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Benjamin Merkler, geboren 1982, lebte 2002 bis 2007 in Köln, wo er Germanistik, Anglistik und Philosophie auf Magister studierte. Von 2007 bis 2009 studierte er an der Universität Heidelberg Anglistik, Philosophie und öffentliches Recht. Seit 2010 lebt er in Berlin und hat seine Promotion an der Technischen Universität Tallinn begonnen. Neben seinem Studium war er als Forschungsassistent sowie in einer PR/Marketing-Agentur tätig, schrieb gelegentlich Artikel und übersetzte. Zuvor war er schon in der Softwareentwicklung, in Marketing, Vertrieb und in der Gastronomie tätig. Privat trat er in seiner kölner Zeit ab und zu als Cressida Treulos (Travestie mit Livegesang) auf und stand im Bereich Kleinkunst und Comedy auf der Bühne. Überdies war er Protagonist in einem Dokumentarfilm.

Sonntag, März 13, 2011

Wir lassen uns so lange blenden, bis wir selber strahlen

Das Erdbeben in Japan und der dadurch ausgelöste Tsunamin sind schlimm und es ist eine schreckliche Vorstellung, denkt man an die Opfer dieser Naturkatastrophe. Doch muss man realistisch sagen, dass dies eine Naturkatastrophe ist, wie sie jederzeit passieren kann auf dieser Erde. Wenn ich mich heute dem zweiten, das Wochenende beherrschenden Thema, dem Reaktorunfall zuwende, so ist dies nicht Ausdruck dessen, dass ich die vorangegangene Naturkatastrophe in irgendeiner Hinsicht als minder wichtig betrachte, sondern eher darauf zurückzuführen, dass dies etwas ist, was außerhalb des menschlichen Einflusses liegt. Wenn die Natur zuschlägt, kann der Mensch nur machtlos zuschauen. Und ohne, dass dies jetzt zynisch klingen soll, so sind Naturkatastrophen der Kollateralschaden menschlicher Existenz auf diesem Planeten. Wir können nicht auf diesem Planeten leben, ohne dass so etwas passiert. Auch wenn uns dieser Gedanke erschreckt, so müssen wir doch als Menschen hinnehmen, dass wir solchen Einflüssen immer werden machtlos gegenüberstehen. Wir können es nicht verhindern und sind trotz aller Vorsorgemaßnahmen und trotz unseres Sicherheitsbestrebens doch letztlich den Gewalten der Natur unterworfen.

Was wir jedoch in der Hand haben, ist das, was wir selbst erzeugen. Somit ist es keine bagatellisierende Verschiebung des Fokus, wenn nun der Reaktorunfall im Mittelpunkt steht – zumal sich hier noch zeigen wird, was größere Auswirkungen und Opfer gefordert haben wird. Es ist schlichtweg eine Verschiedung des Fokus weg von der Sphäre dessen, was wir als Menschen ertragen müssen hin zu dem Thema, welches sehr wohl in unserer Hand liegt. Denn in Hinblick auf atomare Katastrophen haben wir das Heft in der Hand. Wir haben diese Technologie entwickelt, meinen sie kontrollieren zu können und können sie auch wieder durch anderes ersetzen. Die Kritik, dass das Diskutieren über die atomare Katastrophe pietätlos sei gegenüber den Opfern der Naturkatastrophe, entbehrt also ein wenig ihrer Grundlage. Es geht auch nicht nur darum, sich des Leids in der Welt bewusst zu sein, sondern auch darum, künftiges Leid soweit wie möglich zu veringern.

Deswegen ist die nun wieder an Fahrt gewinnende Diskussion um die sogenannte „friedliche Nutzung der Kernenergie“ auch keine Frage von Parteipolitik, es ist nicht einmal eine spezifisch deutsche Frage – auch wenn dies von den Atombefürwortern momentan ab und an behauptet wird. Es geht um eine existentielle, die ganze Welt umspannende Grundsatzfrage, die sogar zum Teil auch weit über das Themenfeld der Kernenergie hinaus reicht. Es geht um die Frage, ob der Mensch sich Technologien zunutze machen sollte, die einerseits eine unüberschaubare Gefährdung mit sich bringen, die er jedoch andererseits nicht unter Kontrolle hat.

Frau Merkel hat in ihrer gestrigen Ansprache darauf hingewiesen, dass es zu früh sei, jetzt schon eine Schlussfolgerung zu ziehen. Doch hat die gerade hinter uns liegende Diskussion um die ‚Causa zu Guttenberg‘ gezeigt, wie schnell sie in der Lage ist, gegen ihre eigenen Prinzipien vorzugehen – in dem einen Fall hat sie sich klar gegen die Grundlagen der Wissenschaft gestellt, was vermuten lässt, dass sie auch jetzt kein Problem damit hat gegen ihre eigenen Kenntnisse als Physikerin zu argumentieren. Im Gegensatz zu ihr, sehe ich schon eine Schlussfolgerung und meines Erachtens liegt diese klar auf der Hand: Wir müssen, so schnell es irgendwie geht, aus der Atomenergie aussteigen.

