Es ist mal wieder soweit. Was der Große Preis von Monaco für den Heterosexuellen ist, ist für den Schwulen der Grand-Prix d’eurovision de la Chanson oder, wie er heutzutage bedauerlicherweise heißt, der Eurovision Song Contest.

Ich muss zu meiner Schande eingestehen, dass ich in den letzten Jahren diesen Wettbewerb nur am Rande mitbekommen habe, was jedoch auch zum Teil nicht das Schlechteste ist, da er mir heutzutage viel zu unnostalgisch geworden ist. Dies mag jedoch auch daran liegen, dass es für mich eine ganz besondere Bedeutung früher hatte.

Man setzte sich mit der ganzen Familie in Omas Wohnzimmer, bewaffnete sich mit einem Glas Salzstangen und lernte erste Vokabeln des Englischen und Französichen: “L’Allemagne dix points. …. And now the results of the jury from Denmark… Good evening Copenhagen.”

Heute weckt solche Erinnerungen leider nur noch die Vorreportage mit den Best-Ofs der letzten Jahrzehnte.

Es war die perfekte Mischung aus Nationalstolz und Weltoffenheit: Einerseits die Regel nur in der eigenen Landessprache zu singen und dem entgegengesetzt ein gemeinsamer Wettstreit, der schon zu Zeiten des kalten Krieges in der Lage war ein Europa zu schaffen, wie es den Menschen damals als großer Traum vorschwebte: Ein Europa, das selbst über die Grenzen der 10 neuen Mitglieder hinausreicht.

Und doch waren die Punktewertungen zum Teil nicht ganz frei von politischen Einflüssen, wie man am Beispiel Türkei – Griechenland – Zypern immer wieder sehen konnte. Aber auch unpolitische Entzweiungen waren durch die Jahre hinweg zu beobachten, wie sonst erklärt man sich, dass wir so wenige Punkte von den ehemaligen Reichsgenossen bekommen haben? 1940 hätten wir auch vom “Anschluss” 12 Punkte bekommen.

Naja, gereicht hat’s für uns ja dann nur in meinem Geburtsjahr, indem eine junge Frau genau das ausdrückte, was sich im Jahr des Falklandkrieges und eines weiterhin bestehenden eisernen Vorhangs jeder wünschte: Ein bischen Frieden.

Doch auch die Liebe, die uns leben lässt, Lieder, die zu Brücken werden und Wunder, die es immer wieder gibt, wurden nebst Theater, Danksagungen an die Liebste und Aufarbeitungen geschichtlichen Wissens um große europäische Schlachten immer wieder thematisiert. Ein buntes Konglomerat von One-hit-Wondern, Dauerbrennern, Karriereanfängen und ewig Nicht-Erstplatzierten, welches uns Jahr für Jahr kurz nach den Eisheiligen den Frühling einläutete.

Seit Beginn dieses Spektakels im Jahre 1956 in Lugano konnte man bis hin zur heutigen Zeit auch den Stand der Technik in Europa mitverfolgen. Von Punktetabellen, die noch manuell hinter der Bühne bedient wurden, über interkontinentale Fernsprechverbindungen, deren Stabilität doch ab und an zu wünschen übrig ließ bis hin zu Handy-TEDs, die ganze Völker Grenzen überschreiten ließen, um den eigenen Interpreten nach vorne zu bringen war alles dabei.

Doch eines ist heute noch genau wie damals: Die Salzstangen, die Papierzettel und der Bleistift, mit dem jeder seine Wette aufschreibt und die Punkte notiert – sei es in einer Kneipe mit Großbildleinwand oder vor dem heimischen Fernseher mit Freunden bei Maibowle.

Und so sitzt Europa auch dieses jahr wieder gespannt vor den Bildschirmen und zittert bis zum Schluss um die zwölf Punkte, die vergeben werden können.

Und wer weiß? Vielleicht ist das dort repräsentierte “erweiterte” Europa gar nicht so weit von uns entfernt, wie wir es jetzt glauben… Der Grand-Prix war der Politik immer schon einen Schritt voraus und stellte sich dann doch als realisierbare “Zukunftsmusik” heraus.

Europe – twelve points! L’Europe - douze points! Europa – zwölf Punkte!