In den letzten Jahren, so muss ich eingestehen, habe auch ich mich teilweise in falscher Sicherheit gewägt. Mir war zwar nie wohl, bei dem Gedanken an Kernkraft, jedoch schenkte ich denen in gewisserweise Glauben, die argumentierten, dass es sehr unwahrscheinlich sei, dass wir ein zweites Tschernobyl erleben würden, da die Sicherheitsanforderungen an Kraftwerke weltweit und vor allem in Deutschland sehr hoch sind. Doch dieses einzige mich beruhigende Argument hält jetzt nicht mehr Stand. Denn wir erleben gerade nicht einen atomaren Unfall in irgendeiner Gesellschaft, der man vorwerfen könne, sie sei nicht auf dem neuesten Stand oder in gewisserweise hinterwäldlerisch. Wir schauen mit Entsetzen darauf, dass sich ein solcher Unfall in einer der bestentwickelten und hochtechnologisiertesten Gesellschaften der Welt ereignet. Diejenigen, die nun das Argument zur Hand nehmen, etwas Ähnliches könne sich in Deutschland nicht ereignen, da man hierzulande die sichersten Kraftwerke der Welt habe, hätten bis vor wenigen Tagen Ähnliches von Japan behauptet. Wer jetzt noch die real existierende Bedrohung negiert, ist genauso naiv wie diejenigen, die heute noch den real existierenden Sozialismus bejahen.

Natürlich sind die nun aufkommenden Forderungen eines sofortigen Abschaltens ebensolcher Humbug. Man muss die Dinge auch realistisch sehen: Wir sind zum aktuellen Stand von der Atomenergie abhängig. Es wird ja auch schon einiges dafür getan, um sich von dieser Technologie zu emanzipieren und alternative Lösungen zu finden. Jedoch wird bei Weitem nicht genug getan und die aktuell zur Debatte stehenden Konzepte für die Zukunft scheinen zögerlich und nicht mit dem nötigen Nachdruck versehen. Der nun folgende Vergleich mag ein wenig hinken, da ihm verschiedene Ausgangssituationen zugrunde liegen, jedoch möchte ich auf einen Punkt hinweisen: Als es darum ging, die Atomkraft potentiell zur Vernichtung des Lebens einzusetzen, hat 'die Menschheit' (dies ist ein großes Wort, aber in diesem Falle passt es) alles daran gesetzt, schnellstmöglich diese Technologie voranzutreiben. Jetzt, wo es darum geht, die Atomkraft potentiell zur Erhaltung des Lebens abzuschaffen, diskutiert 'die Menschheit' ewig herum und verschiebt, vertagt und streitet sich endlos. Ich gehe sogar soweit zu behaupten, dass wenn man alternative Energien als Kriegswaffe einsetzen könnte, die nötige Forschung wesentlich weiter wäre und jede Nation alles daran setzte, ganz vorne mitzuspielen.

Ebenso sehr wie es wahr ist, dass man mit "es könnte" und "wir würden gern" nicht den Energiebedarf einer Industrienation decken kann, ist es wahr dass man mit „es wird schon nichts passieren“ sich der Einsicht entzieht, dass, wenn denn dann doch etwas passiert binnen Stunden diese Industrienation keinen Energiebedarf mehr hat. Politik hat auch immer die Aufgabe, die richtigen Anreize zu setzen und ich bin der Überzeugung, dass die begonnene Entwicklung auf dem Gebiet der Erforschung alternativer Energien wesentlich schneller vorangetrieben werden könnte, wenn es für die Energiewirtschaft in Deutschland als auch weltweit, die einzige Möglichkeit wäre, damit Gewinne zu erzielen. Momentan fehlt jedoch der Anreiz, denn so lange man mit Atomkraft noch Geld schöpfen kann, wird man auch nichts dafür tun, dass diese obsolet wird.

Warum wagen wir nicht einen tiefen strukturellen Einschnitt? Warum entkoppeln wir nicht die Energiegewinnung durch Atomkraft von wirtschaftlichem Gewinnstreben? Man könnte beispielsweise festsetzen, dass die erwirtschafteten Überschüsse komplett in die Erforschung und den Ausbau alternativer Lösungen reinvestiert werden – notfalls müsste dann der Staat den Betrieb übergangsweise übernehmen, bis man an den Punkt gelangt, an dem man wirklich abschalten kann. Schließlich ist der Staat der einzige Akteur, der es sich erlauben kann, auch ohne Gewinn zu wirtschaften. Ich glaube an die Innovations- und Schaffenskraft der deutschen Wirtschaft, dass ich ihr zutraue, dass sie binnen kürzester Zeit wirksame Alternativen entwickelt. Allein sie brauch den 'Tritt in den Hintern'.

Jeder Tag, den wir bis zum Abschalten des letzten Atomkraftwerks weniger benötigen, ist ein Tag weniger, an dem wir dafür beten müssen, dass auch morgen nichts passiert.